Von Dagmar Henn
Wie eifrig wird gerade mal wieder die Moralkeule ausgepackt, wie eilfertig opfert abermals der Deutsche Journalistenverband jede Würde, nur um ein Fleißbildchen zu ergattern.
Da wird über Fotoreporter hergefallen, die angeblich im Vorhinein über die Hamas-Aktionen am 7. Oktober informiert gewesen seien. Als Quelle der Vorwürfe wird – auch vom DJV übrigens – eine NGO benannt, die "Honest Reporting" heißt, ihren Auftrag aber bereits bei einer schlichten Google-Suche offenlegt: "Exposing anti-Israel media bias", übersetzt, antiisraelische Medienvorurteile offenlegen.
Wer auch immer in den letzten Jahren westliche Medien konsumiert hat, konnte davon eigentlich nichts entdecken, eher im Gegenteil. Gegründet und finanziert wurde "Honest Reporting" von der Torah-Schule Aish HaTorah in Jerusalem, die selbst das englische Wikipedia (genauso israelfreundlich zensiert wie das deutsche) eine politisch konservative Organisation nennt, deren Führung eine "vollständige Übergabe der West Bank an die Palästinenser" ablehnt.
Man könnte das auch anders formulieren. "Honest Reporting" ist eine Organisation, die zur äußersten religiösen Rechten Israels gehört, den Koalitionspartnern von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu. Formell sitzt sie in den USA, das tatsächliche Büro ist in Israel. Weshalb es auch niemanden wundern sollte, dass diese "NGO" Vorwürfe erhebt, die unmittelbar im Interesse dieser Regierung sind.
Das hätte die Führung des DJV auch herausfinden können, wenn es sich dabei um Journalisten handelte. Wir reden hier von einem Rechercheaufwand von fünf Minuten. Stattdessen bläst sie ins gleiche Horn wie die extreme israelische Rechte, die gleich so weit ging, die Fotografen wie Terroristen behandeln zu wollen.
"Das sind unglaubliche Vorwürfe von immenser Tragweite", schreibt der DJV-Bundesvorsitzende Mika Beuster bezogen auf die Anwesenheit dieser Reporter beim Überfall der Hamas in der Pressemitteilung des Verbandes. "Um der Glaubwürdigkeit des Journalismus willen hoffe ich inständig, dass an den Vorwürfen nichts dran ist." Journalisten seien unabhängige Berichterstatter und nicht Kriegsteilnehmer.
Betrachten wir doch einmal, was da vorgehalten wird. Einige freischaffende Bildreporter von CNN, AP und Reuters seien bei einigen der Aktionen der Hamas am 7. Oktober dabei gewesen. Was nun zu einem ungeheuren Skandal gemacht wird.
Aber glaubt wirklich ernsthaft jemand, sie hätten einen Anruf bekommen, in dem ihnen erklärt wurde: "Hallo, hier ist die Hamas. Wir werden morgen früh um vier an dieser und jener Stelle den Grenzzaun einreißen, um anschließend auf israelischem Gebiet ein paar Leute zu entführen. Lust darauf, mitzukommen?" Wohl nicht ernsthaft.
Es gibt viele Arten, solche Leute dorthin zu bekommen, wo man sie haben will, und die meisten Ziele dieser Aktionen waren nicht weit von der Grenze entfernt, in bequemer Fußmarschentfernung. Sprich, um einen berufsmäßigen Berichterstatter, der schließlich ein desto höheres Einkommen erzielen kann, je mehr seine Bilder reproduziert werden, sprich, je exklusiver sie sind, dabei zu haben, muss man ihn nur irgendwie in die Nähe eines Ereignisses bekommen. Da reicht auch ein schlichtes "du, ich habe gehört, da und da soll etwas passieren" oder selbst eine unschuldige Verabredung aus einem ganz anderen Anlass, die in der Nähe jenes Punktes stattfindet, an dem sich plötzlich eine überraschende Bewegung ergibt. Ich würde einmal annehmen, dass das Einreißen dieser Grenzbefestigung ein paar Straßen weit wahrzunehmen war.
Kann man ernsthaft behaupten, diese Ereignisse zu dokumentieren, widerspräche journalistischer Ethik? Der Spiegel verwendet immer ein verstümmeltes Zitat: "Sagen, was ist". In Wirklichkeit stammt das Zitat von Ferdinand Lassalle und wurde gern von Rosa Luxemburg verwendet: "Die revolutionäre Tat ist, stets zu sagen, was ist." Wie verhält sich das Fotografieren der Hamas zu diesem Satz? Es ist die schlichte Umsetzung.
Der Vorwurf, den etwa der Deutschlandfunk diesen Bildjournalisten gegenüber erhebt, lautet, sie seien "embedded", eingebettet, gewesen. Diesen Begriff erfand die US-Armee nach Vietnam, als die relativ freie Berichterstattung mit dazu beitrug, dass sich in den USA große Teile der Bevölkerung gegen den Vietnamkrieg wandten. Beim Überfall auf den Irak wurde folglich sorgfältig darauf geachtet, dass die Journalisten nur das zu sehen bekamen, was die US-Armee ihnen zeigen wollte. Sie wurden bestimmten Einheiten zugeordnet und rund um die Uhr betreut. Das ist es, was "embedded" meint.
Die Dokumentation eines einzelnen Ereignisses, eines Tages, hat nichts mit diesem Begriff zu tun. Und der Kernvorwurf, der sich aus dem Begriff des "embedded" ableiten lässt, bezieht sich nicht darauf, was diese Journalisten dann berichtet oder gezeigt haben, sondern auf die Hinnahme des Umstands, dass alles Andere eben nicht gezeigt oder berichtet wurde. Das kann man gerade bezogen auf den 7. Oktober nicht sagen, denn die "andere Seite", die israelische, ist alles andere als unsichtbar oder verschwiegen.
Das wirkliche Motiv dürfte ein ganz anderes sein. Wenn man die berufliche Seriosität der beteiligten Reporter infrage stellt, dann kann man damit auch die Glaubwürdigkeit der Bilder, die sie gemacht haben, untergraben. Das wiederum ist ein womöglich wichtiger Schritt in der Auseinandersetzung um die Aufklärung dieses 7. Oktober; denn schließlich ist es denkbar, dass sie Menschen und Orte aufgenommen haben, die womöglich eben in der "anderen" Berichterstattung auftauchen und mit dazu beitragen könnten, wer nun welche Häuser gesprengt, welche Zivilisten ums Leben gebracht hat.
Die Glaubwürdigkeit von Zeugen anzuzweifeln, aus diesen Reportern also Handlanger der Hamas zu machen, ist vor dem Gericht der Welt ein ebenso wirksamer Schachzug wie vor jedem anderen Gericht auch. Natürlich zielt dieser Schachzug vor allem auf das westliche Publikum, und er wird nicht der letzte bleiben. Als Nächstes wird vermutlich dargestellt, dass all jene Journalisten in Gaza, die vor den Kameras vom Tod von Angehörigen und Freunden erfahren, ebenfalls keine legitimen Zeugen seien, weil sie ja als Araber ohnehin Partei sind und ihnen die Unabhängigkeit blütenweißer europäischer Korrespondenten abgeht. Auch wenn sie die Wahrheit, die sie berichten, oft unter Einsatz des eigenen Lebens erlangen.
Die Kombination aus einer, ganz vorsichtig formuliert, zumindest in Teilen zweifelhaften Geschichte mit derart massiv einseitiger Berichterstattung und noch einseitigerer politischer Reaktion ist nämlich nicht ganz ungefährlich. Die Glaubwürdigkeit der großen Konzern- und Regierungsmedien ist seit Jahren im Schwinden begriffen; eine Lüge bei einer derart zentralen Geschichte würde sie endgültig zerstören.
Deshalb muss der Ruf von allem und jedem, die diese Geschichte infrage stellen könnten, vorsichtshalber schon einmal beschädigt werden. Was "Honest Reporting" in Zusammenarbeit mit Abgeordneten der israelischen Knesset getan hat. Und der DJV erweist sich wieder einmal als williger Mitarbeiter.
Allerdings ist es im Grunde äußerst unvorsichtig seitens der israelischen Regierung und ihrer Freunde, diese Vorwürfe derart nach oben zu spielen. Denn es steckt noch eine ganz andere Information darin, die man entschlüsseln kann, wenn man noch einen weiteren Blick auf den Ursprung des "embedded journalism" wirft.
Das Problem, das die US-Armee mit den nicht kontrollierten Bildern aus dem Vietnamkrieg hatte, bestand nicht nur darin, dass die vielen wenig hübschen Seiten des Krieges in den Wohnzimmern landeten. Noch weitaus zentraler war das Problem, dass diese Bilder, auch zufällig, oft Belege für Kriegsverbrechen der US-Truppen lieferten, die man doch gerne vor einer Berichterstattung verborgen hätte. Wie zentral dieser Punkt ist, lässt sich auch daran erkennen, dass die unerbittliche Verfolgung von Julian Assange durch die Dokumentation eines solchen Kriegsverbrechens ausgelöst wurde.
Und nun kommen wir zur Umkehrung. Wenn, wie im Zuge dieses Skandals unterstellt, die Hamas selbst dafür gesorgt hat, dass zumindest Teile ihrer Aktion unmittelbar von Fotografen begleitet wurden, dann bedeutet das auf jeden Fall zumindest, dass die ganze Aktion mitnichten Ausdruck eines zügellosen Vernichtungswillens war, wie das große Teile der westlichen Presse berichten, sondern zumindest für jene Orte, an denen sich diese Reporter befanden, auf eine Weise geplant war, die Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht ausschloss. Andernfalls wäre das Risiko, das eine solche Dokumentation darstellt, viel zu hoch gewesen.
Was, nebenbei, zu der Tatsache passt, dass die Hamas selbst eine internationale Untersuchung gefordert hat. Selbstverständlich kann das auch ein propagandistischer Schachzug sein, der möglich ist, weil als gegeben vorausgesetzt werden kann, dass die israelische Regierung so etwas ohnehin nicht zulässt – aber die Erfahrung spricht doch dafür, dass die Seite, die sich auf eine solche Untersuchung einließe, in der Regel wenig oder nichts zu verbergen hat.
Offenkundig geht sowohl "Honest Reporting" als auch der DJV davon aus, dass das normale Publikum zu diesen logischen Umkehrschlüssen nicht fähig ist. Sonst hätte man die Finger von diesen unsinnigen Vorhaltungen gelassen, weil sie nur dem ersten Anschein nach die herrschende Erzählung stützen.
Schlimm ist allerdings, dass einige der Nachrichtenagenturen, für die diese Bildreporter gearbeitet haben, sie im Gefolge dieser Anwürfe tatsächlich fallen ließen. Denn wenn sie aus Gaza heraus arbeiten – was sie müssen, um überhaupt vor Ort gewesen sein zu können – dann bringt sie das in eine äußerst gefährliche Situation. Nicht nur die Bilder, auch die Journalisten selbst sind nämlich Zeugen, die die wirklichen Ereignisse des 7. Oktober aufklären helfen könnten. Gaza wird ununterbrochen bombardiert. Personen wie Benjamin Netanjahu könnten ein Interesse daran haben, derartige Zeugen und ihr Material zu beseitigen; in einem Bombenkrieg ist das relativ unauffällig möglich, sofern man nur den Aufenthaltsort des Ziels bestimmen kann. Diese Nachrichtenagenturen haben gerade ihr Personal auf extreme Weise im Stich gelassen.
Und der DJV, dieser bundesdeutsche Reptilienclub, hat nichts Besseres zu tun, als aus der Ferne noch einmal nachzutreten. Aber das ist ja nichts Neues.
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