Der Rattenfänger aus Kiew: Ein ganz und gar nicht netter Nachruf auf Witali Korotitsch

Am Dienstag starb eine weitere Person, die einen großen Beitrag zum Meuchelmord an der Sowjetunion geleistet hat, dieses Mal ein Propagandist: Witali Korotitsch, von 1986 bis 1991 Chefredakteur der auflagenstärksten antisowjetischen Drecksschleuder im Land. Seine Geschichte zeigt, welche Rolle der ukrainische Nationalismus bei all dem spielte.

Von Alexej Danckwardt

Gewiss, die Entscheidung, wer wo im Jenseits einsortiert wird, trifft nicht der Verfasser dieses Nachrufs, und Gottes Wege sind unergründlich. Es fällt auf, dass viele von denen, die in den 1980er Jahren ihre Finger beim heimtückischen Mord an der Sowjetunion im Spiel hatten, erst in einem hohen, sehr hohen Alter das Zeitliche segneten. Das gilt für Michail Gorbatschow, das gilt für zwei von drei Unterzeichnern des Belowescher Vertrages im Dezember 1991, des Todesurteils für das Riesenland.

So, als wollte ihnen der Allmächtige noch Gelegenheit geben, die blutigen Folgen ihres Verrats in voller Tragweite zu erblicken, als gab er ihnen Zeit für Reue. Die Guten holt Gott bekanntlich früh zu sich, mit den Bösen hat er Geduld … Gottes Gnade ist groß.

Doch wenn Dante Alighieri seinerzeit korrekte Informationen über den Aufbau der Hölle zugespielt wurden, dann ist heute in ihrem innersten Kreis Grillfest. Den Neuzugang, Witali Korotitsch, kann man getrost als Julius Streicher der Perestroika bezeichnen. Was ihn fast noch schlimmer macht: Er missbrauchte das grenzenlose Vertrauen, das Sowjetbürger zu ihrer Presse hatten, für ein verräterisches Werk. Am Dienstag starb er im Alter von 89 Jahren in dem ihm verhassten Moskau. Judas, Brutus und Cassius werden die neue Gesellschaft zu würdigen wissen.

Womit er sich das verdient hat? Korotitsch war von 1986 bis 1991 Chefredakteur der Zeitschrift "Ogonjok" und machte sie, wie manche sagen, zu einem auflagenstarken "Lautsprecher der Perestroika", oder wie andere sagen, zur "Drecksschleuder", zu einer Lügenkanone, die das Bewusstsein der Sowjetmenschen zu Trümmern zerschossen hat. Die Wahrheit ist irgendwo dazwischen, aber mit Sicherheit näher an der zweiten Beschreibung: Der Erfolg des wöchentlich erscheinenden Blattes rührte aus seiner Orientierung an der westlichen Boulevardpresse, in Russland sagt man "Gelbe Presse" dazu. 

Als "sensationelle Enthüllungen" tituliert, ergossen sich seitdem allerlei Lügen, Halbwahrheiten und Verdrehungen über Gegenwart und Geschichte des Landes in die Köpfe der Leser. Die darauf in keiner Weise vorbereitet waren: Heute wissen wir, dass lange nicht alles, was auf Papier gedruckt wird, die Wahrheit ist. Es gibt subjektive Meinungen und ebenso subjektive Gegenmeinungen, Sensationsgier, Zuspitzung, Übertreibung und Irrtum. Es wird auch dreist gelogen, viel zu oft. Das zu wissen nennt sich Medienkompetenz und inzwischen hat man sie in Russland. Mehrheitlich. Für den Sowjetbürger hingegen war das in der Presse gedruckte Wort, wenn nicht die absolute Wahrheit, so doch zumindest eine Darstellung, für die der Staat mit seinem Renommee und seiner Autorität einstand. Es gab wenig Grund, an ihr zu zweifeln.

Es wäre schon schlimm genug, wenn auf eine derart naive Leserschaft völlig unsystematisch Schund à la Bildzeitung ergossen worden wäre. Aber die maßgeblichen Protagonisten, auch Korotitsch selbst, gaben später unumwunden zu, dass die Redaktionspolitik in der Presse der Perestroika-Zeit einem ausgeklügelten Programm folgte, das festschrieb, wie Punkt für Punkt, Schritt für Schritt das ideologische Fundament des Landes demontiert werden konnte. Am Schluss war nicht nur der Kommunistischen Partei und dem sozialistischen System, sondern der Existenz des Landes an sich jede Legitimität entzogen. Es wurde nicht mehr als Unterpfand des eigenen Lebens in Sicherheit und (wenn auch bescheidenem) Wohlstand betrachtet.

Vom "Fest der freien Meinungsäußerung" kann in dem Zusammenhang übrigens entgegen landläufiger Illusion über Gorbatschows Glasnost keinerlei Rede sein: Gegenmeinungen ließ Korotitsch nicht zu. Drangen sie ausnahmsweise mal in anderen Presseerzeugnissen durch, was äußerst selten vorkam, wurden sie und ihre Träger lächerlich und verächtlich gemacht. Wir kennen es aus der Corona-Zeit, wie es funktioniert. Und Korotitschs "Ogonjok" war beim Rufmord an Andersdenkenden immer mit dabei – an vorderster Front.

Seinen Judaslohn ausgezahlt bekam der antisowjetische Streicher kurz bevor sein Auftrag das bestellte Ergebnis brachte. Die Umstände entbehren dabei nicht einer gewissen Komik: Der Lieblingspropagandist Jakowlews (Jakowlew gilt zu Recht als graue Eminenz der Perestroika) bekam von ihm stets eine Warnung, wenn es im Inneren zu heiß wurde und er lieber für ein paar Wochen untertauchen oder sich ins Ausland absetzen sollte. Das gab Korotitsch später selbst zu. So auch während des August-Putsches im Jahr 1991. Vorgewarnt, organisierte er sich eine Dienstreise in die USA und "verpasste" den ausgerechnet für den 19. August geplanten Rückflug. In den USA blieb er dann für ganze sieben Jahre und wurde umgehend mit einer gut dotierten Professur einer Universität in Boston ausgestattet. Bekommt ja jeder, der in die USA reist, oder etwa nicht?

Das "Ogonjok"-Kollegium setzte ihn am 26. August 1991 wegen "Feigheit" ab.  

Korotitsch ist zugleich ein exzellentes Beispiel für den Einfluss, den Ukrainer in den sowjetischen Eliten hatten, und für die Rolle, die der ukrainische Nationalismus bei ihrem Zerfall spielte. Geboren wurde er nämlich in Kiew und war – obschon von Hause aus russischsprachig – zeitlebens überzeugter Anhänger der ukrainischen nationalen Idee. In der ukrainischen Hauptstadt reifte Korotitsch in den 1960er und 1970er Jahren auch als Journalist und Literat, nach außen linientreu und Parteimitglied, aber stets mit dem sprichwörtlichen Stinkefinger, den er gut in der Hosentasche zu verstecken wusste. Parallel dazu war er KGB-Zuträger, aber so was rundet das Bild bei fast allen Figuren dieses Typs ab.

Kiew, nicht Moskau, war es auch, in das er im Jahr 1999 aus den USA zurückkehrte. Dort betätigte er sich bis 2014 als Chefredakteur eines weiteren Schundblattes namens "Gordons Boulevard", so benannt nach dem Gründer und Eigentümer Dmitrij Gordon, einem der übelsten und schmierigsten Maidan-Propagandisten. Erst als es in der Ukraine zu heiß wurde, siedelte Korotitsch nach Moskau über und verdiente sich 2023 gar einen Eintrag in der ukrainischen Mirotworez-Todesliste. Warum auch immer, denn mit einer explizit prorussischen Äußerung ist Korotitsch nicht berühmt geworden. Der ukrainische Nationalismus frisst halt auch seine Geburtshelfer, einfach weil er Hunger hat.

Aber vielleicht gibt es etwas, das ich nicht weiß, und es gab in den letzten elf Jahren die Reue, auf die Gott so lange wartete? Er steht nun vor einem Gericht, vor dem ich kein Ankläger bin. Ruhe in … wo auch immer du einsortiert wirst.

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