Zwei Wochen nach dem Schuldspruch gegen den Ex-Polizisten Derek Chauvin wegen der Tötung des Afroamerikaners George Floyd hat die Verteidigung eine Neuverhandlung beantragt. Rechtsanwalt Eric Nelson begründete dies mit Rechtsfehlern und Fehlverhalten von Gericht, Staatsanwaltschaft sowie Jury. Wegen der Summe der Fehler sei der Prozess gegen den 45-jährigen Chauvin im US-Bundesstaat Minnesota nicht fair gewesen und habe ihm seine verfassungsmäßig garantierten Rechte vorenthalten, schrieb Nelson in dem Antrag von Dienstag.
Die Verteidigung war während des Prozesses in Minneapolis vor dem zuständigen Richter Peter Cahill mehrfach mit Anträgen auf ein sofortiges Ende des Verfahrens wegen angeblicher Rechtsfehler gescheitert. Den jüngsten Antrag begründete Chauvins Anwalt unter anderem damit, dass der Richter eine Verlegung des Prozesses an einen anderen Ort blockiert habe. Außerdem habe es Cahill versäumt, eine vollständige Abschirmung der Geschworenen von der Außenwelt für die gesamte Dauer des Prozesses anzuordnen, hieß es weiter. Nelson warf der Staatsanwaltschaft auch Verfahrensfehler vor.
Nelson sagte, dass die intensive Medienbeobachtung die Fairness des Prozesses untergrub und dass auch die Experten der Verteidigung eingeschüchtert wurden. Laut Nelson:
"Die öffentliche Aufmerksamkeit vor und während dieses Prozesses war so durchdringend und voreingenommen, dass sie einen strukturellen Fehler im Verfahren darstellte."
Die Generalstaatsanwaltschaft von Minnesota wies das zurück. In einer Erklärung gegenüber dem US-Nachrichtensender CNN hieß es:
"Das Gericht hat viele dieser Argumente bereits zurückgewiesen, und der Staat wird ihnen energisch entgegentreten."
Ein weiteres potenzielles Problem für die Staatsanwaltschaft ist, dass in dieser Woche der zuvor anonyme Geschworene #52 mit Interviews an die Öffentlichkeit ging, um seine Erfahrungen in der Jury zu erläutern und die Bewegung zur Eindämmung von Polizeimissbrauch zu unterstützen. Brandon Mitchell, ein 31-jähriger Highschool-Basketballtrainer, erzählte Nachrichtenagenturen in Minneapolis, dass er am 28. August letzten Jahres an einem Marsch in Washington teilnahm, bei dem Floyds Geschwister anwesend waren. Mitchells Anwesenheit bei der Kundgebung ist an sich nicht unbedingt problematisch.
Aber, wie Jonathan Turley, ein US-amerikanischer Rechtsanwalt und Rechtswissenschaftler erklärt, ist das eigentliche Problem, wie Mitchell die Fragen der Geschworenenauswahl beantwortet hat. Zum Beispiel verneint Mitchell zwei Fragen:
"Haben Sie oder jemand, der Ihnen nahesteht, an einer der Demonstrationen oder Märsche gegen Polizeibrutalität teilgenommen, die in Minneapolis nach dem Tod von George Floyd stattfanden?"
"Abgesehen von dem, was Sie bereits oben beschrieben haben, haben Sie oder jemand, der Ihnen nahe steht, an Protesten gegen polizeiliche Gewaltanwendung oder Polizeibrutalität teilgenommen?"
Am 15. März wurde Mitchell von dem Richter auch gefragt, ob er den Fall Chauvin und George Floyd kenne. Er antwortete, dass er "einige grundlegende Informationen über Verhandlungstermine usw. aus den Nachrichten" gehört habe, aber nicht die Art von Informationen, "die ihn davon abhalten würden, als unparteiischer Geschworener zu dienen".
Am 20. April befand die Jury Chauvin unter anderem des Mordes zweiten Grades für schuldig. Somit könnte Chauvin im US-Bundesstaat Minnesota eine Haftstrafe von bis zu 40 Jahren drohen. Die Urteilsverkündung vor dem Gericht in Minneapolis ist bislang für den 16. Juni angesetzt. Chauvin hatte auf "nicht schuldig" plädiert. Da er nicht vorbestraft ist, gehen Experten davon aus, dass eine deutlich niedrigere Strafe als die maximal zulässige verhängt wird.
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(rt/dpa)