von Zlatko Percinic
Der Kampf um Venezuela ist um eine ideologische Komponente erweitert worden. Es geht nicht mehr nur um handfeste wirtschaftliche Interessen oder die sich oft schon selbst diskreditierende Sorge der westlichen Wertegemeinschaft um das Wohl der Menschen in einem Land, sondern nun auch um den bolivarischen Sozialismus. Wer die Venezuela-Rede von Donald Trump an der Florida International University vom 18. Februar 2019 gehört hat, musste bemerken, dass es dem US-Präsidenten gar nicht so sehr um seinen Amtskollegen in Caracas Nicolás Maduro als Person ging.
Während die europäischen Regierungen und Medien auf den von den USA angeführten Regime-Change-Zug aufgesprungen sind und versuchen, die Person Maduro als schrecklichen Diktator zu verunglimpfen, haben sie Trumps weitere Entwicklung in dieser Sache bisher verschlafen. Natürlich musste Trump die üblichen Lippenbekenntnisse seiner "tiefen Sorge über das Leiden in Venezuela" äußern oder auch, dass "unsere Herzen mit Hoffnung erfüllt sind", weil "Millionen von Venezolanern im Alltag" für Freiheit und Demokratie einstehen.
Nachdem er sich bei seiner Frau Melania für die nette Vorstellung und Einführung bedankt hatte, kam Trump aber gleich wirklich zur Sache:
Wir sind hier, um einen neuen Tag für Lateinamerika zu verkünden. Er kommt. In Venezuela und überall in der westlichen Hemisphäre, ist der Sozialismus am Sterben, und Freiheit und Prosperität, und Demokratie sind wiedergeboren.
Wer danach eine Überleitung auf Maduro erwartet hat, wurde enttäuscht. Stattdessen holte der US-Präsident erneut aus und attackierte den "Horror des Sozialismus und Kommunismus". Die "sozialistische Herrschaft" habe das einstige blühende Land an den Rand des Ruins gebracht, führte Trump weiter aus. Die "tyrannische sozialistische Regierung" habe Industriebetriebe verstaatlicht und den freien Markt geschlossen, während gleichzeitig eine "unbarmherzige Propagandamaschinerie" erstellt wurde. All das erwarte auch die Menschen in Kuba und Nicaragua.
Mit anderen Worten, die Sozialisten haben in Venezuela die gleichen Dinge getan, die Sozialisten, Kommunisten, Totalitäre überall getan haben wo sie eine Chance zur Herrschaft gehabt haben. Die Resultate waren katastrophal.
Insgesamt benutzte Donald Trump 29 Mal Formulierungen, in denen "sozialistisch" oder "Sozialismus" angeprangert wurde. "Maduro" hingegen wurde lediglich zehnmal namentlich in der Rede erwähnt.
Warum also dieses plötzliche Interesse am Sozialismus? Wie schon beim Kommunismus stellt diese Ideologie eine Gefahr für den Turbokapitalismus nach US-Lesart dar und muss deshalb verteufelt und bekämpft werden. Und ebenso - wie beim Kommunismus - gibt es innerhalb der Vereinigten Staaten von Amerika eine durchaus nicht zu verachtende Unterstützung für eine zumindest sozial gerechtere Politik in Washington. Damit es in den Ohren vor allem der älteren Wählerinnen und Wähler besser klingt, für die der schnörkellose Begriff "Sozialismus" negativ behaftet ist, nennt sich die neue Generation "demokratische Sozialisten". Umfragen zufolge neigen die Wähler der Demokraten eher zum Sozialismus (57 Prozent) als zum Kapitalismus (47 Prozent), während bei denen der Republikaner eine ganz klare Mehrheit (71 Prozent) für den Kapitalismus ist.
Das liege daran, dass vor allem die jungen Wähler den Sozialismus "nicht mit einem Feind der Vereinigten Staaten assoziieren", sagte Emily Ekins, Umfrageleiterin des libertären Cato Institute gegenüber Fox News. Gemeint ist damit natürlich die Sowjetunion, deren korrekter Name "Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken" lautete.
Es ist deshalb kein Zufall, dass Donald Trump in seiner Rede von "Sozialisten, Kommunisten, Totalitäre" sprach, alles Attribute, die leichter mit dem alten Feindbild Sowjetunion in Verbindung gebracht werden können. Der alte ideologische Feind muß somit wieder als neuer Feind herhalten.
Senator Bernie Sanders gilt als Ikone dieser neuen Entwicklung in den USA. Er unterlag mit seinem Wahlprogramm nur knapp der parteiinternen Konkurrentin Hillary Clinton, die als personifizierter Inbegriff des typischen neoliberalen Kapitalismus steht. Sanders Anhänger witterten - nicht ganz zu Unrecht - Betrug bei den Vorwahlen der "Demokraten". Doch seit 2016 hat sich Einiges verändert. Es gibt mittlerweile einige Politiker mehr in der Demokratischen Partei, die ebenfalls für eine sozialistische Politik sind und - falls sie sich für eine Nominierung als Präsidentschaftskandidat(in) entscheiden - den 77-jährigen Bernie Sanders Stimmen kosten werden.
Für Donald Trump und seine Strategen bedeutet diese Tendenz bei den Demokraten, dass sie versuchen werden, alte Schreckensbilder mit dem Begriff Sozialismus (wieder) zu verknüpfen. Was für absurde Ausmaße diese krampfhafte Dämonisierung nehmen kann, zeigte ein Gast bei Fox News, als er Alexandria Ocasio-Cortez, die junge Kongressabgeordnete und Mitglied der Democratic Socialists of America (DSA), mit Hitler und Stalin verglich.
Wir haben eine Gesellschaft, in der schrecklich viele Leute keine Ahnung haben, dass Stalin, Hitler, Mao Tse-Tung alle an die Macht kamen, indem sie die gleichen Dinge wie Frau Ocasio-Cortez versprachen. Und das führte zu Massenmord, es führte zur Diktatur, es führte zum Genozid. Diese Versprechen sind alte Versprechen und sie führen unweigerlich zu schlechten Dingen.
Als Bernie Sanders seine Kandidatur für die Präsidentschaftswahlen 2020 bekanntgab, ließ die nationale Presse-Sekretärin der Trump-Kampagne verlauten, dass das "amerikanische Volk eine Agenda von himmelhohen Steuersätzen, staatlich geführter Krankenkasse und Verhätscheln von Diktatoren wie in Venezuela ablehnen wird".
Nur Präsident Trump wird Amerika frei, prosperierend und sicher halten.
Dass das zumindest vorläufig vorherrschende Thema im US-Präsidentschaftswahlkampf – obwohl dieser eigentlich noch gar nicht offiziell begonnen hat – die Frage des Sozialismus und der damit verbundenen Implikationen für die amerikanische Gesellschaft als Ganzes ist, zeigt auch die prominente Rolle, die das Thema vor allem bei den Republikanern eingenommen hat. Den Startschuss für diesen "ungewöhnlich aggressiven Angriff" auf die Demokraten lieferte Trump mit seiner Rede in Florida, wie die New York Times einschätzte.
Diese Methode der Verunglimpfungen ist nicht neu. Aber der frühe Zeitpunkt und die Thematisierung deuten darauf hin, dass die republikanischen Wahlkampfstrategen das Potenzial hinter dem "demokratischen Sozialismus" durchaus als hilfreiche Bedrohungskulisse wahrnehmen. Zudem liefert diese ideologische Positionierung eine hausgemachte Legitimation für eine Interventionspolitik gegen Länder, die entweder bereits oder immer noch eine sozialistische Regierung oder eine hinreichend starke Gegenbewegung aufgebaut haben, welche - wie schon im Falle des angeblichen "Kommunismus" - von westlichen kapitalistischen Regierungen nach Kräften unterstützt wird.
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