Nach Gastbeitrag bei der New York Times: Meinungschef tritt ab

Der Gastkommentar eines republikanischen Senators bei der New York Times, der den Einsatz des Militärs bei den US-Protesten forderte, führte innerhalb der Zeitung zu scharfer Kritik und personellen Konsequenzen. James Bennet, Chef der Meinungssparte, kündigt seinen Job.

Der Gastbeitrag brachte die Zeitung in Erklärungsnot. Die New York Times hatte vergangenen Donnerstag mitgeteilt, der Text des republikanischen Senators Tom Cotton mit der Überschrift "Schickt die Truppen rein" ("Send In The Troops") entspreche nicht den Standards der Zeitung. Ein "überstürzter redaktioneller Prozess" habe zur Veröffentlichung des Meinungsbeitrags geführt. Cotton hatte unter anderem geschrieben: "Vor allem eins wird die Ordnung auf unseren Straßen wiederherstellen: eine überwältigende Machtdemonstration, um Gesetzesbrecher zu vertreiben, festzunehmen und schließlich abzuschrecken".

Die Zeitung entschuldigte sich für den Gastkommentar und berichtete, dass James Bennet, der Leiter der Meinungssparte, den Beitrag vor der Veröffentlichung nicht gelesen hatte. In der Anmerkung hieß es außerdem:

Die Überschrift – sie wurde von The New York Times und nicht von Senator Cotton geschrieben – war brandstiftend und hätte nicht verwendet werden dürfen. Schließlich haben wir weder im Text noch in der Präsentation einen angemessenen zusätzlichen Kontext angeboten, der den Lesern hätte helfen können, die Ansichten von Senator Cotton in einen größeren Diskussionsrahmen zu stellen.

Viele Redaktionsmitarbeiter gaben zu, sie hätten den Artikel vor seiner Veröffentlichung nicht gekannt. Mehr als 800 Angestellte unterzeichneten einen Protestbrief, der an die Nachrichten- und Meinungsredaktion und an den Verleger adressiert war. Sie kritisierten den Meinungsartikel offen in den sozialen Netzwerken, obwohl es laut Unternehmensrichtlinien untersagt ist, parteipolitische Kommentare abzugeben. So schrieb die Journalistin Nikole Hannah-Jones:

Ich werde wahrscheinlich Schwierigkeiten bekommen, aber nichts zu sagen, wäre unmoralisch. Als schwarze Frau, als Journalistin, als Amerikanerin schäme ich mich zutiefst, dass wir das veröffentlicht haben.

Die Kolumnistin Michelle Goldberg bezeichnete Cotton in ihrem Artikel "Tom Cottons faschistischer Meinungskommentar" ("Tom Cotton’s Fascist Op-Ed") als "Feind der liberalen Demokratie". Goldberg schrieb:

Die Gefahr, über die meine Kollegen getwittert haben, ist echt. In ganz Amerika wurden in der letzten Woche friedliche Demonstranten und Journalisten von Polizisten im Namen von Recht und Ordnung brutal angegangen.

Schließlich kündigte James Bennet mit sofortiger Wirkung. Der Verleger der New York Times, Arthur Gregg Sulzberger, erklärte am Sonntag, die Zeitung sei Bennet für seine Leistung seit Mai 2016 dankbar. Nun werde die Journalistin Katie Kingsbury die Meinungssparte kommissarisch führen.

Ein Twitter-Nutzer schrieb sarkastisch: "Ich kann nicht glauben, dass die New York Times US-Militärpropaganda veröffentlichte". Dazu teilte er mehrere alte Überschriften aus der Meinungssparte wie "Syrien bombardieren – auch, wenn es illegal ist" oder "den Iran bombardieren, um iranische Bomben aufzuhalten".

Seit fast zwei Wochen kommt es in vielen US-Städten zu Protesten gegen Polizeigewalt und Rassismus. Auslöser war der Tod des Afroamerikaners George Floyd bei einem brutalen Polizeieinsatz in Minneapolis, US-Staat Minnesota, am 25. Mai. Die Proteste arteten zum Teil in Ausschreitungen und Plünderungen aus.

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