von Neil Clark
Letzten Donnerstag war ein recht ungewöhnlicher Tag. Die USA haben einmal niemandem neue Sanktionen auferlegt. Es sei denn, ich habe es verpasst, obwohl ich mit einer Sehnenscheidenentzündung auf meinem Sofa online war.
Gegenwärtig betreiben die USA aktive Sanktionsprogramme gegen fast 20 Länder: von Weißrussland bis Simbabwe. Und wissen Sie was? Im Großen und Ganzen könnten die Gründe, die die USA für die Sanktionierung dieser Länder angeben, ebenso für die Sanktionierung der USA angewendet werden.
Schauen wir uns die kürzlich neu verhängten Sanktionen gegen den Iran an, von denen einige am 6. August in Kraft traten und weitere für den 4. November vorgesehen sind. Die finanziellen Strafen richten sich dabei gar nicht nur gegen den Iran. In einer besonders bösen, schulmeisterlichen Mobbing-Taktik zielen sie auch auf Drittländer und ausländische Finanzinstitutionen, die einfach nur mit dem Iran Handel treiben. Der Islamischen Republik wird "bösartiges Verhalten" vorgeworfen. Der Iran soll auch ein führender, wenn nicht "DER weltweit führende staatliche Sponsor des Terrors" sein.
Tatsächlich war es Teherans Verbrechen, bei der Bekämpfung des Terrorismus zu helfen, der euphemistisch als "Rebellentätigkeit" bezeichnet wird und von den USA und ihren regionalen Verbündeten in Syrien unterstützt wird.
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Wenn Sanktionen für "bösartiges Verhalten" und als "Sponsor des Terrors" verhängt werden sollen, dann sollten die USA und nicht der Iran sanktioniert werden. Wenn wir der Logik der USA folgen würden, wären automatisch gleich auch noch alle Länder und Finanzinstitute betroffen, die mit Amerika Handel treiben. Stellen Sie sich den Aufschrei aus Washington vor, wenn der Iran die Art von umfassenden Maßnahmen gegen Unternehmen und Banken angekündigt hätte, die Geschäfte mit den USA tätigen, wie sie die USA gegen Unternehmen und Banken, verhängt hat, die Geschäfte mit Teheran tätigen. Aber sie wären gerechtfertigt, wenn wir der Argumentation des US-Außenministeriums folgen würden.
Was ist eine Annexion?
Russland unterliegt seit 2014 den Sanktionen der USA. Der Kreml wurde beschuldigt, die Krim "annektiert" und die "demokratischen Prozesse und Institutionen in der Ukraine" untergraben und den "Frieden, die Sicherheit, die Stabilität, die Souveränität und die territoriale Integrität" der Ukraine bedroht zu haben.
"Man verhält sich nicht einfach im 21. Jahrhundert im Stil des 19. Jahrhundert, indem man unter einem völlig erfundenen Vorwand in ein anderes Land eindringt", erklärte US-Außenminister John Kerry, allerdings leider ohne jegliches Anzeichen von Selbstironie. Denn wenn es darum geht, unter "völlig erfundenen Vorwänden" in andere Länder einzudringen, hat es in den letzten Jahrzehnten niemand öfter oder schamloser getan als die USA mit ihren Verbündeten. Irakische "Massenvernichtungswaffen", war da was?
Im April wurde berichtet, dass die USA rund 30 Prozent der Fläche Syriens illegal besetzt haben - die Gebiete, in denen sich der größte Teil des Erdöls befindet. Hatten die Syrer darüber abstimmen können und dafür gestimmt, so wie die Bewohner der Krim? Im letzteren Fall entschied sich im Jahr 2014 eine überwältigende Mehrheit der Bevölkerung dafür, wieder zu Russland zu gehören. Nicht die Russische Duma.
Natürlich hört man niemanden von der "Annexion" Syriens oder des Irak durch die USA sprechen - "Annexionen" können nur Handlungen von "offiziellen Feinden" der USA sein.
Wer betreibt Wahlbeeinflussung?
Russland wurde auch wegen "Einmischung" in die US-Präsidentschaftswahlen 2016 sanktioniert. Unabhängig davon, dass wir noch immer keine eindeutigen Beweise dafür kennen. Aber wir haben Beweise dafür, dass sich die USA massiv in die russischen Präsidentschaftswahlen von 1996 eingemischt haben (das Time Magazine hat das sogar auf seiner Titelseite gerühmt), ganz zu schweigen von unzähligen anderen Wahlen auf der ganzen Welt und dem Sturz von Regierungen nach deren demokratischer Wahl.
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Von den USA beschuldigt zu werden, sich in die Angelegenheiten anderer Länder einzumischen, ist wie vom Glöckner von Notre Dame zum Geradesitzen aufgefordert zu werden oder von Graf Dracula über das Recht auf körperliche Unversehrtheit belehrt zu werden. Würden die US-Standards zur geforderten "Nichteinmischung in Wahlen" auf die USA selbst angewandt, dann wäre mindestens die Hälfte der Länder der Welt berechtigt, die USA zu sanktionieren.
Andererseits, wenn es tatsächlich um Einmischung von außen in den US-Wahlkampf geht: ein Land, das sich ganz sicher in die US-Politik einmischt, ist Israel. "Die israelische Intervention bei den US-Wahlen überwältigt alles, was die Russen getan haben mögen, [...] sogar bis zu dem Punkt, an dem der israelische Premierminister [Benjamin] Netanjahu direkt zum Kongress geht, ohne den Präsidenten zu informieren, und unter überwältigendem Beifall vor dem Kongress spricht, um zu versuchen, die Politik des Präsidenten zu untergraben - was mit Obama und Netanjahu im Jahr 2015 geschehen ist", sagt Noam Chomsky. Also sanktionieren die USA nun Israel? Au contraire – ganz im Gegenteil: Die tonangebenden US-Regierungspolitiker wollen die bisherigen 38 Milliarden Dollar an militärischer Hilfe für Israel aufstocken! Übrigens dieselben wichtigen US-Regierungspolitiker, die (Überraschung, Überraschung!) so scharf darauf sind, Russland immer härter zu "bestrafen"!
Schamloser Chemiewaffen-Einsatz
Die jüngsten Sanktionen der USA gegen Russland, die diese Woche in Kraft treten, beziehen sich auf den Fall Skripal, worin Washington eine klare "Verletzung des Völkerrechts" zu erkennen glaubt. Es ist auch hier wieder egal, dass keinerlei Beweise dafür vorgelegt werden konnten oder sollten, dass Russland Sergej und Julia Skripal vergiftet haben soll. Stellen Sie sich vor, der Kreml hätte Sanktionen gegen die USA verhängt, als Reaktion auf die ungeklärte Vergiftung zweier amerikanischer Bürger, die zuvor für das FSB gearbeitet hatten. Was würden die USA dazu sagen?
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Schlimmer noch, Washington fordert ernsthaft, dass Russland innerhalb von 90 Tagen beweise, keine chemischen oder biologischen Waffen mehr eingesetzt zu haben und dies auch in Zukunft nicht mehr zu tun. Wie wäre es, wenn jemand den USA solch ein Ultimatum stellen würde? Schließlich ist weltweit berüchtigt, dass und wo überall die USA chemische und möglicherweise auch biologische Waffen eingesetzt haben. Und wie selbstverständlich immer noch über Lagerbestände verfügen, nachdem sie selbst die gesetzte Frist gemäß Chemiewaffenkonvention der OPCW im Jahr 2012 verpasst haben. Russland hingegen hat laut Anerkennung durch die OPCW den Prozess der Vernichtung im Jahre 2017 abgeschlossen.
"Hilfe" für Demokratisierung Afrikas
Nun noch ein Blick nach Afrika: die USA haben Simbabwe seit 2001 sanktioniert. Alles - wie seinerzeit behauptet - wegen der Person Robert Mugabe? Nun, der 'Genosse Bob' ist ja jetzt schon seit einer Weile gegangen. Und raten Sie mal... In diesem Sommer haben die USA die Sanktionen im Vorfeld der anstehenden Präsidentschaftswahlen verlängert. Es ist damit klar, dass Simbabwe sanktioniert wird, weil es noch immer eine "falsche" außenpolitische Ausrichtung hat. Stellen Sie sich noch einmal vor, Länder würden die USA sanktionieren, weil sie diejenigen nicht mögen, mit denen die USA befreundet sind?
Ein häufiger Grund für US-Sanktionen gegen andere Länder ist auch, dass sie keine "freien und fairen Wahlen" abhalten. Und die USA? Das amerikanische politische System wird ganz ungeniert und unbestritten vom großen Geld und von mächtigen Interessengruppen kontrolliert. Bei den Demokraten und den Republikanern handelt es sich lediglich um zwei Flügel ein- und derselben kapitalgesteuerten Pro-Rüstungs- und Pro-Kriegs-Partei. Nur dass sich der eine Flügel ein wenig sozial-liberaler gibt als der andere, um dem Wähler der Illusion einer Wahlmöglichkeit zu geben. Vom Regen in die Traufe.
Wie man Menschenrechte verteidigt
Dass die USA andere Länder wegen angeblicher Demokratiedefizite sanktionieren, schlägt dem Fass wirklich den Boden aus, wenn man sich die "Wahlen" ansieht, die den amerikanischen Wählern 2016 angeboten wurde. Noch heuchlerischer ist es, wenn die USA "Menschenrechte" als Grund für die Bestrafung eines fremden Staates anführen. Dies ist schließlich das Land, das sich so sehr für die Menschenrechte einsetzt, dass es sich im Juni aus dem UN-Menschenrechtsrat zurückgezogen hat. Menschenrechte gehören bekanntlich zum Gründungsmythos der USA, beginnend mit der weitgehenden Ausrottung der Ureinwohner.
Tatsächlich sind einige der schlimmsten, auch heute noch die Menschenrechte verletzenden Staaten der Welt sehr enge Verbündete der USA, wie Saudi-Arabien und Israel, und natürlich sanktioniert Washington diese nicht, sondern stellt ihnen, selbstverständlich mit Profit, die militärische Ausrüstung zur Verfügung, die in diesen Ländern und vor allem auch in den Nachbarländern und oder 'besetzten Gebieten' mithelfen, genau diese Menschenrechtsverletzungen zu begehen. Wie war das mit den Annexionen?
"Frieden, Sicherheit, Stabilität, Souveränität und territoriale Integrität". Betrachten wir diese Worte, mit denen die USA ihre Sanktionen gegen Russland rechtfertigen, und denken wir noch einmal darüber nach, was in den letzten 30 Jahren in der Welt passiert ist. Haben sich die USA und ihre Verbündeten um die "Souveränität und territoriale Integrität" der Bundesrepublik Jugoslawien gekümmert, als sie 78 Tage lang im Jahr 1999 das Land bombardierten, um die "Unabhängigkeit" des Kosovo zu erreichen?
Haben sich die USA und ihre Verbündeten um 'Frieden, Sicherheit und Stabilität' gekümmert, als sie 2003 illegal in den Irak einmarschierten und das Land in Chaos und Blutvergießen stürzten, wobei das Massaker bis heute andauert? Haben sie sich um diese sehr edlen Werte gekümmert, als sie 2011 Libyen, bis dahin ein Land mit dem höchsten Lebensstandard in ganz Afrika, zurück in die Steinzeit bombardierten? Oder in ihren Versuchen, die Arabische Republik Syrien zu destabilisieren und zu balkanisieren?
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Die USA lieben es, andere Länder zu bestrafen. Aber sie haben keine rechtliche oder moralische Autorität, sich als Richter, als Jury und als Strafvollzug oder gar Henker in der ganzen Welt aufzuspielen. Es ist an der Zeit, dass sie nach den gleichen Maßstäben, die sie von anderen fordern, zur Rechenschaft gezogen werden, und - wo es nötig und beweisbar ist - auch mit den gleichen Strafen.
In den Worten meines Kollegen John Wight:
Nur wenn wir in einer Welt leben, in der Sanktionen gegen die Vereinigten Staaten und nicht von den Vereinigten Staaten verhängt werden, werden wir wissen, dass die Gerechtigkeit regiert.
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