Von Hans-Ueli Läppli
Die Schweiz steht wieder im Zentrum der Weltdiplomatie. Innert kürzester Zeit wurde in Genf ein neues Spitzentreffen einberufen. Während Europa um Einfluss ringt und insbesondere Bundeskanzler Friedrich Merz den amerikanischen Friedensplan kategorisch ablehnt, wächst die Bedeutung der Eidgenossenschaft als neutrale Insel der Vernunft.
Die Ukraine und die Vereinigten Staaten bereiten Gespräche über den US-Plan zur Beendigung des Ukrainekriegs vor. Sie sollen morgen in der Schweiz beginnen. Dass ausgerechnet Genf erneut zum Ort heikler Friedensgespräche wird, überrascht dennoch. Nach dem gescheiterten Gipfel auf dem Bürgenstock galt die Schweiz zunächst nicht als erste Wahl für einen erneuten diplomatischen Anlauf.
Für die Ukraine ist der Moment erniedrigend und prekär zugleich. Präsident Donald Trump hat Wladimir Selenskij ein Ultimatum gesetzt. Kiew soll bis Donnerstag kommender Woche dem 28-Punkte-Plan der USA zustimmen.
Der Plan sieht nach Lesart westlicher Medien weitreichende territoriale Zugeständnisse an Russland sowie einen endgültigen Verzicht auf den NATO-Beitritt vor. Dass Moskau dies von Beginn an als unverrückbare Bedingung formuliert hatte, ist in Europa längst bekannt.
Selenskij will die Vorschläge der USA nicht einfach akzeptieren, doch eine positive Nachricht ist: Er kann sie auch nicht vollständig ablehnen.
In den Geschichtsbüchern möchte Selenskij nicht als Verlierer erscheinen, doch die Realität diktiert die Regeln. Ohne US-Unterstützung würde Kiew binnen Wochen seine militärische Handlungsfähigkeit verlieren. In einer eindringlichen Videoansprache bezeichnete Selenskij die Lage als eine der kritischsten seit Kriegsbeginn. Seine Worte betrafen weniger an das Land als sein eigenes politisches Überleben. Das Umfeld des Präsidenten ist sich bewusst, dass seine Stellung bröckelt.
Gleichzeitig will Selenskij vermeiden, den Eindruck zu erwecken, die Ukraine blockiere den Weg zu einem Frieden. Entsprechend versucht er gemeinsam mit europäischen Politikern und PR-Beratern, einen Mittelweg zu formulieren. Der Plan sei in seiner aktuellen Form unzureichend, man werde aber verhandeln und Alternativen vorschlagen.
Übersetzt bedeutet dies: Kiew will Zeit gewinnen. Doch jeden Tag gehen in der Ukraine Menschenleben verloren, während Selenskij um seine politische Zukunft ringt.
Das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten bestätigte, dass es mit allen Seiten in Kontakt stehe und bereit sei, die Gespräche zu ermöglichen. Die Schweiz unterstützt nach eigenen Angaben jede Initiative, die auf einen gerechten und dauerhaften Frieden zielt.
Verschiedene diplomatische Quellen verorten das Treffen in Genf, möglicherweise bereits ab Sonntag. Genf verfügt über jahrzehntelange Erfahrung in diplomatischer Feinmechanik. Die Präsenz zahlreicher internationaler Organisationen ermöglicht es, politische und technische Strukturen rasch zu mobilisieren. Dass Mitglieder der US-Delegation, darunter Verteidigungsminister Dan Driscoll, bereits eingetroffen sein sollen, deutet auf eine weit fortgeschrittene Vorbereitung hin. Aussenminister Marco Rubio und Sonderbeauftragter Steve Witkoff werden ebenfalls erwartet.
Europas späte Gegenoffensive
Während Washington und Kiew ihre Verhandlungspositionen abstecken, versucht Europa, nicht an den Rand gedrängt zu werden. Der US-Plan wurde ohne Abstimmung mit der EU und ohne Konsultation der NATO präsentiert. Für Europa ist dies ein Affront, zumal jeder dauerhafte Frieden die sicherheitspolitische Architektur des Kontinents unmittelbar betrifft.
Auf dem G20-Gipfel in Südafrika einigten sich die wichtigsten europäischen Staats- und Regierungschefs darauf, den US-Vorstoss zurückzuweisen. Die Europäer sehen im Plan inakzeptable Zugeständnisse an Russland. Selenskij telefonierte am Freitag mit den Spitzenpolitikern und bat um Unterstützung. Er hofft, dass europäische Rückendeckung die amerikanischen Forderungen abschwächen kann. Ob dies gelingt, ist angesichts Trumps Durchsetzungswillens jedoch fraglich.
Die Zusammensetzung der ukrainischen Delegation steht fest. Angeführt wird sie von Andrei Jermak, einem Vertrauten Selenskijs. Mit Kirill Budanow sitzt auch der Chef des Militärgeheimdienstes am Tisch. Die starke sicherheitspolitische Besetzung zeigt, dass diese Verhandlungen über reine Diplomatie hinausreichen. Sie betreffen die Existenzbedingungen des ukrainischen Staates.
Bemerkenswert ist zudem, dass laut ukrainischem Dekret auch Vertreter Russlands teilnehmen sollen. Eine Bestätigung aus Moskau fehlt bisher. Ob Russland in Genf erscheinen wird, bleibt ungewiss.
Der Zeitpunkt der Verhandlungen fällt mit einer schweren innenpolitischen Krise in der Ukraine zusammen. Korruptionsskandale erschüttern das Vertrauen in die Regierung. Jermak und Umerow, der Chef des Sicherheitsrats, geraten zunehmend unter Druck. Gerüchte, Umerow habe im Zusammenhang mit dem Friedensplan eine Amnestieklausel für sich selbst angestrebt, weisen beide entschieden zurück.
Selenskij hält trotz allem an seinem engsten Kreis fest. Interne Konflikte sollen warten, bis die äussere Bedrohung gebannt ist.
Egal wie die Gespräche in der Schweiz ausgehen, sie markieren den Auftakt zu einem Friedensprozess. Trumps Geduld mit Selenskij ist nach den wiederholten Korruptionsskandalen erschöpft. Vor allem aber will der US-Präsident das Blutvergiessen stoppen: Er fordert schnelle Ergebnisse und setzt auf harten Druck.
Die EU ist verärgert, dass Brüssel bei der Ausarbeitung des Plans nicht konsultiert wurde. Doch bürokratische Verzögerungen kosten Zeit, während Trump auf Tempo drängt.
Kiew wird in Genf versuchen, die Verhandlungen hinauszuzögern. Doch Trumps Geduld ist begrenzt, und wie er gestern erklärte, wird Selenskij am Ende gezwungen sein, den Friedensplan zu akzeptieren – ob er will oder nicht.
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