Rechtfertigung des US-Verteidigungsetats? Russland als Bedrohung für das amerikanische Heimatland

Ein 716 Milliarden US-Dollar Verteidigungsetat will ordentlich begründet sein. Dass Russland als neuer/alter Hauptfeind herhalten muss, ist nichts Neues. Neu ist aber, dass wieder von einer "Bedrohung für das amerikanische Heimatland" die Rede ist.

von Zlatko Percinic

Russland wird von US-Politik und -Medien schon seit über einhundert Jahren als Gefahr für die Vereinigten Staaten von Amerika dargestellt. Ein Intimfeind allererster Güte also, von dem man eigentlich der Meinung sein müsste, alles oder zumindest fast alles zu wissen. Was für paranoide Ausmaße diese vermeintliche Angst annehmen kann, zeigte sich während der "Roten Angst" von 1917 bis 1920 und dann von 1947 bis 1957. Danach herrschte der Kalte Krieg zwischen den zwei Supermächten USA und UdSSR, in dem die Fronten geklärt zu sein schienen.

Mit der Auflösung der Sowjetunion verlor Washington unerwartet einen Feind, um den herum die gesamte Politik und Rüstungsindustrie modelliert wurde. Wer sollte nun das plötzliche Vakuum füllen und als Rechtfertigung für eine riesige Kriegsmaschinerie herhalten? Der "Krieg gegen den Terror" von George W. Bush schaffte kurzfristig ein neues Feindbild, das für den normalen US-amerikanischen Bürger aber nicht so richtig greifbar war. Wer war denn nun der Feind? Al-Qaida, die man immer wieder für besiegt erklärt hatte, die aber unter verschiedenen anderen Namen an anderer Stelle wieder aufgetaucht ist? Afghanistan und die Taliban, die man zuvor noch hofiert und deren Vertreter sogar nach Washington eingeladen hatte? Oder der Islam selbst, eine Weltreligion mit über einer Milliarde Gläubigen?  

Das alles war nichts Halbes und nichts Ganzes, nichts, das wirklich eine Rechtfertigung für eine aggressive US-Außenpolitik gewesen wäre. Was Washington brauchte, war ein Land, auf welches man sich konzentrieren konnte. Eigentlich erfüllte der Iran fast alle Anforderungen, um es zum Feind Nr. 1 der USA zu bringen. Teheran wiedersetzte sich der US-Hegemonie in der Region, sorgte mit seiner Unterstützung der Hisbollah im Libanon bereits für einen schmachvollen Rückzug der US-Marines aus Beirut und der israelischen Besatzungsmacht aus dem Südlibanon. Und es waren die Iraner, die irakische Rebellen am Bau sogenannter IED's (improvised explosive device oder unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtung) unterrichtet haben und damit der US-Besatzung im Irak tödliche Nadelstiche versetzten. Und wieder mussten die US-Streitkräfte de facto geschlagen ein Land verlassen.

Trotz allem konnte der Iran diese Lücke nicht wirklich füllen, da das Land nur eine Regional- und keine Globalmacht ist. Die iranischen Stiche taten weh, sogar sehr weh, aber sie brachten die globale Stellung der Vereinigten Staaten niemals in Gefahr. Erst als Russland unter Präsident Wladimir Putin anfing, immer selbstbewusster aufzutreten, war der alte und neue Feind wieder da.

Mit Atomwaffen, modernen Waffensystemen in allen drei Gattungen (Luft, Land, See), einer gut ausgerüsteten und ausgebildeten elektronischen Militärsparte, enormen Bodenschätzen und, was vielleicht noch wichtiger ist, politischem Gewicht auf der internationalen Bühne spielt Moskau natürlich in einer anderen Liga als Teheran. Deshalb nahm Washington nach einem kurzen "Reset" unter Präsident Barack Obama nur zu bereitwillig den Faden dort auf, wo man ihn 1991 verloren hatte.

Während das Bedrohungsszenario in der Übergangszeit zum neuen Lieblingsfeind darin bestand, dass Russland mit politischen und wirtschaftlichen Vorhaben wie der Eurasischen Union oder dem Sicherheitsbündnis CSTO die Interessen der USA gefährdet, veränderte es sich in kürzester Zeit von einer Cyberbedrohung hin zur Gefahr für die US-Demokratie.

Mit der Planung des Verteidigungsetats für 2019 von 716 Milliarden US-Dollar brauchte das Pentagon aber mehr als nur eine politische Bedrohung. Kathleen Hicks, ehemalige für die Planung zuständige Staatssekretärin im Verteidigungsministerium, und Michael Matlaga, Mitarbeiter des "Center for Strategic and International Studies" (CSIS), einer dem US-Außenministerium nahestehenden Denkfabrik, haben nun einen Artikel veröffentlicht, eine größere Analyse, wo es aus Sicht der Rüstungsindustrie endlich um etwas geht.

Die beiden Autoren des Artikels stellen fest, dass die USA eine "Wiederauferstehung der russischen Bedrohung" erleben. Die US-Medien hätten zwar über die "Einmischung in die US-Wahlen (und) Aggressionen in anderen Bereichen" berichtet, aber über die "Gefahr für das Heimatland" durch russische Luft- und Seestreitkräfte schwiegen sie sich aus.

Hicks und Matlaga erwähnen dabei insbesondere die Atom-U-Boote der Sewerodwinsk-Klasse oder der Oscar II-Klasse und natürlich die Interkontinentalrakete SS-X-30 Satan II, die von keinem US-Abwehrsystem abgefangen werden kann. Sie sprechen auch die Modernisierung der russischen Langstreckenbomber aus der Ära des Kalten Krieges an, die immer wieder für Aufregung sorgten, wenn sie zu einem ihrer Erkundungsflüge über den USA auftauchten.

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Überhaupt sind diese Erkundungsflüge in den Vereinigten Staaten, aber auch in einigen Ländern der Europäischen Union zu einem Politikum geworden. Obwohl mit dem sogenannten "Vertrag über den Offenen Himmel" (Open Skies Treaty), der 1992 zwischen der NATO und den ehemaligen Ländern des Warschauer Paktes geschlossen wurde, als "Beobachtungsflugzeug" registrierte Flugzeuge über Hoheitsgebiete der Vertragsstaaten fliegen dürfen, kommt es immer wieder vor, dass eben auch nicht registrierte Flugzeuge zum Einsatz kommen. Als "Beobachtungsflugzeug" gilt

ein unbewaffnetes Starrflügelflugzeug, das für die Durchführung von Beobachtungsflügen benannt wurde und bei den zuständigen Stellen eines Vertragsstaats registriert und mit vereinbarten Sensoren ausgestattet ist. Der Ausdruck 'unbewaffnet' bedeutet, dass das für die Zwecke dieses Vertrags verwendete Beobachtungsluftfahrzeug nicht dafür ausgerüstet ist, Waffen zu tragen oder einzusetzen.

Neben den Beobachtungsflugzeugen gibt es laut diesem Vertrag auch "Transportluftfahrzeuge", die einen "Transitflug" über dem Hoheitsgebiet eines Drittstaates "auf dem Weg zu dem Hoheitsgebiet des beobachteten Vertragsstaats oder von dort zurück durchgeführt wird".

USA setzen den Vertrag des "Offenen Himmels" aus

Nun kam es eben vor, dass russische Langstreckenbomber wie die Tu-95 an der Küste von Alaska, Kanada oder den USA auftauchten und von den entsprechenden Luftwaffen abgefangen beziehungsweise aus dem Hoheitsgebiet eskortiert wurden. Dieser Flugzeugtyp erfüllt ganz sicher nicht die Voraussetzung eines "Beobachtungsflugzeugs", was somit einem Verstoß des Abkommens gleichkäme. Allerdings stehen die USA und ihre Alliierten Russland in dieser Art von Vertragsverletzung in nichts nach, wie die Vorfälle über Kaliningrad, dem Schwarzen Meer oder auch Südkorea zeigten.

Davon vollkommen ungerührt, forderten einige Republikaner die Aussetzung der Finanzierung der zwei registrierten OC-135B-Beobachtungsflugzeuge, was einem effektiven Aussetzen des Abkommens der USA gleichkommt. Und sie sind tatsächlich mit dieser Forderung durchgekommen.

Im neuen Verteidigungsetat wurde festgelegt, dass "keine Gelder" für die beiden US-Beobachtungsflugzeuge benutzt werden dürfen, bis Präsident Trump dem Kongress nachweisen kann, dass "Strafen gegen Russland für die vorangegangenen Verletzungen" des Abkommens des Offenen Himmels verhängt wurden. Damit haben sich die Vereinigten Staaten von Amerika aus einem weiteren internationalen Abkommen unilateral zurückgezogen, ohne dass das überhaupt irgendwie kommuniziert worden wäre. Interessanterweise begründete Washington diese Entscheidung nicht mit der vermeintlichen Verletzung des eigenen Hoheitsgebietes, sondern damit, dass Russland seit 2017 den USA den Überflug über Kaliningrad nicht mehr gewährt.

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