Strache-Sturz, Iran-Krise, Bayer-Demontage: Ein Wochenrückblick auf den medialen Abgrund

Der österreichische Vizekanzler, die Iran-Eskalation und das Straucheln des Bayer-Konzerns: Vor allem diese Themen boten den Mainstreammedien in dieser Woche Anlass für eine verzerrende Berichterstattung.

von Thomas Schwarz

Zum bodenlosen Sturz des österreichischen Vizekanzlers und FPÖ-Politikers Heinz-Christian Strache über die Video-Affäre soll hier zunächst angemerkt werden: Straches Verhalten und seine Äußerungen sind in mehrerer Hinsicht schockierend – zum einen wegen der politischen Verführbarkeit und auch Skrupellosigkeit, die sich in Straches Statements offenbaren. Zum anderen wegen der grotesken Naivität, die scheinbar noch immer selbst unter Berufspolitikern vorherrscht. Straches Rücktritt war aus beiden Gründen unumgänglich. Dieses eindeutige Urteil lässt aber nicht die zahlreichen Fragen in den Hintergrund treten, die mit dem dubiosen Video-Vorgang verbunden sind, und die sich auch an die großen deutschen Medien richten.

Der (scheinbare) Coup zum Thema "russische Einflussnahme" von Spiegel und Süddeutscher Zeitung (SZ) hat die Politik Österreichs diese Woche gründlich ins Chaos gestürzt: "Auf heimlich aufgenommenen Videos von 2017 versprach Österreichs heutiger Vizekanzler Heinz-Christian Strache nach Informationen von Spiegel und SZ einer vermeintlichen Investorin aus Russland öffentliche Aufträge." Sicher an dem in vielerlei Hinsicht dubiosen Vorgang ist zunächst vor allem, dass er mindestens ebenso viele Fragen aufwirft, wie er beantwortet. Im Fall Strache wären die Fragen etwa jene nach den Urhebern der Videofalle – diese Urheber werden "aus Gründen des Quellenschutzes" bisher nicht genannt. Oder danach, warum das zwei Jahre alte Video erst jetzt veröffentlicht wird. Einige dieser drängenden Fragen stellt Telepolis.

Fall Strache deutet eher auf westliche Urheberschaft

Ein Beweis für die seit Jahren an die Wand gemalte russische Einmischung in westliche Demokratien ist der Vorfall aber trotz des ausgelösten Chaos nicht: Denn die (unbekannten) Initiatoren des Videos waren wohl ebenso wenig Russen wie die Protagonistin der mühevoll erstellten Falle. Auch zählen die Russen nicht zu den Profiteuren des Vorgangs. So ist die Episode mutmaßlich ein Beispiel, bei dem die westlich initiierte Panik vor russischer Wahlbeeinflussung von mutmaßlich westlicher Seite für Wahlbeeinflussung genutzt wurde. In diese Richtung spekuliert etwa das österreichische Blatt Die Presse : "Geheimdienstler, mit denen Die Presse sprach, tippen auf eine Inszenierung eines westlichen Geheimdienstes."

Bewiesen ist durch die Inszenierung vor allem die Offenheit westlicher Politiker – oder auch nur jene Straches – für politische Korruption. Ob diese Offenheit aus "ideologischen" Gründen explizit und nur gegenüber Russen besteht, darüber sagt die Episode wenig aus: Etwa zur Frage, ob sich Strache auch gegenüber einem Abgesandten von US-Konzernen zu Zugeständnissen hätte hinreißen lassen.

Die Frage, ob ähnliche Vorgänge unter anderen Vorzeichen ebenso skandalisiert würden, stellt Telepolis:

Wie oft kommen die angesprochenen Machenschaften – verdeckte Parteienfinanzierung, illegale Absprachen bei Staatsaufträgen, Einflussnahmen bis hin zu explizit politischen Stellenbesetzungen bei 'unabhängigen' Medien (wir reden also nicht vom ORF!) – tatsächlich in Österreich und anderswo vor?"

Egal, wie diese Fragen beantwortet werden – eines ist bereits jetzt absolut sicher: Durch die Video-Episode wurden die Menschen Zeuge einer "einmalige(n) Selbst-Demontage eines Ex-Vizekanzlers".

Kompromat – eine "vom russischen Geheimdienst perfektionierte" Technik

Dass der Vorgang offensichtlich/mutmaßlich nicht von Russen initiiert wurde, hält die Welt nicht davon ab, die Vorgehensweise als "vom russischen Geheimdienst perfektioniert" zu beschreiben. Das Sammeln von Kompromat soll dadurch als etwas genuin "russisches" dargestellt werden – obwohl im konkreten Fall das Kompromat doch scheinbar von westlicher Seite initiiert, gesammelt, geparkt und nun strategisch/politisch eingesetzt wurde.

Andererseits ordnet die Welt das Geschehen aber richtig ein:

Derjenige, der Strache die Falle gestellt hat, hat viel investiert. Über einen längeren Zeitraum haben die unbekannten Aktivisten das Vertrauen des FPÖ-Politikers Johann Gudenus gewonnen, um schließlich Strache zu treffen. Zuvor haben sie Legenden geschaffen, eine Villa auf Ibiza angemietet, Überwachungstechnik bereitgestellt. All das kostet Geld, Zeit, Mühe."

Drängende Fragen an die beteiligten Medien

Der Vorgang wirft laut Welt Fragen auf, die "politischer und medienethischer Natur" seien, so die Springer-Zeitung überraschend zutreffend. Die dubiose Rolle und das rätselhafte Vorwissen des Satirikers Jan Böhmermann scheint eher ein Nischenthema. Die für diese Kolumne besonders interessanten medien-ethischen Fragen lauten eher, warum das Video zwei Jahre lang zurückgehalten wurde, ehe es Spiegel und Süddeutsche Zeitung unmittelbar vor der Europawahl veröffentlichen konnten. Wichtig ist auch die Frage, ob es eine gute Sache ist, wenn diese beiden Medien für die gemeinsame/parallele Veröffentlichung des Kompromats vorübergehend ihre Konkurrenz aufgeben – sozusagen für die "gute" Sache?

Zur grenzwertigen Rolle der Medien betont die Zeitung:

Bei dieser Aktion wurde nicht nur recherchiert, hier wurde vor allem inszeniert: Wer auch immer dahintersteckt, kann sich nicht auf die Rolle eines Journalisten zurückziehen, der zufällig (oder absichtlich) dabei war, als Strache seine demokratiefeindlichen Pläne absonderte. Die Situation wurde vielmehr bewusst geschaffen, um Strache bloßzustellen."

Inhalt des Videos soll dubiose Erstellung rechtfertigen

Solche Fragen nach der eigenen Berufsethik würde die FAZ dagegen gern umgehen. In diesem Bemühen vermischt die Zeitung unseriös die Fragen nach dem Gesprächsinhalt einerseits und der Entstehung des Videos andererseits. So soll indirekt durch den skandalösen und peinlichen Gesprächsinhalt die dubiose Entstehungsgeschichte gerechtfertigt werden: 

Alles, was Österreichs ehemaliger Vizekanzler in dem Ibiza-Video gesagt hat, disqualifiziert ihn für jedes öffentliche Amt. Das gilt unabhängig davon, wer ihm die Falle gestellt hat."

Zum besseren Verständnis und zur realistischen politisch-moralischen Einordnung (Achtung: "Whataboutism") sollte die Episode zusätzlich aus einem anderen Blickwinkel betrachtet werden: Angenommen es käme heraus, dass sich der russische Geheimdienst mühevoll an Norbert Röttgen herangepirscht hat. In einem fingierten Treffen hätte dann ein angeblicher/gespielter Google-Mitarbeiter politische Schützenhilfe für (fortgesetzte) Steuerbefreiungen angeboten. Das davon erstellte Video wäre jahrelang archiviert worden, um es zu einem strategischen Zeitpunkt zu veröffentlichen. Würde dieser Vorgang nicht alle Kriterien jener versuchten Einflussnahme erfüllen, die man Russland so intensiv vorwirft? Und würde diese Facette des Vorgangs in westlichen Medien nicht so massiv überbetont werden, dass eventuelle Politiker-Zusagen an US-Interessen dahinter möglichst versteckt würden?

Noch mehr "russische Einmischung": Russland und die deutsche Antifa

Der Fall Strache war in dieser Woche nicht der einzige Versuch, kurz vor der EU-Wahl "russische Einflussnahme" zu instrumentalisieren. Basierend auf einem Artikel der New York Times vermeldeten auch große deutsche Medien russische Angriffe auf die EU-Demokratie. Laut Spiegel etwa "setzt Russland vor der Europawahl auf Manipulation im Internet. Dem Bericht zufolge unterstützt der Kreml nicht nur die AfD – sondern auch lokale Antifa-Gruppen". Und der Deutschlandfunk meldet brav: "Die Hinweise darauf, dass Moskau hinter einem Großteil der 'Fake News' und Desinformationskampagnen steht, mehren sich." Die NachDenkSeiten monieren bei dieser Kampagne nicht nur die fehlende logische Basis:

Noch seltsamer ist, dass diese Verschwörungstheorie offenbar auch vollkommen losgelöst von jeglichen Evidenzen daherkommt. Selbst nach mehrmaligem Lesen ist mir immer noch nicht wirklich klar, worin die Querverbindung zwischen den beiden Antifa-Gruppen und Russland nun eigentlich bestehen soll."

Kriegsvorbereitung gegen den Iran?

In dieser Woche ereilte viele Medienkonsumenten ein böses Déjà-vu. Anscheinend zur Kriegsvorbereitung gegen den Iran wurden diverse dubiose und unbelegte "Krisen"- und "Sabotage"-Vorfälle in zahlreichen Medien verbreitet. Das allein wäre nicht überraschend. Überraschend hingegen ist die kritische Distanz einiger Zeitungen aus der zweiten Reihe zu diesen Meldungen – hier scheinen einige Medien eine Lektion aus den Lügenkampagnen vor den Golfkriegen gelernt zu haben. Darauf spielt etwa die Rheinpfalz an:

Es häufen sich nebulöse Andeutungen der Amerikaner über 'Hinweise' auf iranische Angriffspläne. Die Aufregung über Sabotage gegen Öltanker zeigt, wie angespannt die Lage ist. Es fehlt eigentlich nur noch, dass Pompeo wie Colin Powell 2003 im UN-Sicherheitsrat Kriegsgründe darlegt, die es nicht gibt."

Und auch der Mannheimer Morgen zieht die richtigen Parallelen, setzt aber eine möglicherweise verfrühte Hoffnung in die Vernunft der Europäer:

Die Lage erinnert fatal an die vor 16 Jahren. Damals führte US-Präsident George W. Bush erst einen verbalen und dann einen realen Feldzug gegen den Irak. (…)  Einen Unterschied gibt es diesmal allerdings: Sollte der US-Präsident tatsächlich einen Krieg im Nahen Osten anzetteln, müsste er – anders als damals Bush – ohne militärische Unterstützung der Europäer auskommen."

"Stoppt den Massenmord!"

Eine der besseren Einordnungen zum Vorkriegsgeschehen liefert der Infosperber. Und einen etwas größeren Bogen vom Iran bis nach Venezuela spannt Oskar Lafontaine, der das Ende der deutschen Unterstützung für "Massenmörder" fordert. Lafontaine betont, eine Studie habe ergeben, dass die von den USA über Venezuela verhängten Sanktionen zum Tod von 40.000 Menschen führten. "Die Sanktionen werden von der EU und auch von Maas unterstützt. Ab wann ist man eigentlich ein Massenmörder? Ab 100 Toten? Ab 1.000 Toten? Ab 10.000 Toten? Ab 40.000 Toten?", so der LINKE-Politiker. Lafontaine folgert auch für andere Konflikte:

Die deutsche Politik wäre nur glaubwürdig, wenn sie den USA die Nutzung ihrer Militärbasen auf deutschem Boden und die Überflugrechte, die für das Morden in vielen Ländern notwendig sind, endlich verweigern und die grundgesetzwidrige Beteiligung der Bundeswehr an US-geführten Kriegen beenden würde."

Solchen "Zersetzungs"-Versuchen gegen die NATO sollen mutmaßlich "Studien" und Artikel wie der folgende entgegenwirken: "Der NATO-Austritt Amerikas würde Europa mehr als 350 Milliarden Dollar kosten", vermeldete die FAZ und zahlreiche weitere Medien. Sie nehmen bei der gewagten Aussage eine "Studie des Londoner International Institute for Strategic Studies (IISS)" als Grundlage. Dabei wird die mutmaßlich ideologisch gefärbte "Studie" distanzlos als seriös dargestellt. Übrigens: "Das Auswärtige Amt in Berlin hatte zu der Studie angeregt und diese mitfinanziert", so der Spiegel.

Die (vorsätzliche) Naivität der "Bayer"-Berichterstattung

Scheinbar kalt erwischt wurden viele deutsche Medien in dieser Woche von den existenziellen Schwierigkeiten, in die der Bayer-Konzern durch die Fusion mit Monsanto gestürzt wurde. Die Betonung liegt auf "scheinbar", denn die Überraschung über die drohende Krise des Unternehmens erscheint geheuchelt: Bereits 2016, also vor der Fusion, wurde etwa in diesem Artikel vor den großen Gefahren für Bayer durch die Fusion gewarnt. Die Fragen danach, "wie das nur passieren" konnte, werden zudem nun offensichtlich vorsätzlich naiv gestellt.

Bayer AG: In der Hand der US-Investoren

Die Gründe für die Bayer nun möglicherweise verschlingende Monsanto-Fusion liegen in der Eigentümerstruktur: Bayer ist dominiert von US-amerikanischen Hedge-Fonds. Es waren teils die gleichen Fonds, die die Mehrheiten sowohl bei Bayer als auch bei Monsanto hielten, und die die Fusion vorangetrieben haben. Diese Struktur und die Unstimmigkeit der Aussagen vom "stupid German Money" bringt Jens Berger auf den Punkt:

Die Bayer AG war und ist zumindest gemessen an den Besitzverhältnissen gar kein deutsches Unternehmen. Vor der Fusion mit Monsanto waren die größten Bayer-Aktionäre die US-Vermögensverwaltungen BlackRock, Vanguard und die Capital Group. Genau diese drei Unternehmen waren übrigens auch – wenn auch in anderer Reihenfolge – die größten Aktionäre von Monsanto. Heute stammen nur noch 20 Prozent des Aktienkapitals aus Deutschland, die Bayer AG gehört also zu vier Fünftel internationalen Investoren wie BlackRock, Vanguard, Fidelity, Dodge & Cox oder den Staatsfonds von Singapur und Norwegen. Diese Akteure waren es auch, die für die Fusion mit Monsanto direkt verantwortlich zeichneten."

Hat man diese Informationen im Hinterkopf, wird die (wie gesagt: vorsätzliche) Naivität der aktuellen Bayer-Berichterstattung offensichtlich. So fragt die Osnabrücker Zeitung: "Ist es wirklich denkbar, dass das Bayer-Management trotz seiner großen Erfahrung im Pharmabereich die Übernahme von Monsanto komplett falsch eingeschätzt hat?" Und auch die Süddeutsche Zeitung behauptet mutmaßlich wider besseren Wissens: "Bayer wusste wohl nicht so recht, wie giftig die US-Pille ist, die der Konzern schluckte."

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