Ein Kommentar von Damian Wilson
Die Bilder aus dem Internet sind nur allzu bekannt: Behelmte und maskierte Polizisten in Körperpanzerung prügeln mit Schlagstöcken auf am Boden liegende Demonstranten ein. Dabei brennt denen bereits Pfefferspray in den Augen, nimmt ihnen den Atem und macht sie handlungsunfähig. Gleichzeitig erobern Horden rauflustiger Protestler die Straßen der Stadt. Brüllend und jauchzend werfen sie Gegenstände auf Polizeiautos, blockieren den Verkehr und stören die öffentliche Ordnung. Es herrscht Chaos. Aber wo passiert das gerade? In Myanmar? In Hongkong? Venezuela? Nein, es geschieht in meiner Heimatstadt Melbourne, in Australien.
Wenn uns diese Szenen der zunehmend aggressiven Konfrontationen während der letzten vier Tage aus einer der oben genannten Nationen erreicht hätten, dann wären der australische Premier Scott Morrison und seine Minister so schnell auf der Matte, dass noch Brandspuren auf ihrem Weg zur nächsten Pressekonferenz sichtbar wären. Sie würden die übertriebene Brutalität gegen Bürger verurteilen, die doch lediglich ihr demokratisches Recht auf Protest ausüben.
Es würde Erklärungen seitens dieser Minister geben, wo sie die Polizeigewalt auf das Schärfste verurteilen. Man würde den jeweiligen Botschafter einberufen, damit er gefälligst die inakzeptablen Handlungen seiner Regierung erklärt. Die Vereinten Nationen würden unter Druck gesetzt, dieses abnormale Verhalten zu sanktionieren und Vermögenswerte einzufrieren.
Aber nichts dergleichen passiert im Fall von Melbourne. Die Heuchelei ist lebendig und wohlauf in Down Under. Australien ähnelt immer mehr einem Biotech-Polizeistaat als einem Land der Glücklichen.
Die australische Regierung wiederum übt sich in auffallender Zurückhaltung bei der Beurteilung von Szenen, wo Rentner von der Polizei mit Pfefferspray eingedeckt werden. Aber das Schweigen wurde gebrochen: Von den sozialen Medien und gut gemeinten, wenn auch unwillkommenen Bedenken aus dem gesamten Pazifikraum. Konservative Kommentatoren aus den USA verurteilten das, was sie online gesehen hatten, und forderten sogar US-Sanktionen gegen die Aussies.
Das wird aber nicht passieren. Weil erstens der US-Präsident Joe Biden ein Demokrat ist und keine Befehle von Republikanern entgegennimmt. Und zweitens, weil die Tinte von Morrisons Unterschrift unter dem neuen AUKUS-Sicherheitspakt noch nicht mal trocken ist. Der Pakt sieht natürlich vor, dass Australien, die USA und das Vereinigte Königreich enger zusammenzuarbeiten sollen und sich dabei nicht in polizeiliche Angelegenheiten des jeweils anderen einzumischen haben. Aber hey, schlagt euch ruhig selbst k. o.
In seinem eigenen Hinterhof blieb Morrison stumm, als der Premierminister des Bundesstaates Victoria, Dan Andrews, die Bereitschaftspolizei auf eine von Lockdowns müde Bevölkerung losließ, die einfach so richtig die Nase voll hat.
Der Einsatz diente natürlich nur zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung. Aber diese Eliteeinheit von 300 Beamten der Polizei von Victoria verfügt über ein beeindruckendes Waffenarsenal, um lautstarke Demonstrationen zu unterdrücken. Neben der inzwischen bevorzugten Waffe der Wahl bei solchen Aufmärschen – Pfefferspraygeschosse, die aus halbautomatischen Gewehren abgefeuert werden – verfügen sie über Pistolen, womit sie Farbstoff auf Demonstranten abschießen können. So lassen diese sich später leichter identifizieren und festnehmen. Ein bisschen wie bei Paintball.
Als ob das nicht genug wäre, können sie auch noch auf ein regelrechtes Sammelsurium nicht tödlicher Waffen zurückgreifen. Darunter ein 40-Millimeter-Geschosswerfer, der harte, mit Gummi ummantelte Projektile abfeuert. Zudem Blendgranaten, die in die Menge geworfen werden können und mit Lichtblitz und Rauch explodieren. Dabei verstreuen sie kleine Gummikugeln vom Kaliber 32 sowie Sprühkanister mit Capsicum, einem scharfen, toxischen Reizstoff, der normalerweise bei Gefängnisaufständen zur Anwendung kommt.
Aber nicht nur das Vorgehen der Staatsmacht gegen die Demonstranten gibt Anlass zu großer Besorgnis, sondern auch die Zusammensetzung der Proteste. Es gibt zwar eine beträchtliche Kohorte hartnäckiger Impfgegner, die regelmäßig auftauchen. Aber diese Woche kamen die Bauarbeiter hinzu. Denen hatte man gerade gesagt, dass sie zwei Wochen lang ihrer Arbeit nicht nachgehen können, da über alle Baustellen ein sofortiger Lockdown verhängt wurde.
Später wurden sie beschuldigt, keine "echten" Bauarbeiter zu sein, sondern rechtsextreme Handlanger, die sich irgendwie zu Protesten zusammengeschlossen haben. Ernsthaft?
Es sieht so aus, als wüsste Dan Andrews, der Verzweifelte, nicht mehr, welchem Drehbuch er folgen soll, weil immer mehr Menschen aus allen gesellschaftlichen Gruppen auf die Straße gehen, um ihre Stimme zu Gehör zu bringen – aber statt dass man ihnen zuhört, werden sie eingekesselt und mit Pfefferspray unterworfen oder zur Impfung gemobbt.
Ja, das ist ein australisches Problem. Und es liegt an den Australiern, es zu lösen. Aber der Einsatz nicht-tödlicher Gewalt ist keinesfalls eine Lösung, sondern sollte immer der letzte Ausweg sein. Wenn Politiker also bereits an diesem Punkt der Diskussion zu halbautomatischen Waffen greifen, zeigt das nicht nur, dass sie keine Antworten mehr finden, sondern auch die Kontrolle verloren haben.
Dass es angesichts eines derart unbeholfenen Missmanagements der COVID-19-Pandemie überhaupt dazu kommen konnte, sollte ein triftiger Grund sein, sich als Nation zu schämen. Dabei ist Australien im Vergleich zu vielen anderen Ländern noch relativ gut davongekommen. Mit knapp 1.200 Todesfällen bei 88.710 Fällen von Infektionen. Wobei die meisten dieser Menschen (833) in Victoria starben, dem am dichtesten besiedelten Bundesstaat des Landes.
Doch die zivilen Unruhen über das anhaltende Missmanagement sind maßlos, denn nichts scheint sich mehr zu verbessern. Während sich Großbritannien, Europa und die USA auf eine Zukunft nach COVID einstellen, ringen die australischen Gesundheitsbehörden immer noch mit Impfprogrammen, Ausbrüchen von Virusvarianten und sporadischen Lockdowns, die niemand mehr versteht.
Politiker auf der ganzen Welt stehen nun vor ihrem Tag der Abrechnung. Wobei in Frankreich bereits eine ehemalige Gesundheitsministerin angeklagt wurde. Aber so sicher wie das Amen in der Kirche wird es chaotisch werden, wenn Australien endlich an einen Punkt kommt, wo die Bevölkerung Rechenschaft von den Politikern fordert. Wirklich verdammt chaotisch!
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Damian Wilson ist ein britischer Journalist, ehemaliger Herausgeber in der Fleet Street, Berater der Finanzbranche und Sonderberater für politische Kommunikation in Großbritannien sowie der EU.