"Ein stilvoller Rückzug": Die deutschen Medien vermissen Merkel schon

Angela Merkel kündigt ihren Rücktritt vom Parteivorsitz an und erntet in den deutschen Medien viel Lob und Verständnis. In den Kommentaren zu Merkels Abgang spiegelt sich einmal mehr die besondere Nähe der Hauptstadtjournalisten zur Kanzlerin wider.

von Andreas Richter

Angela Merkel hat am Montag ihren Rückzug vom Vorsitz der CDU angekündigt. Damit rückt auch das Ende ihrer Kanzlerschaft näher. Die deutschen Medien kommentieren Merkels angekündigten Abgang überwiegend ebenso wohlwollend, wie sie ihre Kanzlerschaft begleitet haben. Man könnte bei der Lektüre der deutschen Presse zum Thema fast vergessen, dass Merkel mit der Ankündigung ihres Rückzugs lediglich einer parteiinternen Revolte zuvorkam. Auch ihre katastrophale Hinterlassenschaft für ihre Partei, das Land und die Europäische Union wird in diesem Zusammenhang eher nebenbei thematisiert.

"Ein unnachahmlicher Abgang", titelt etwa Zeit Online und schreibt:

Merkel, der man nachsagt, alles vom Ende her zu denken, hat die Größe bewiesen, endlich auch ihr eigenes Ende mitzudenken... Mehr noch: Merkel hat erkannt, dass mit ihr an der Spitze der Abstieg der Union zu einer 20+x-Partei unaufhaltsam und unumkehrbar gewesen wäre. Eine sicherlich schmerzhafte Einsicht – die im Umkehrschluss aber nicht bedeutet, dass all jene recht haben, die seit Jahren brüllen: 'Merkel muss weg!'

Bei Bild schwärmt Franz-Josef Wagner gewohnt überschwänglich: 

Ich habe Ihre Karriere vom DDR-Mädchen zur CDU-Vorsitzenden und Bundeskanzlerin bewundert. Heute bewundere ich Sie, wie Sie den CDU-Vorsitz aufgaben. Cool. Kein Auge tränte oder zuckte. Gelassen wie Regentropfen, die vom Dach fallen, sagte sie die Worte: Ich gebe den Parteivorsitz auf.

Spiegel Online greift den nicht nur in der CDU kursierenden Wunsch auf, auch Merkels Lieblingsrivale Horst Seehofer möge nun zurücktreten. "Lob für Merkel, Kritik an Seehofer" titelt Spon und zitiert den hessischen CDU-Landesgruppenchef im Bundestag, Michael Brand, der Seehofer für so ziemlich alles verantwortlich macht, was in der Union schiefgegangen ist (warum die CSU allerdings in einem Moment, in dem sie sich als Ruhepol einer zerrütteten Koalition präsentieren kann, ihrer Schwesterpartei den Gefallen tun sollte, ihren Vorsitzenden zu stürzen, erschließt sich dem Leser nicht).

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Die taz bringt mit der Überschrift "Wir werden uns noch nach ihr sehnen" die Gefühlslage des grün-liberalen Bürgertums auf den Punkt. Georg Löwisch lobt Merkel dafür, den richtigen Zeitpunkt zum Ausstieg gefunden zu haben:

Gegen die Bitternis der Merkel-muss-weg-Gemeinde setzt sie diesen entspannten Abgang.

Die Hannoversche Allgemeine nennt Merkel "eine Frau ohne Beispiel" und bescheinigt ihr eine besondere Glaubwürdigkeit. Die Rheinische Post lobt die Noch-Vorsitzende dafür, ihre Partei mit ihrem Rückzug "wieder in die Offensive" gebracht zu haben.

Interessant war auch die fernsehmediale Aufbereitung des Merkelschen Rückzugs, vor allem die der öffentlich-rechtlichen Sender. In der heute-Sendung des ZDF nannte die Leiterin des Hauptstadtstudios, Bettina Schausten, Merkels Entscheidung "verantwortungsbewusst und selbstbestimmt" und bescheinigte ihr einen "stilvollen Rückzug".

Elmar Theveßen, stellvertretender Chefredakteur des Senders, sekundierte im heute-journal

Ich ziehe den Hut vor Angela Merkel, weil sie heute die Größe zeigt, zu der Horst Seehofer offenbar noch nicht bereit ist und die auch Helmut Kohl nicht hatte.

Theveßen nannte Merkels Rückzug auch einen "äußerst gewieften Schachzug". Auffäliig war, dass auch Theveßen den Rücktritt Seehofers gewissermaßen als Ausgleich für Merkels Rückzug anmahnte.

Ähnlich argumentierte Tina Hassel, Leiterin des ARD-Hauptstadtstudios, im Brennpunkt zum Thema. Merkel habe für ihren Rückzug viel "Respekt und Anerkennung" erfahren. Im ersten Filmbeitrag des Brennpunkts wurde durch die Auswahl der Bilder übrigens auch Horst Seehofer für den Asylstreit in der Union und deren Wahlniederlagen verantwortlich gemacht.

Am vielsagendsten war allerdings Hassels erste Frage im Interview mit der stellvertretenden Parteivorsitzenden Ursula von der Leyen:

Wie aber kann man verhindern, dass jetzt das Erbe Merkels in der Partei komplett über Bord geworfen wird?

Diese Frage lässt sich als Ausrutscher bezeichnen, Hassel tritt hier aus ihrer Rolle der objektiven Berichterstatterin heraus, indem sie Merkels Erbe indirekt als bewahrenswert bezeichnet. Und gerade deshalb enthält die Frage alles, was man über das Verhältnis der Hauptstadtmedien zu Merkel wissen muss.

Angela Merkel ist für den medialen Mainstream die Person, die die Union nach "links" gerückt und so anschlussfähig an die Grünen gemacht hat, denen sich die meisten Journalisten verbunden fühlen. So erklärt sich, dass Merkel bei den Medienmachern immer noch deutlich mehr Sympathien genießt als im Rest der Bevölkerung.

Der Begriff "links" meint hier das kulturelle Linkssein, wie es auch die Grünen pflegen, ein Linkssein, das sich vor allem auf Genderthemen, Migration und sonstige Minderheiten kapriziert und dessen politisch-korrekte Sprache mit dem Schlagwort der "offenen Gesellschaft" den blumigen Überbau einer knallharten "marktkonformen Demokratie" darstellt.

Egal wer und was nach Merkel kommt: Diese Ausrichtung dürfte in Teilen korrigiert werden, um mit Anleihen am traditionellen Profil der Union wenigstens einen Teil der verloren gegangenen Wähler zurückzugewinnen. Wenigstens etwas von Merkels Erbe wird also, um Hassels Worte aufzugreifen, über Bord geworfen werden. Dass der Großteil der deutschen Medien Merkel schon vor ihrem eigentlichen Abgang vermisst, folgt deshalb durchaus einer inneren Logik.

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