Whataboutism? Nein. Eher: Wer seid ihr, dass ihr über Russland richten wollt?

Westlicher Postkolonialismus ist nur ein Deckmantel und wird abgelegt, sobald es um Profit geht – das zeigt die Reaktion Frankreichs auf das deklarierte Vorhaben der ECOWAS, die dortige Putschistenregierung zu bekämpfen. Billiges Uran liegt ja nicht eben auf der Straße.

Von Dmitri Petrowski

Frankreich ist bereit, eine Militäraktion der ECOWAS in Niger zu unterstützen. Dies erklärte kein Geringerer als Präsident Emmanuel Macron.

Halt, stopp, Moment! Was ist das denn jetzt schon wieder? Sollte da ein EU-Land, ein NATO-Land und – man scheut schon den Gedanken – die Wiege der europäischen Demokratie, sollte Frankreich doch tatsächlich eine Invasion in einen unabhängigen Staat unterstützen? Das darf ja nicht wahr sein!

Erinnern wir uns: Frankreich hat in Algerien, das es als seine Kolonie behandelte, zehn Jahre lang einen regelrechten Krieg geführt, hat im Tschad in den Jahren von 1978 bis 1980, von 1983 bis 1984 und von 1986 bis 1987 gekämpft. Und dann sind da noch Mauretanien, die Elfenbeinküste und Mali. Natürlich gab es keine Sanktionen, natürlich gab es keine Verurteilung. Klar, natürlich meldeten sich dazu alle möglichen Pazifisten zu Wort – doch heute bietet sich uns ein Bild davon, was eine Gruppe von Menschen (egal wie groß) tun kann, wenn sie keine staatliche Unterstützung genießt.

Und damals drückte keinen Weltkonzern irgendwo der Schuh, kein Geschäftsmann oder Unternehmen wurde gezwungen, irgendetwas zu "verurteilen", jeder nahm alles als selbstverständlich hin. Frankreich hat als europäische Großmacht Interessen in Afrika, und damit basta.

Okay, werden Sie sagen, das ist alles schon lange her. Seitdem ist Algerien unabhängig; auch die Sitten haben sich geändert. Jetzt verurteilen alle fortschrittlichen Länder ihre koloniale Vergangenheit und unterstützen BLM alle Art, aber ... eben nur, solange es nicht mit ihren Interessen kollidiert. Uranerz zu Wegwerfpreisen liegt ja nicht eben auf der Straße. Und dann lohnt es sich durchaus, die eigene koloniale Schuld für eine Weile zu vergessen und sich stattdessen an die Bürde des weißen Mannes zu erinnern.

Genau das rufen ja Russlands Diplomaten regelmäßig all diesen Menschen ins Gedächtnis: Was ist mit dem Irak, was mit Afghanistan, was mit Jugoslawien, zum Beispiel?

Und nein, dies ist kein Whataboutism. Dies korrekt zu formulieren, erfordert eine so ganz und gar nicht diplomatische Sprache: Who are you to fucking judge us? Wer seid ihr überhaupt, dass ihr über uns richten wollt? Kommt mal klar …

Übersetzt aus dem Russischen.

Dmitri Petrowski, Jahrgang 1983, ist ein russischer Roman- und Drehbuchautor sowie Publizist. Er studierte deutsche Philologie in Sankt Petersburg und Berlin, wo er ab dem Jahr 2002 lebte. Im Jahr 2018 kehrte er nach Russland zurück. Er arbeitete bei den Zeitungen Russkaja Germanija und Russki Berlin sowie als Programmdirektor bei einem Berliner russischsprachigen Radiosender und ist Kolumnist bei RT und Life.ru.

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