Von Thomas Schwarz
Die Berichterstattung zum Maidan-"Aufstand" in der Ukraine 2013/14 ist einer der größten Medienskandale, auf die Deutschland zurückblicken kann. Er wird mutmaßlich nur noch von der aufwendigen Kampagne zum "demokratischen Volksaufstand" in Syrien in den Schatten gestellt. Der ukrainische Skandal nahm vor genau fünf Jahren seinen Ausgang: Damals, so sagt es der Medien-Mythos, wurde parallel zu ukrainischen EU-Verhandlungen eine Gruppe Studenten in Kiew von der Polizei schikaniert – daraufhin habe "das Volk" beschlossen, gegen "Korruption" und für "westliche Werte" aufzustehen. Oder, wie Golineh Atai es nannte, eine "politische Grundreinigung" vorzunehmen.
"Gereinigt" wurde damals jedoch gar nichts – im Gegenteil: In einem paramilitärisch geprägten, undemokratischen und illegalen Akt wurde die gewählte Regierung des damaligen Präsidenten Wiktor Janukowitsch brutal gestürzt. Gleichzeitig wurde einem giftigen, antirussisch geprägten Nationalismus Tür und Tor geöffnet. Zudem waren an den militärischen Bereichen des Umsturzes eindeutig rechtsextreme Kräfte zentral beteiligt. Und auch von den "normalen" Maidan-Demantranten scheuten sich viele nicht, in faschistische Losungen einzustimmen, wie man sogar in der Pro-Maidan-Doku von Sergej Losnitza beobachten kann.
Maidan-Medien-Kampagne: Der Gipfel der Heuchelei
Dieser mindestens zwielichtige Charakter der Maidan-Bewegung war von Beginn an überdeutlich – er wurde aber geleugnet und hinter kitschigen Phrasen von Demokratie und "Freiheit" versteckt: auch von einer distanzlosen und wie im Propaganda-Rausch befindlichen deutschen Presse. Jene Bürger, die auf die dubiosen Inhalte der Bewegung verwiesen, wurden als russische Agenten diffamiert. Rechtsextreme, gegen die Pegida als brav und gemäßigt gelten darf, wurden als Vorzeigedemokraten dargestellt. Es ist die alte Heuchelei, die bereits von den Kampagnen zu Syrien oder Venezuela bekannt ist: Umstürzler, die hierzulande im Gefängnis sitzen würden, sollen in anderen Ländern geduldet werden.
Dazu kommt die milliardenschwere Unterstützung des westlichen Auslands für die Umstürzler, die von den Beteiligten nicht geleugnet, aber medial verschwiegen wird. Die Heuchelei wird besonders deutlich, wenn man die aktuelle Aufregung um eine ausländische Spende für die AfD verfolgt oder die Hysterie um die weitgehend unbewiesene "russische Einmischung" in den US-Wahlkampf als Vergleich heranzieht.
Das große Schweigen: Sniper, Ausverkauf, Massaker von Odessa, "Krieg gegen das eigene Volk"
Die mediale Schützenhilfe beschränkte sich nicht nur auf den Umsturz: Auch danach wurde das Regime und der von ihm begonnene Krieg gegen den Donbass ("Anti-Terror-Einsatz") mit immer neuen Milliarden unterstützt – was medial nicht hinterfragt wurde, obwohl zur gleichen Zeit etwa Griechenland finanziell ausgehungert werden sollte. Generell haben die großen deutschen Medien sofort nach dem Putsch aufgehört, detailliert über die Ukraine zu berichten. Auch, um den zu erwartenden gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Absturz nicht schildern zu müssen. Denn wenn deutsche Journalisten die bittere Realität in der Ukraine nach dem Putsch beschrieben hätten, hätten sie immer auch an die eigene Mitverantwortung für den Umsturz erinnern müssen. Zudem waren alle großen Medien an der Unterstützung des Maidan beteiligt – es gibt daher kein Medium von Gewicht, das diese Mitschuld der Journalisten thematisieren würde.
Darum wurde auch seit 2014 in großen deutschen Medien über den Ausverkauf ukrainischer Bodenschätze und Industriebetriebe, über einen "Krieg gegen das eigene Volk", über das Massaker von Odessa, über die verweigerte Aufklärung der Sniper-Schüsse und allgemein über die fatale Abwärtsspirale, in die das Land auch von westlichen Journalisten gestürzt wurde, nur sehr unangemessen berichtet. Dieses große Schweigen der Mitverantwortlichen musste in dieser Woche allerdings unterbrochen werden – schließlich konnten die großen Medien an dem fünften Jahrestag der einst von ihnen geradezu geheiligten Maidan-Bewegung nicht ganz vorbeigehen. Dieser Widerspruch zwischen pflichtschuldiger Protokollierung und dem Wunsch, die eigene Mitverantwortung abzustreifen, äußerte sich in einem medialen Eiertanz zum Maidan.
Mediale Putsch-Unterstützer stehlen sich aus der Verantwortung
Ein von zahlreichen Medien übernommener Beitrag der Nachrichtenagentur dpa bezeichnete etwa die Ukraine als "die offene Wunde in Europa" – dass es westliche Politiker und Medien waren, die halfen, diese Wunde zu reißen, fällt unter den Tisch. Die Süddeutsche Zeitungkritisiert derweil zwar "die Korruption" und "Reformmüdigkeit" im Land. Aber einmal mehr werden auch von dieser Zeitung Defizite verzerrend unter anderem mit einer russischen "Besetzung" der Krim begründet.
Eine andere mediale Herangehensweise tut so, als sei der Maidan-Aufstand nicht mittlerweile vollkommen entzaubert. So knüpft etwa der Deutschlandfunk in einem sehr problematischen Beitrag an die Heldengeschichten vom Maidan an, die von dem Sender schon 2013 verbreitet wurden – ohne die massive Unterstützung auch des deutschen öffentlich-rechtlichen Rundfunks für den Umsturz zu thematisieren. Wiederholt wird stattdessen der "Gründungsmythos" des Maidan: "Zunächst kamen vor allem junge Leute. Am 30. November versuchten Sonderkräfte des Innenministeriums, sogenannte Berkut-Einheiten, die Proteste mit Gewalt aufzulösen. Sie gingen dabei äußerst brutal vor. Daraufhin schlossen sich auch ältere Leute der Menge an. Aus dem 'Euromaidan' wurde die 'Revolution der Würde'." Der Beitrag verniedlicht Defizite, angebliche Hoffnungsschimmer werden überhöht: "Seitdem hat sich in der Ukraine viel verändert. Nicht nur zum Besseren – doch die Zivilgesellschaft ist aktiver geworden."
Dass die nicht aufgeklärten Sniper-Schüsse mindestens verzerrend dargestellt werden, versteht sich mittlerweile fast von selbst: "Mehr als 100 Demonstranten bezahlten den Einsatz für eine gerechte Gesellschaft mit dem Leben. Das war im Februar 2014, als die Proteste nach mehr als drei Monaten friedlicher Aktion eskalierten und Scharfschützen dutzende Bürger erschossen." Auch dass niemand von der stark attackierten russischen Seite zitiert wird, überrascht nicht mehr. Ebenso wenig, dass der skandalumwitterte Arsenij Jazenjuk als ganz normaler Politiker eingeführt wird: "Er hatte die Unterstützung vieler Maidan-Anhänger und machte sich mit großem Reformeifer ans Werk."
Mediale Maidan-Kampagnen – Ein heilsamer Schock
Allgemein kann zur Maidan-Berichterstattung noch festgestellt werden: Der auch von deutschen Medien herbeigeschriebene Niedergang der Ukraine wird distanziert und wie ein selbstständiges Naturschauspiel geschildert, mit dem man nichts zu tun habe. Eines der ganz wenigen Medien, die dagegenhalten, ist RT. Der russische Staatssender übernimmt genau die Chronistenpflicht, die deutsche Medien verweigern, und beschreibt etwa hier die tatsächlichen Folgen des Umsturzes für die Bevölkerung.
Nebenbei: RT Deutsch wurde mutmaßlich unter anderem als Reaktion auf die infame deutsche Propaganda zum Maidan gegründet – insofern haben die deutschen Medienkonsumenten den Umstürzlern immerhin eine dringend benötigte weitere kritische Stimme zu verdanken. Allgemein kann man die Maidan-Episode als zwar dramatischen, aber auch heilsamen Schock bezeichnen: Zahlreiche Bürger haben als Reaktion auf die Kampagnen endlich mit "ihren" Mainstreammedien gebrochen und eine ganz neue Ebene der Medienkompetenz entwickelt. So birgt jede Krise auch Chancen.
Sollte Asyl-Debatte den neuen Finanz-Betrug kaschieren?
Nachdem der UN-Migrationspakt monatelang medial und politisch verschwiegen wurde, nimmt die Debatte um das Vertragswerk nun kein Ende mehr. Der Pakt und die verspätete und darum verunglückte Debatte soll hier aber nicht nochmals betrachtet werden, das wurde bereits in dieser und in dieser Kolumne erledigt. Stattdessen soll es um die in dieser Woche von Friedrich Merz vollzogene Instrumentalisierung des leidenschaftlich besetzten Themas Asyl gehen: Sollte mit der Fake-Debatte ums Asylrecht, von der sich Merz auch sofort wieder distanziert hat, von einem neuen ausufernden Betrug der Finanzwirtschaft abgelenkt werden?
Glaubt man dem Blogger Fefe, dann ja. Zunächst charakterisiert dieser den neuen Finanzbetrug: "Cum-Ex war nicht genug (…). Nein. Es gibt eine noch krassere Masche namens ADR. Cum-Ex und Cum-Cum sind ja schon dreist. Bei Cum-Cum-Geschäften hilft eine inländische Bank einem ausländischen Investor dabei, eine Steuerrückzahlung zu ergattern, auf die dieser keinen Anspruch hat. Der Gewinn wird aufgeteilt. (…) Cum-Ex-Geschäfte sind damit verwandt, aber weitaus komplizierter. Die Besonderheit: Eine Steuer wird einmal abgeführt und mehrfach vom Fiskus zurückgefordert. Insgesamt reden wir hier von über 30 Milliarden entgangenen Steuern. 30 Milliarden!! Und ADR ist noch krasser als das? Ja!"
Journalisten springen brav über Merz' Stöckchen
Dann kommt Fefe zum medialen Aspekt: "Warum frage ich, ob ihr das gesehen habt? Weil das nicht in den Zeitungen steht heute. Warum nicht?" Ein Tweet liefert eine mögliche Erklärung des medialen Schweigens zum Mega-Betrug: "So funktioniert Rechtspopulismus: Just an dem Abend, wo es Enthüllungen zu nem eventuell neuen Cum-Ex-Skandal gibt, attackiert @_FriedrichMerz das Asylrecht. Jetzt diskutiert die ganze Republik das Asylrecht, anstatt den womöglich X-Millionenfachen Betrug."
In der Presseschau des Deutschlandfunk konnte man in dieser Woche tatsächlich sehr schön beobachten, wie zahlreiche Medien über das von Merz hingehaltene Asyl-Stöckchen sprangen und brav einen Vorschlag "diskutierten", der mutmaßlich zu keinem Zeitpunkt ernsthaft eingebracht werden sollte. Gleichzeitig fiel der Finanzbetrug medial weitgehend unter den Tisch.
Es war nicht alles schlecht
Eine Zeitung hat übrigens doch über den Finanzbetrug berichtet. Der Postillon stellt zu dem Thema gewohnt treffend fest: "Merz hinterfragt Grundrecht auf Asyl, damit niemand Grundrecht, Milliarden mit Finanztricks abzuzocken, hinterfragt". Es soll an dieser Stelle ein längst überfälliges Lob an den scharfsinnigen Satiriker gerichtet werden – auf dass noch viele Leser mit Gewinn seine Seite besuchen werden.
Ebenfalls in Zusammenhang mit Migrationspakt und Asyldebatte stand die dieswöchige Diskussion um das neue deutsche Einwanderungsgesetz. Der begeisterte mediale Gleichklang zu dem "Fachkräfte-Abwerbungs-Gesetz" soll hier nicht zitiert werden. Stattdessen wird ein kurzer Einwurf von Oskar Lafontaine präsentiert, der in den NachDenkSeiten darauf hinweist, dass sich UN-Migrationspakt und deutsches Zuwanderungsgesetz gegenseitig ausschließen: "Die Absicht, qualifizierte Fachkräfte aus Entwicklungsländern für die deutsche Wirtschaft abzuwerben, widerspricht dem viel diskutierten UN-Migrationspakt." Lafontaine fährt fort:
"Wenn man dieses Ziel ('Herkunftsländer stärken') ernst nimmt, dann kann man das beabsichtigte Einwanderungsgesetz nicht verabschieden, weil es vom Geist des deutschen Beschäftigungsnationalismus geprägt ist. Wir dürfen beispielsweise nicht Ärzte und Krankenschwestern aus Afrika abwerben, sondern sollten medizinisches und pflegerisches Personal dorthin schicken."