von Klaus Hartmann
Bei dieser Zerstörung eines UN- und OSZE-Gründungsmitglieds spielte Deutschland von Anbeginn eine Vorreiterrolle – und konnte sich dabei auf eine lange, beschämende Tradition stützen.
Der deutsche Imperialismus wollte nach dem Anschluss der DDR sein außenpolitisches "Gesellenstück" machen, indem er – im Dezember 1991, in Person des damaligen bundesdeutschen Außenministers Hans-Dietrich Genscher – durch vorauseilende Anerkennung der Separation Kroatiens und Sloweniens die Führungsrolle übernahm, sekundiert von Österreich und dem Vatikan.
Aber welche Tradition war das, auf die man sich besann, um nicht mehr "wirtschaftlicher Riese, aber politischer Zwerg" zu sein? Bundeswehr-Generalinspekteur Naumann gab Anfang 1993 die Parole aus: "Es gibt zwei Währungen in der Welt: wirtschaftliche Macht und die militärischen Mittel, sie durchzusetzen." Der nächste Bundesaußenminister, Klaus Kinkel, sinnierte mit Bezug auf die "deutsche Wiedervereinigung" 1993:
Zwei Aufgaben gilt es parallel zu meistern: Im Inneren müssen wir wieder zu einem Volk werden, nach außen gilt es etwas zu vollbringen, woran wir zweimal zuvor gescheitert sind: Im Einklang mit unseren Nachbarn zu einer Rolle zu finden, die unseren Wünschen und unserem Potenzial entspricht.
Zweimal zuvor gescheitert? Ganz klar: Gemeint waren Kaiser Wilhelm II., der 1918 und Adolf Hitler, der 1945 "gescheitert" war. Noch deutlicher wurde der CSU-Politiker Edmund Stoiber:
Kohl vollendet das, was Kaiser Wilhelm und Hitler nicht erreicht haben.
Der erste "Gescheiterte", Kaiser Wilhelm II., hatte im Juli 1914 erklärt: "Mit den Serben muß aufgeräumt werden, und zwar bald". Das von Walter Kollo komponierten Lied "Die Männer sind alle Verbrecher" wurde zynisch umgetextet: "Die Serben sind alle Verbrecher, ihr Land ist ein dreckiges Loch!".Auf den Truppentransportzügen an die Front stand: "Serbien muß sterbien". Eine Obsession, eine Verirrung – oder gab es dafür "rationale" Gründe?
Ernst Jäckh, "Mitteleuropa-Vordenker" und Herausgeber der Zeitung "Das größere Deutschland", begründete den deutschen Drang nach Südosten 1916 damit, dass die "deutsche Not und Notwendigkeit südostwärts zwingt: Der Landweg über Mitteleuropa wird so der Umweg nach Übersee … als einziger und letzter Weg in die Welt … wir müssen diesen Weg gehen, suchen und sichern". Sein Gesinnungsfreund Friedrich Naumann, Namensgeber der FDP-Parteistiftung, unterstützte diese "Stoßrichtung" 1915/1916:
Alles, was an der Bagdadbahn liegt, liegt an der für uns notwendigen Linie Hamburg–Suez, die wir uns von niemandem dürfen sperren lassen". Daher seine Schlussfolgerung: "Das serbische Gebiet kann nicht als feindliches Kastell innerhalb des mitteleuropäischen Schützengrabenverbandes geduldet werden.
Im Ergebnis des 1. Weltkriegs verlor das von österreich-ungarischen, deutschen und bulgarischen Truppen angegriffene und besetzte Serbien über 1 Million Menschen, nicht weniger als 24 Prozent seiner Bevölkerung. Im 2. Weltkrieg wollte sich das faschistische Deutschland freie Hand für den Überfall auf die Sowjetunion verschaffen und drängte Jugoslawien zum Beitritt in den Dreimächtepakt (die "Achse" Deutschland-Japan-Italien) am 25. März 1941.
Nach ihrer Rückkehr aus Berlin wurden jene Regierungsvertreter von Massendemonstrationen und Streiks empfangen und wurden abgesetzt, am 5. April 1941 schloss das Land einen Freundschaftsvertrag mit der Sowjetunion. Am 6. April 1941 starteten Deutschland und Italien daraufhin ihren Balkanfeldzug mit Luftangriffen auf Belgrad. Aufgrund dessen musste sogar der für den 15. Mai 1941 geplante Überfall auf die Sowjetunion auf den 22. Juni 1941 verschoben werden, was der Wehrmacht den "Russischen Winter" bescherte. Während des 2. Weltkriegs verloren wiederum 1.690.000 Menschen in Jugoslawien ihr Leben.
Mit dem Ende der Sowjetunion beginnt die Zerstörung Jugoslawiens
Nach 45 Jahren Frieden, trotz Kaltem Krieg, begannen die Aktionen des Westens zur Zerstörung Jugoslawiens unmittelbar zur Zeit des Untergangs des sozialistischen Staatensystems in Europa. Manche Linke hatten zwar von der nun fälligen "Friedensdividende" geträumt, aber die Rechnung ohne den imperialistischen Wirt gemacht: Jugoslawien hatte seine "Puffer-Funktion" verloren, und der Sieg im "Kalten Krieg" wurde erst komplett, wenn auch die letzten sozialistischen Restbestände – mindestens in Europa – abgeräumt waren.
Bundeswehr und Bundesvereinigung deutscher Arbeitgeberverbände veranstalteten im Herbst 1991 eine gemeinsame Tagung in Fürstenfeldbruck, bei der der ehemalige Verteidigungsminister Rupert Scholz von der "unbestreitbar fundamentalen gesamtdeutschen Bedeutung des Jugoslawienkonflikts" sprach:
Wir glauben, dass wir die wichtigsten Folgen des zweiten Weltkrieges überwunden und bewältigt hätten. Aber in anderen Bereichen sind wir heute damit befasst, noch die Folgen des Ersten Weltkrieges zu bewältigen. Jugoslawien ist als eine Folge des ersten Weltkrieges eine sehr künstliche, mit dem Selbstbestimmungsrecht nie vereinbar gewesene Konstruktion.
Nachdem in Kroatien 1990 separatistische Nationalisten die Wahl gewonnen hatten, wurde ein Referendum über die Loslösung von Jugoslawien angesetzt und die Verfassung der Republik entsprechend geändert: Die Serben wurden als konstituierendes Staatsvolk gestrichen und unter die nationalen Minderheiten einsortiert. Straßen und Plätze mit Namen von Antifaschisten erhielten Namen von Ustascha-Faschisten aus dem "Unabhängigen Kroatien" der Jahre 1941 bis 1944.
Nach ständigem diplomatischem wie publizistischem Druck setzte Deutschland Ende 1991 durch, dass auch die Europäische Gemeinschaft diesen ersten Separatstaat Kroatien anerkannte. Außenminister Hans-Dietrich Genscher pries sich als "ehrlicher Makler" und behauptete, dass die von der Bundesrepublik vorangetriebene Anerkennung "den Menschen dort die Befriedung gebracht hat". Tatsächlich hat die deutsche Kampagne den Bürgerkrieg befeuert.
"Die Deutschen tragen eine besondere Verantwortung"
US-Außenminister Warren Christopher vertrat die Auffassung, "dass beim gesamten Anerkennungsprozess ... schwere Fehler gemacht wurden ... und die Deutschen eine besondere Verantwortung tragen", nach Frankreichs Außenminister Roland Dumas waren "die Verantwortlichkeiten Deutschlands und des Vatikans für die Beschleunigung der Krise offenkundig enorm." Lord Carrington, Vorsitzender der Jugoslawienkonferenz, warnte, dass eine frühzeitige Anerkennung Sloweniens und Kroatiens "der Funke sein (könnte), der Bosnien-Herzegowina in Brand setzt."
In diesem Sinne schrieb UNO-Generalsekretär Perez der Cuellar am 14.12.1991 an Genscher:
Ich nehme an, dass Sie von der großen Sorge... gehört haben,... dass eine verfrühte selektive Anerkennung eine Erweiterung des gegenwärtigen Konflikts in jenen empfindlichen Regionen nach sich ziehen würde. Solch eine Entwicklung könnte schwerwiegende Folgen für die ganze Balkanregion haben und würde meine eigenen Bemühungen und diejenigen meines persönlichen Gesandten... für friedenserhaltende Maßnahmen... ernsthaft gefährden.
Der serbische Präsident Slobodan Milošević konstatierte, dass Jugoslawien "das erste Opfer der Politik des Revanchismus" nach der Vereinigung Deutschlands wurde. Doch Deutschland munitionierte die Bürger- bzw. Stellvertreterkriege in Kroatien und Bosnien nicht nur politisch, sondern auch wortwörtlich: Angeblich "abgerüstete" Panzer des Typs T-55 sowie Kampfflugzeuge MiG-21 aus Beständen der aufgelösten Nationalen Volksarmee der DDR wurden an die Separatisten geliefert, und kamen – umgespritzt – zum Einsatz, natürlich gegen "unseren Erbfeind" Serbien.
Auch der Vatikan beließ es nicht bei frommen Wünschen. Nach Auffassung des Buchenwaldhäftlings, antifaschistischen Widerstandskämpfers und Freidenkers Emil Carlebach bestand die Rolle des Vatikan darin, dass "er 1944 vor den heranrückenden Alliierten Ustascha-Gold im Wert von 200 Millionen Dollar ‚in Sicherheit‘ brachte, es zunächst zur Fluchthilfe der Ustascha-Verbrecher ‚anlegte‘ und schließlich 1990 mit Zins und Zinseszins als Milliardengeschenk dem – dank Deutschland – neu erstandenen ‚unabhängigen‘ Kroatien zurückzahlte."
Die "führende Rolle" des deutschen Imperialismus bei der Zerstörung Jugoslawiens ist unbestritten, doch die vorgebliche Unterstützung der USA für den Erhalt Jugoslawiens war bestenfalls verbaler Art und weniger als die Hälfte der Wahrheit. Denn diese Erzählung "vergisst" die verschärfte Wirtschaftskrise Jugoslawiens in den 1980er Jahren, dessen Auslandschulden (insbesondere gegenüber dem IWF) sich auf über 30 Milliarden DM beliefen. Die Hochzinspolitik der USA bewirkte, dass Jugoslawien seine Zinsrückzahlungen nicht mehr leisten konnte und unter die Zwangsverwaltung des Internationalen Währungsfonds gestellt wurde.
Die Ausplünderung des Landes auf Grundlage der von Weltbank und Weltwährungsfonds verordneten "Reformen" zielte nicht zufällig auf Destabilisierung und Auflösung des Bundesstaates. Bereits 1984 hatte die Reagan-Administration die jugoslawische Wirtschaft mit einer Geheimdirektive (National Security Decision Directive / NSDD 133) ins Visier genommen, berichtet Prof. Michel Chossudovsky aus Kanada:
Ihr Titel lautete schlicht: ‚Die Politik der USA in Bezug auf Jugoslawien‘ (und) stimmte im Wesentlichen mit einer früheren Direktive über Osteuropa von 1982 überein (NSDD 54). Sie forderte unter anderem fortgesetzte Anstrengungen zur Entfachung von ‚stillen Revolutionen‘ mit dem Ziel der Überwindung kommunistischer Regierungen und Parteien, während die Länder Osteuropas wieder dem Wirkungskreis des Weltmarktes unterworfen werden sollten.
So wurde der Boden für wirtschaftliches Chaos, Proteste und separatistische Tendenzen bereitet, die man nur noch fördern musste, um die Opfer in Stellvertreterkriege zu hetzen. Dies wiederum war erforderlich, um das "Eingreifen des Westens" vorzubereiten, der dann folgerichtig sein Zerstörungswerk mit der NATO-Aggression 1999 krönte.
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