von Daniele Pozzati
"Fußball ist ein einfaches Spiel: 22 Männer jagen 90 Minuten lang einem Ball nach, und am Ende gewinnen immer die Deutschen", sagte Gary Lineker einst über Fußball. Mit Wahlen in Italien verhält es sich ganz ähnlich, allerdings mit einem Unterschied. In der heutigen italienischen Politik ist der Schiedsrichter entscheidend: der Staatspräsident Sergio Mattarella.
Man stelle sich vor, ein Bundespräsident in Deutschland würde die Bildung einer zweiten Großen Koalition oder irgendeiner neuen Regierungskoalition aus rein politischen Gründen verhindern … Aber genau das ist am Sonntagabend in Rom geschehen, als Präsident Mattarella die Bildung einer euroskeptischen Koalitionsregierung von Lega Nord und der Fünf-Sterne-Bewegung ablehnte.
Der Streitpunkt war angeblich, wer Wirtschaftsminister werden soll. Was diese Funktion betrifft, hatten sich die Parteichefs Matteo Salvini (Lega Nord) und Luigi Di Maio (Fünf-Sterne-Bewegung) auf den äußerst erfahrenen Ökonomen Luigi Savona geeinigt.
Präsident schwingt sich zum Bauchredner einer Schattenmacht auf
Mattarella, der die ganze Woche über verkündet hatte, er sei kein Notar und akzeptiere von Parteichefs keine Diktate bei der Ministerwahl, erklärte in der gestrigen Pressekonferenz, dass Savona als Wirtschaftsminister das Risiko eines Austritts Italiens aus dem Euro mit sich bringe.
Was lässt sich daraus schließen? Italiener dürfen den Euro nicht einmal in Frage stellen. Denn es gab im Koalitionsprogramm gar keinen Plan, aus dem Euro auszutreten. Vorgesehen waren lediglich Verhandlungen über die im EU-Stabilitäts- und Wachstumspakt festgelegte Defizitgrenze von drei Prozent. Spanien durfte diese Defizitgrenze in den letzten Jahren überschreiten. Nun wollte Rom das auch.
Italien ist wie Deutschland eine parlamentarische Republik. Daher bestehen die Aufgaben des italienischen Staatsoberhaupts z.B. in der Wahrung der Gewaltenteilung und sind sonst weitgehend symbolisch. Nur in einer Krise darf der "Presidente" sich aktiv einschalten.
Und eine finanzielle Krise oder das drohende Szenario einer solchen ist genau das, was die Finanzeliten stets pünktlich schaffen, wenn die Politik Italiens in eine unerwünschte Richtung zu laufen scheint.
Silvio Berlusconi, damals Ministerpräsident Italiens, wollte 2011 den Euro verlassen. Laut Angaben von Hans-Werner Sinn - von 1999 bis 2016 Präsident des ifo, des Instituts für Wirtschaftsforschung - hatten die Verhandlungen über Italiens Austritt aus dem Euro auch bereits begonnen.
Eine Zins-Spread-Krise folgte, worauf die Medien die angebliche finanzielle Unfähigkeit der Regierung Berlusconis beklagten. Berlusconi selbst war gleichzeitig in eine Reihe von Sex-Skandalen verwickelt, sodass er schließlich zurücktreten musste.
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Das damalige Staatsoberhaupt Italiens, Giorgio Napolitano, ersetzte ihn durch den Pro-Euro-Ökonomen und ehemaligen EU-Kommissar Mario Monti, dessen Rolle es war, die EU-Austeritätspolitik fortzusetzen, egal wie unpopulär und schließlich wirkungslos dieses Programm auch sein mochte.
Der Philosoph und politische Kommentator Diego Fusaro beschrieb den durch die EU erzwungenen Rücktritt Berlusconis als einen "Putsch der Finanzeliten", einschließlich jener im eigenen Land. Die italienische Wirtschaftslage hat sich seit damals ständig verschlechtert. Und seit der Ukrainekrise haben die Sanktionen gegen Russland und die russischen Gegensanktionen der italienischen Wirtschaft zusätzlich geschadet.
Lega und Fünf Sterne streben Amtsenthebung Mattarellas an
Schließlich kamen die libysche Migrantenkrise - ein bis zur NATO-Intervention 2011 stabiler Staat - und die damit verbundenen Sicherheitsbedenken der italienischen Bevölkerung. Die NATO dürfen italienische Politiker jedoch ebenfalls nicht kritisieren, wenn sie Regierungsposten anstreben. Sogar Kritik an den Sanktionen gegen Russland ist nicht völlig akzeptabel.
Anfang letzter Woche berichtete die italienische Zeitung Il Giornale, dass Präsident Mattarella ein Veto gegen Lega-Nord-Parteichef Matteo Salvini eingelegte habe. Aufgrund ihrer Sympathien für Russland dürften Salvini und seine Lega-Nord-Parteiabgeordneten kein Amt bekleiden, in dem ausländische Dossiers behandelt werden, also Ministerpräsident, Verteidigungs- oder Außenminister.
In der Tat befand sich im Koalitionsprogramm kein Wort über die NATO, geschweige denn über einen italienischen Austritt. Es ging nur um die Aufhebung der Sanktionen gegen Russland, und das auch nur, weil sie der italienischen Wirtschaft schaden.
Trotz allem, der gestrige weiche Putsch unterscheidet sich in einem wichtigen Aspekt vom Putsch gegen Berlusconi 2011: Es wird auch als solcher wahrgenommen. In den sozialen Medien sowie von den betroffenen Politikern.
Wofür gehen wir wählen?", fragte Di Maio in einer Videobotschaft an seine Follower, "wenn es die Banken und die Rating-Agenturen sind, die die Regierungen bestimmen." Laut Di Maio ging es nicht um Savona, sondern um ein allgemeines Veto gegen seine Partei. "Wir werden daran gehindert", sagte er in derselben Videobotschaft, "die Regierung des Wandels zu schaffen."
Nun will Di Maio im Parlament die Amtsenthebung Mattarellas vorantreiben. "Zuerst die Amtsenthebung, dann Neuwahlen", kündigte er an. "Wir sind hier, um die Souveränität des Volkes zu verteidigen", rief Salvini seinen Anhängern in Rom zu und beschwor den ersten Artikel der italienischen Verfassung, der ausdrücklich bestimmt, dass die Souveränität dem Volk gehöre. Di Maio fügte hinzu:
Nie wieder Sklave von irgendjemandem sein! Italien ist keine Kolonie, wir sind nicht Sklaven der Deutschen oder der Franzosen, der Expansion oder der Hochfinanz. An diesem Punkt, mit Ehrlichkeit, Integrität und Mut, muss das letzte Wort an die Italiener zurückgegeben werden! Ich werde nicht lockerlassen.
Das neue Schlagwort der italienischen Politik ist Souveränität
Die sogenannten populistischen Parteien wie Lega Nord und Fünf-Sterne-Bewegung werden oft als partiti sovranisti, souveränistische Parteien, und die euroskeptischen Diskurse auf Twitter und Facebook als "narrative sovraniste" bezeichnet – souveränistische Narrative.
Es sieht so aus, als ob Präsident Mattarella - und die italienische institutionalisierte Politik allgemein - es mit ihrer Unterordnung gegenüber den Finanzeliten, der EU und der NATO nun übertrieben hätten und die Spaltung zwischen italienischen Bürgern und der EU tiefer sei als je zuvor.
Der gestrige Abend markierte deshalb nicht das Ende der Euroskepsis in der italienischen Politik. Sondern einen neuen, nun sogar noch lauteren Anfang.
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