"Wir sind entsetzt über die fortgesetzte Anwendung harter und manchmal gewalttätiger Maßnahmen der Polizei gegen Journalisten, die ihre Arbeit tun. Dies sind direkte Verletzungen der Pressefreiheit, eines grundlegenden verfassungsmäßigen Wertes der Vereinigten Staaten", erklärte Carlos Martinez de la Serna, Direktor der Nichtregierungsorganisation Komitee zum Schutz von Journalisten (CJP) in New York.
Seit dem 29. Mai hat die NGO mindestens 125 Verstöße, darunter 20 Verhaftungen, gegen Journalisten verzeichnet, die über die Proteste berichteten, die durch den gewaltsamen Tod des Afroamerikaners George Floyd in Polizeigewahrsam ausgelöst wurden.
Die Polizei habe "Dutzende weitere" Reporter mit Tränengas, Pfefferspray oder Gummigeschossen beschossen, selbst nachdem sie ihre Presseausweise gezeigt hatten, so CPJ unter Berufung auf verschiedene Quellen. Die Erklärung wurde abgegeben, nachdem lokale und internationale Medien berichteten, dass ihre Journalisten während der Protestkundgebungen und des darauffolgenden Chaos angegriffen wurden.
Auch Nick Waters von der Internetplattform Bellingcat dokumentiert in einem Twitter-Thread die Fälle von Polizeigewalt gegen Journalisten.
Es sei zwar möglich, dass es sich bei einigen Vorfällen um ein Versehen gehandelt habe, so Waters, jedoch seien in der Mehrzahl der Fälle die Journalisten eindeutig als Pressevertreter zu identifizieren gewesen. Laut Waters wurden sie absichtlich ins Visier genommen.
Auch deutsche Journalisten wurden in den USA von Polizisten angegriffen. In Minneapolis im US-Bundesstaat Minnesota beschoss die Polizei ein Team der Deutschen Welle (DW) mit Gummigeschossen. Der Reporter Stefan Simons sendete gerade einen Livestream, als das Team unter Beschuss geriet.
In einem auf Twitter veröffentlichten Video ist zu sehen, wie der Reporter von hinten angeschossen wird, obwohl er eine Schutzweste mit gut sichtbarer Aufschrift "Presse" trägt. Daraufhin dreht sich Simons um und ruft den Polizisten zu: "Wir sind von den Medien. Hört auf, auf uns zu schießen!" Später ist noch zu sehen, wie die Polizisten dem Team mit einer Festnahme drohen.
Auch zwei Mitglieder eines Reuters-Fernsehteams wurden vergangene Woche in Minneapolis mit Gummigeschossen beschossen. Ein Reporter der russischen RIA Nowosti wurde ebenfalls angegriffen. Ein Nachrichtenteam von CNN wurde während der Berichterstattung über die Unruhen in Minneapolis gar "live verhaftet".
In einem besonders brutalen Fall verlor eine Journalistin sogar ein Auge. Die freie Fotografin Linda Tirano wurde von Gummigeschossen am linken Auge getroffen. "Ich nahm kurz meine Kamera runter, dann explodierte etwas in meinem Gesicht", sagte Tirano gegenüber der New York Times. "Ich spürte sofort Blut über mein Gesicht laufen und schrie: 'Ich bin Presse! Ich bin Presse!'"
Auf Twitter teilte die Fotografin ein Foto von ihrem Gesicht und schrieb, dass sie trotz einer Notoperation dauerhaft erblindet sei. Ihren Angaben zufolge konnte man sie sehr eindeutig als Presse identifizieren. "Die Polizei hat deutlich klargestellt, dass es ihnen egal ist, ob man Journalist im Dienst ist", schreibt Tirano. Erinnerungen an ähnliche Vorfälle in Frankreich während der Gelbwesten-Proteste werden wach.
Mehrere Organisationen zeigen sich deutlich besorgt über die Vorfälle. Die Jury des renommierten Pulitzer-Preises mahnte an, die Rechte von Journalisten in den USA zu achten. "Es ist von entscheidender Bedeutung, dass Journalisten ihre im Rahmen des Ersten Verfassungszusatzes geschützte kritische Funktion sicher wahrnehmen können, um öffentliche Ereignisse in einer Zeit tiefer Spaltung und öffentlicher Spannungen zu dokumentieren", hieß es in einer Mitteilung, die am Montag veröffentlicht wurde.
Die Jury des Pulitzer-Preises forderte die Behörden auf, die Vorfälle im Zusammenhang mit Journalisten zu untersuchen und "die Verantwortlichen für jegliches Fehlverhalten zur Rechenschaft zu ziehen". Die Pulitzer-Preise werden vor allem für journalistische Arbeiten vergeben. Die Preisträger bestimmt eine Jury, die an der New Yorker Columbia-Universität angesiedelt ist. Auch Reporter ohne Grenzen verurteilte in einer Pressemitteilung das Vorgehen der US-amerikanischen Polizei scharf.
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