Mithilfe eines ausgeklügelten Punktesystems und ausgefeilten Algorithmen bewertet die weltgrößte Biosupermarktkette Whole Foods die Gefahr einer gewerkschaftlichen Organisation in einzelnen seiner Filialen. Zu diesem Ergebnis kommt eine Recherche des US-Nachrichtenportals Business Insider.
Business Insider soll Einsicht in interne Dokumente des Unternehmens haben, die belegen, dass Whole Foods spezifische Informationen zu einzelnen Filialen sammelt, um daraus eine sogenannte "Heatmap" herzustellen. Mithilfe dieser digitalen "Heatmap", eine Art Landkarte der USA, kalkuliert das Unternehmen offenbar das "Risiko" einer gewerkschaftlichen Organisation in seinen jeweiligen Filialen.
Bei den dafür gesammelten Informationen soll es sich um mehr als zwei Dutzend Metriken handeln, darunter Loyalität der Mitarbeiter, Umsatz, ethnische Vielfalt, Anrufe bei der Personalabteilung, Nähe zu einem Gewerkschaftsbüro und von der lokalen Arbeitsschutzbehörde registrierte Verstöße in den Filialen.
Zudem soll die "Heatmap" auch lokale wirtschaftliche und demographische Faktoren wie die Arbeitslosenquote am Standort eines Geschäfts und den Prozentsatz der Familien in dem Gebiet, die unterhalb der Armutsgrenze leben, berücksichtigen. Whole Foods hat in den USA über 95.000 Mitarbeiter und rund 510 Filialen.
Ein Erklärungstext auf der "Heatmap" soll ihre Verwendung als "Überwachungsinstrument" bestätigen, wie Business Insider schreibt:
Die [Teammitglied] Relations Heatmap ist dazu bestimmt, Geschäfte zu identifizieren, in denen die Gefahr einer gewerkschaftlichen Organisierung besteht", heißt es in der Erklärung. Diese frühe Identifizierung ermöglicht es, Ressourcen an die Standorte mit dem größten Bedarf zu leiten, mit dem Ziel, das Risiko zu mindern, indem Herausforderungen frühzeitig angegangen werden, bevor sie problematisch werden.
Auf eine Anfrage des Nachrichtenportals soll Whole Foods keine Auskünfte darüber gegeben haben, was mit "Ressourcen" in diesem Zusammenhang gemeint ist. Business Insider zitiert jedoch aus einer Erklärung von Whole Foods, in der es heißt, dass die "überwältigende Mehrheit" der Mitarbeiter des Unternehmens eine "direkte Beziehung" zum Unternehmen einer gewerkschaftlichen Vertretung vorziehen würden.
Die Art und Weise, wie Whole Foods versucht, gewerkschaftlicher Organisation zuvorzukommen, ist nichts Ungewöhnliches in den USA. So erwähnt Business Insider in seinem Beitrag das Beispiel Walmart – der US-Einzelhandelsriese beauftragte aus Angst vor Streiks einen privaten Geheimdienst des US-amerikanischen Technologie- und Rüstungsunternehmens Lockheed Martin, um Informationen zu sammeln und die "Gefahr" richtig einschätzen zu können.
Zwar schützten die US-Gesetze das Recht der Beschäftigten auf gewerkschaftliche Organisierung. Gleichzeitig ist es aber auch nicht verboten, dass Unternehmen die gewerkschaftliche Organisierung von Arbeitnehmern überwachen und sogar dagegen vorgehen – solange die Gegenmaßnahmen nicht in Bedrohungen, Zwang, Einschränkungen und Behinderungen ausarten.
Laut Business Insider, das sich auf Zahlen des US-amerikanischen Economic Policy Institute stützt, gaben US-Unternehmen zwischen 2014 und 2017 mindestens 100 Millionen US-Dollar für sogenannte "Beratungsdienste" aus, deren Zweck die Verhinderung von gewerkschaftlicher Organisation war.
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