US-Präsident Joe Biden hat in seiner ersten Ansprache als US-Präsident vor beiden Kongresskammern einen amerikanischen Neuanfang nach der Ära seines Amtsvorgängers Donald Trump beschworen. Der Demokrat warb für seine billionenschweren Pläne, mit denen er tiefgreifenden Wandel in dem Land herbeiführen wolle. Biden versprach eine Zukunft, in der der Staat den Menschen diene, ihnen Möglichkeiten eröffne und "Fairness und Gerechtigkeit" garantiere. "Amerika erhebt sich aufs Neue", sagte Biden gestern Abend im Kapitol:
"Nach 100 Tagen der Rettung und Erneuerung ist Amerika bereit zum Abheben. Wir arbeiten wieder. Träumen wieder. Entdecken wieder. Führen die Welt wieder an."
Biden nutzte seine Ansprache, um Kongressabgeordnete beider Parteien dazu aufzufordern, weitreichende Pläne seiner Regierung zu unterstützen. Ein von ihm vorgeschlagenes billionenschweres Infrastrukturpaket bezeichnete er als größten Anschub für den Arbeitsmarkt seit dem Zweiten Weltkrieg. Das mehr als 2 Billionen US-Dollar (rund 1,7 Billionen Euro) umfassende Programm soll laut Biden in den kommenden acht Jahren Millionen neuer Jobs und massives Wachstum schaffen.
Zudem sollen die Sozialleistungen als Teil von Bidens Plänen zur Unterstützung von Familien und zur Förderung der Bildung deutlich ausgeweitet werden. Finanziert werden sollen sowohl der Familienplan als auch das Infrastrukturpaket mit Steuererhöhungen – insbesondere durch Anhebung des Spitzensteuersatzes. Biden sagte, dass kein US-Amerikaner "zwischen einem Job und einem Gehaltsscheck oder der Versorgung von sich selbst und einem geliebten Menschen – einem Elternteil, Ehepartner oder Kind" wählen müsse. Der US-Präsident versicherte, der Plan werde Amerika helfen, sich im wirtschaftlichen Wettbewerb des 21. Jahrhunderts durchzusetzen.
"Wir haben uns gegenseitig und der Welt gezeigt: Es gibt kein Aufgeben in Amerika."
Seine Vorschläge bedürfen der Zustimmung des Kongresses. Das Land ist aber innenpolitisch nach wie vor tief gespalten. Mit einigen Vorhaben könnte Biden selbst bei gemäßigten Demokraten im Senat auf Ablehnung stoßen. So etwa bei seinem Kampf gegen die "Epidemie der Waffengewalt" in den USA, für den er ebenfalls überparteiliche Zusammenarbeit anmahnte.
Ebenso forderte der US-Präsident die Parteien auf, sich abzustimmen, um strukturellem Rassismus entgegenzuwirken. In Anspielung auf die Tötung des Afroamerikaners George Floyd, der im vergangenen Jahr in der US-Stadt Minneapolis bei einer brutalen Festnahme ums Leben gekommen war, sagte Biden:
"Wir alle haben das Knie der Ungerechtigkeit auf dem Nacken des schwarzen Amerikas gesehen."
Mit Blick auf seine Corona-Politik zog Biden eine positive Zwischenbilanz: Die vergangenen 100 Tage "in einer der schlimmsten Pandemien der Geschichte waren eine der größten logistischen Errungenschaften, die dieses Land jemals gesehen hat". Er habe das Land mitten in einer seiner größten Krise übernommen. Die USA hätten die "schlimmste Pandemie binnen eines Jahrhunderts, die schlimmste Wirtschaftskrise seit der Großen Depression" und mit dem Sturm auf das Kapitol im Januar den "schlimmsten Angriff auf die Demokratie seit dem amerikanischen Bürgerkrieg" erlebt. Biden beteuerte:
"Das Haus Amerika stand in Flammen. Wir mussten etwas tun."
Der Präsident forderte alle US-Amerikaner dazu auf, sich impfen zu lassen. Es seien genügend Vakzin-Dosen verfügbar. Er unterstrich:
"Geh und lass dich impfen, Amerika!"
Zwar stand Bidens innenpolitische Agenda im Zentrum der Rede, aber er ging auch auf die von ihm empfundenen Herausforderungen durch China, Russland, Iran und Nordkorea ein. Seinen chinesischen Amtskollegen Xi Jinping rief Biden zur Einhaltung globaler Handelsregeln auf – anderenfalls drohte er mit der Verteidigung amerikanischer Interessen. Den russischen Präsidenten Wladimir Putin warnte Biden – während wachsender Spannungen zwischen den beiden Ländern – vor einer weiteren Eskalation. Das Handeln Moskaus habe Konsequenzen, mahnte Biden. Die jüngst verhängten US-Strafmaßnahmen verteidigte er, damit "auf Russlands Einmischung in unsere Wahlen und Cyber-Angriffe auf unsere Regierung und Unternehmen direkt und angemessen reagiert" zu haben.
Der US-Präsident betonte, die USA müssten in der Welt die Stärke der Demokratie vorleben:
"Wir müssen beweisen, dass Demokratie immer noch funktioniert."
Biden sieht seine eigene Regierung dabei auf einem guten Weg:
"Wir impfen das Land. Wir schaffen Hunderttausende von Arbeitsplätzen. Wir liefern echte Ergebnisse, die die Menschen sehen und in ihren eigenen Leben spüren können."
Biden ist an diesem Donnerstag 100 Tage im Amt. Der 78-Jährige von der Demokratischen Partei löste am 20. Januar den Republikaner Donald Trump im Weißen Haus ab. Die erste Rede eines neu gewählten US-Präsidenten bei einer gemeinsamen Sitzung des Repräsentantenhauses und des Senats im US-Kapitol wird traditionell nicht als Rede zur Lage der Nation bezeichnet, die erfolgt ansonsten jährlich.
Erstmals in der Geschichte der USA saßen zu diesem Anlass am Mittwoch zwei Frauen hinter dem Präsidenten: Kamala Harris, die erste Vizepräsidentin des Landes, und die Sprecherin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi. Wegen der Corona-Pandemie war Bidens Publikum deutlich kleiner als in einem normalen Jahr. Üblicherweise sitzen die Zuhörer dicht gedrängt in den Rängen im Repräsentantenhaus – in diesem Jahr nahmen nach Angaben von Pelosi statt der üblichen 1.600 Zuhörer nur 200 daran teil.
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(rt/dpa)