Brennan-Center-Studie: Das US-Militär ist in mehr Ländern im Einsatz, als wir denken

Die Vereinigten Staaten haben in den letzten zwei Jahrzehnten mehr als ein Dutzend "geheime Kriege" geführt, wie aus einem neuen Bericht des Brennan Center for Justice an der New York University's School of Law hervorgeht. Ermöglicht wurden diese durch die nach den Anschlägen vom 11. September 2001 vom US-Kongress erlassene Ermächtigung zum Einsatz militärischer Gewalt. Von den Einsätzen weiß der US-Senat zumeist nichts.

Die US-Streitkräfte waren in viel mehr Ländern an vom US-Kongress nicht genehmigten Feindseligkeiten beteiligt, als das Pentagon den Senatoren, geschweige denn der US-Öffentlichkeit, mitgeteilt hat. Das geht aus einem umfangreichen neuen Bericht hervor, der Ende letzter Woche vom Brennan Center for Justice der New York University's School of Law veröffentlicht wurde. "Afghanistan, der Irak, vielleicht Libyen. Wenn Sie den Durchschnittsamerikaner fragen würden, wo die Vereinigten Staaten in den letzten zwei Jahrzehnten Krieg geführt haben, würden Sie wahrscheinlich diese kurze Liste erhalten", heißt es in dem Bericht mit dem Titel "Geheimer Krieg: Wie die USA Partnerschaften und Stellvertreter nutzen, um einen Krieg unter dem Radar zu führen".

Aber diese Liste ist den Autoren zufolge unvollständig – es fehlten mindestens 17 Länder, in denen die Vereinigten Staaten einen bewaffneten Konflikt durch Bodentruppen, Stellvertreter oder Luftangriffe ausgetragen haben. Gewütet haben diese vom US-Kongress nicht autorisierten Schattenkriege demnach in vielen Gebieten der Welt: in Afrika, im Nahen Osten und auch in Asien – mit minimaler Kontrolle durch den Kongress. "Diese Verbreitung des geheimen Krieges ist ein relativ neues Phänomen, und es ist undemokratisch und gefährlich", erklären die Verfasser des Berichts in der Einleitung:

"Die Durchführung nicht angekündigter Feindseligkeiten in nicht gemeldeten Ländern verstößt gegen die verfassungsmäßige Ordnung der Vereinigten Staaten. Sie lädt zu einer militärischen Eskalation ein, die für die Öffentlichkeit, den Kongress und sogar für die Diplomaten, die mit der Verwaltung der US-Außenbeziehungen betraut sind, unvorhersehbar ist."

Das 39-seitige Bulletin konzentriert sich auf sogenannte "Sicherheitskooperations"-Programme. Ermöglicht wurden diese durch die nach den Anschlägen vom 11. September 2001 vom US-Kongress erlassene Ermächtigung zum Einsatz militärischer Gewalt (Authorization for Use of Military Force – AUMF) sowie durch das Gesetz über verdeckte Operationen, den sogenannten 50 U.S. Code § 3093, der geheime, nicht zuordenbare Operationen erlaubt, vor allem der CIA. Eines dieser Programme, das 127-Echo-Programm, ermächtigt das US-Verteidigungsministerium, "ausländische Streitkräfte, irreguläre Kräfte, Gruppen oder Einzelpersonen zu unterstützen, die autorisierte laufende Militäroperationen von US-Spezialkräften zur Bekämpfung des Terrorismus unterstützen oder erleichtern".

Dem Bericht zufolge wurde diese Ermächtigungsgrundlage vom US-Verteidigungsministerium allerdings weit – oder besser gesagt, zu weit – ausgelegt. Denn in der Praxis hat sie dem US-Militär letztlich ermöglicht, "lokale Stellvertreter für von den USA geleitete Missionen einzusetzen, die auf US-Feinde abzielen, um US-Ziele zu erreichen" und ihre lokalen Partner mit Waffengewalt gegen Gegner zu verteidigen (was das Pentagon als "kollektive Selbstverteidigung" bezeichnet) – unabhängig davon, ob diese Gegner eine Bedrohung für US-Territorium oder die Zivilbevölkerung darstellen.

In Somalia beriefen sich die US-Streitkräfte laut dem Bericht 2016 beispielsweise auf diese "kollektive Selbstverteidigung", um einen Schlag gegen eine rivalisierende Miliz der Puntland Security Force (PSF) zu führen, einer Elitebrigade, die ursprünglich von der CIA rekrutiert, ausgebildet und ausgerüstet und dann 2011 vom Pentagon übernommen worden war. Darüber hinaus setzte das Pentagon die PSF, die von der somalischen Regierung weitgehend unabhängig war, mehrere Jahre lang zur Bekämpfung von Kämpfern der Terrororganisationen wie der al-Shabaab und dem Islamischen Staat ein, lange bevor die US-Exekutive beide Gruppen offiziell als legitime Ziele bezeichnete.

Auch in Kamerun gingen US-Kräfte eine fragwürdige Allianz mit verrufenen Einheiten des kamerunischen Militärs ein, die auch noch lange fortgesetzt wurde, nachdem ihre Mitglieder bereits mit massenhaften Gräueltaten in Verbindung gebracht worden waren. Der Kongress erfährt nur selten von diesen Vorfällen, weil das Verteidigungsministerium dem Bericht zufolge darauf besteht, dass sie zu unbedeutend oder "episodisch" sind, um das Niveau von "Feindseligkeiten" zu erreichen, die eine Meldepflicht gemäß der Kriegsbefehlsresolution von 1973 auslösen würden.

Öffentliche Aufmerksamkeit erregte das Programm demnach erstmals 2017, als vier US-Soldaten bei einem "Ausbildungs- und Beratungseinsatz" gemeinsam mit nigerianischen Streitkräften in einen Hinterhalt des IS gerieten und getötet wurden. Bei den Mitgliedern des US-Senats stieß diese Meldung damals allerdings auf Verwunderung. Über diese US-Operationen in dem Land habe man nichts gewusst, hieß es seinerzeit von mehreren US-Senatoren. 

Der Bericht, der sich auf veröffentlichte Arbeiten von Enthüllungsjournalisten, Interviews mit sachkundigen US-Beamten und Kongressmitarbeitern, offizielle Dokumente und Aufzeichnungen sowie die juristische Analyse des Autoren stützt, identifiziert neben Somalia und Kamerun 13 Länder mit Programmen nach Abschnitt 127e. Dazu gehören neben Afghanistan, Ägypten, dem Irak, Kenia und dem Libanon auch Libyen, Mali, Mauretanien, Niger, Nigeria, Syrien sowie Tunesien und der Jemen.

Dabei ist die 127e-Befugnis nur eine von drei vom US-Kongress infolge des sogenannten Kriegs gegen den Terror erlassenen Ermächtigungen, die in dem Bericht des Brennan Centers analysiert werden. Eine andere Befugnis, der sogenannte 10 U.S. Code § 333, der oft als "globale Ausbildungs- und Ausrüstungsbefugnis" bezeichnet wird, gestattet es dem Pentagon unter anderem, ausländischen Streitkräften überall auf der Welt Ausbildung und Ausrüstung zur Verfügung zu stellen. Mit der noch weitaus undurchsichtigeren 1202e-Befugnis gingen die USA gar noch einen Schritt weiter und räumten dem US-Verteidigungsministerium gleich das Recht ein, ausländischen Stellvertretern Unterstützung zu gewähren, wenn sie "irreguläre Kriegsführung durch die United States Special Operations Forces unterstützen oder erleichtern". Insbesondere dann, wenn die Aggressionen auf Konkurrenten der USA – wie etwa China oder Russland – abzielen.

"Irreguläre Kriegsführung" wird vom US-Verteidigungsministerium als "Wettbewerb, der nicht zu den traditionellen bewaffneten Konflikten gehört" definiert. Bei Abschnitt 1202 handelt es sich für die USA mehreren in dem Bericht zitierten pensionierten Generälen zufolge somit um "ein äußerst nützliches Instrument zur Ermöglichung irregulärer Kriegsführungsoperationen … zur Abschreckung … revisionistischer Mächte und Schurkenregime, das in zunehmendem Maße eingesetzt werden wird, wenn das Verteidigungsministerium beginnt, dem Wettbewerb der Großmächte Priorität einzuräumen".

Das 127-Echo-Programm unterliegt bis heute nahezu keiner Kontrolle. Einschlägige, gesetzlich vorgeschriebene Einsatzberichte sind dem Bericht zufolge zu so hoher Geheimhaltung eingestuft, dass die meisten Mitarbeiter der Legislative keinen Zugang zu ihnen haben. Der Bericht des Brennan Centers, der am Donnerstag veröffentlicht wurde, bietet die bisher umfassendste Analyse der rechtlichen Grundlagen und zeigt anschaulich auf, wie und weshalb es den USA in den letzten 20 Jahren gelang, Schattenkriege zu führen.

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