Von Susan Bonath
Bunte Kostüme und Regenbogenfahnen: Die schrillen Paraden von Lesben, Schwulen, Transpersonen und anderen sexuellen Minderheiten, die unter dem Label LGBTQ+ firmieren, sind inzwischen fester Bestandteil der ersten beiden Sommermonate in deutschen Großstädten. Der Christopher Street Day, kurz CSD, soll an die lange Geschichte staatlicher Verfolgung und härtester Bestrafung von Betroffenen erinnern.
Doch von einem mutigen Straßenprotest gegen die Entrechtung sexueller Minderheiten, welcher der CSD einst war, kann keine Rede mehr sein. Heute eröffnen Politiker die Paraden, staatliche Institutionen und Leitmedien spielen sich als oberste Wächter über die Rechte Betroffener auf.
Längst hat der Staat, vor nicht allzu langer Zeit selbst noch Unterdrücker der Betroffenen, die Proteste für sich vereinnahmt. Mehr noch: Die Machtorgane der Herrschenden haben die Paraden zum scheinsozialen, identitären, spalterischen und teils sogar antifeministischen Kulturkampf-Exzess pervertiert.
Homosexuellengesetze bis ins 21. Jahrhundert
Die politische Vereinnahmung dieser Bewegung ist an Heuchelei kaum zu überbieten. Das zeigt ein Blick auf die jüngere Geschichte. Nachdem die DDR bereits 1957 davon abgerückt war, gleichgeschlechtliche Sexualität unter Volljährigen zu bestrafen, verfolgten die Justizapparate in den vermeintlichen Horten der westlichen Demokratie Betroffene mit harten Repressionen.
Erst ein großer, international bekannt gewordener Aufstand von Homosexuellen und Transpersonen in der New Yorker Christopher Street im Juni 1969 führte zu Entschärfungen der Strafgesetze, keineswegs aber zu ihrer vollständigen Aufhebung. Noch 1990 bei der deutsch-deutschen "Wiedervereinigung" erlitten betroffene DDR-Bürger hier einen herben politischen Rückschlag.
Denn man schrieb bereits das Jahr 1994, ehe der Bundestag nach heftigen Diskussionen die letzten repressiven Gesetze gegen Homosexuelle vollständig aufhob. In einigen US-Staaten landeten einige Betroffene noch bis ins Jahr 2003 wegen gleichgeschlechtlicher Beziehungen im Knast. Auch Russland hatte in dieser Zeit längst die letzten politischen Diskriminierungen dieser Menschen aufgehoben.
Blitzgeläuterte Unterdrücker?
Heute geben sich die politische Klasse und ihre mediale Propaganda-Abteilung derart blitzgeläutert, dass man meinen könnte, Homosexuelle liefen auf Schritt und Tritt Gefahr, von irgendwie "rückständigen" Bürgern angegriffen zu werden. Jeder kleinste Streit, jeder schiefe Blick in der Straßenbahn wird zum Riesenthema aufgeblasen, als gäbe es keine größeren Probleme.
Die gibt es allerdings durchaus. Ein Beispiel: Im Zuge des CSD in Berlin am vergangenen Wochenende beklagten sich mehrere Politiker über zunehmende Gewalt gegen Homosexuelle und Transpersonen. Laut Statistischem Bundesamt stiegen die "polizeilich erfassten Delikte gegen die sexuelle Orientierung" tatsächlich an. Wurden demnach im Jahr 2001 noch 48 Taten erfasst, waren es 2022 schon 1.005.
Darunter ist allerdings alles subsumiert, von der Beleidigung bis hin zur Prügelattacke. Die Zahl der registrierten Gewaltdelikte darunter belief sich 2001 auf zehn, 21 Jahre später auf 227 Taten. Natürlich ist jeder Angriff zutiefst verwerflich und einer zu viel. Aber es stellt sich doch die Frage: Kann es sein, dass einfach mehr Taten erfasst wurden, weil sich die Aufmerksamkeit und der Blick darauf gewandelt haben?
Immerhin lag die Aufhebung der letzten Diskriminierungsgesetze gegen Betroffene im Jahr 2001 gerade einmal sieben Jahre zurück. Der subjektive Eindruck ist eher, dass homosexuelle Paare oder auffällig gekleidete Transpersonen heute zum normalen Stadtbild gehören und anders als noch vor 20 Jahren kaum noch schiefe Blicke ernten – zum Glück. Das Problem der Homophobie grassiert also möglicherweise gar nicht in dem Ausmaß, in dem es politisch und medial dargestellt wird.
Gewalt gegen Frauen ungleich häufiger
Dies verdeutlicht ein Zahlenvergleich: 2020 erfasste das Bundeskriminalamt (BKA) fast 150.000 Gewaltstraftaten in Partnerschaften, davon richteten sich rund 120.000 gegen Frauen. Die Täter waren meist männlich, 70 Prozent von ihnen waren laut BKA deutsche Staatsangehörige. Von einer hohen Dunkelziffer ist auszugehen, da gerade Partnerschaftsgewalt oft im Verborgenen stattfindet und selten angezeigt wird.
Mit anderen Worten: Die Polizei ermittelte im Jahr 2020 fast 530-mal häufiger wegen häuslicher Gewalt gegen Frauen als im gleichen Jahr wegen Gewalttaten gegen sexuelle Minderheiten. Die Relation beträgt 120.000 zu 227, wobei die angezeigten Gewalttaten gegen Frauen nicht das ganze Spektrum dieser Straftaten berücksichtigen.
Schlechter bezahlt, strukturell diskriminiert
Strukturelle Diskriminierung kann man aber nicht allein an der Anzahl von Übergriffen festmachen. Eine Rolle spielt auch der materielle Status in einer Gesellschaft. Natürlich sind heute sowohl Frauen als auch Homosexuelle in hoch bezahlten politischen Ämtern und Chefetagen von Konzernen anzutreffen. Doch in der Gesamtbewertung zeigen Statistiken trotz aller Ausnahmen noch immer deutliche Lohnunterschiede – nicht etwa zwischen Homo- und Heterosexuellen, sondern zwischen Männern und Frauen.
Wie das ZDF zu Beginn dieses Jahres berichtete, ermittelte das Statistische Bundesamt auch für 2022 einen fortbestehenden gravierenden geschlechterspezifischen Lohn- und Gehaltsunterschied. Pro Arbeitsstunde verdienen Frauen demzufolge im Schnitt noch immer 18 Prozent weniger als Männer – 19 Prozent im Westen, sieben Prozent im Osten Deutschlands.
Das hat viel damit zu tun, dass Berufe, in denen vorwiegend Frauen arbeiten – häufig im sozialen Bereich oder im Dienstleistungsgewerbe –, strukturell schlechter entlohnt werden als Bereiche, in denen genauso viele oder mehr Männer als Frauen arbeiten. Auch Kindererziehung und häusliche Pflege von Angehörigen erschweren Frauen einen beruflichen Aufstieg. Beides wird nach wie vor nicht als gesellschaftlich notwendige Arbeit anerkannt und vergütet.
Biologische Realitäten
Noch ein wichtiger Aspekt gehört hierzu thematisiert: Biologisch gesehen sind Männer nun einmal in aller Regel körperlich stärker als Frauen, völlig unabhängig davon, ob sie hetero- oder homosexuell leben, sich männlich oder eher weiblich fühlen. Wird also eine biologische Frau von einem biologischen Mann angegriffen, ist sie dem Täter kräftemäßig fast immer unterlegen.
Diese biologische Tatsache negieren die Apologeten der ausufernden Debatte über Geschlechteridentitäten vollständig. Sie diskutieren in den politischen Gremien etwa über einen gesetzlich verbrieften Zugang von Transfrauen zu Frauensaunen, Frauenhäusern oder Frauentoiletten – trotz biologisch männlicher Körpermerkmale. Jede Kritik daran wird umgehend als transphob gebrandmarkt.
Vom Minderheitenschutz zur Frauenfeindlichkeit
Aber wer von diesen Apologeten denkt dabei wohl daran, wie sich Frauen mit einschlägigen Gewalterfahrungen wohl fühlen, wenn in einem geschützten Raum jederzeit ein Mensch mit Männerkörper neben ihnen auftauchen könnte? Laut einer Studie von 2014 wurde in Europa immerhin jede dritte Frau bereits zum Opfer männlicher Gewalt.
Schutzräume für Frauen in Form von Frauenhäusern oder zeitlich begrenzten Angeboten in Bädern gibt es eben nicht ganz ohne Grund. Kann man von einer kleinen Minderheit von Transpersonen, die sich im falschen Körper fühlen, nicht erwarten, etwa in Saunen gemischte Angebote wahrzunehmen? Ist es nicht möglich, besondere Schutzräume für Notfälle für sie zu schaffen?
Sollen künftig traumatisierte biologische Frauen aus Angst auf soziale Teilhabe verzichten? Sind die Warnungen vor möglichem Missbrauch solcher Regelungen wirklich nur einem Hirngespinst aus Vorurteilen geschuldet und vollkommen unrealistisch? Wer denkt hier eigentlich an Frauen, die sich damit an den Rand gedrängt, mithin sozial unterdrückt fühlen? Immerhin wird etwa die Hälfte aller Menschen mit biologisch weiblichem Geschlecht geboren.
An dieser Stelle wird die verheerende Tendenz der aktuellen Debatte deutlich: Sie beginnt sich in antifeministischer Manier gegen biologische Frauen zu richten. Wieder einmal heißt es: Stellt euch nicht so an und heult nicht so laut. Oder seid ihr etwa transphob?
Verbannte Weiblichkeit
Man könnte auf die Idee kommen, die Debatte um Geschlechteridentitäten wird inzwischen möglicherweise von biologischen Männern angeführt, die gern Frau sein wollen, und immer stärker gegen jene ausgerichtet, die als solche geboren wurden. Dieser Verdacht wird genährt durch einen kürzlichen Vorfall an der Universität Flensburg.
Über 70 Jahre zierte den Campus der Universität eine bronzene Skulptur des Bildhauers Fritz During mit dem Namen "Primavera". Sie stellt eine recht abstrakt gehaltene Frauengestalt dar, weiblich und schön anzusehen, doch weder detailfixiert noch irgendwie obszön. Jahrzehntelang störte die Kunstfigur niemanden, doch nun ist sie auf Geheiß des "Gleichstellungs- und Diversitätsausschusses" der Uni im Hinterzimmer verschwunden.
In den Medien begründete die Uni dies wie folgt: Einige Studentinnen hätten sich unwohl bei ihrem Anblick gefühlt. So sei das Becken der Statur zu weiblich gestaltet, was das Frausein auf Fruchtbarkeit reduziere. Wie bitte? Gehören jetzt Frauen mit breiteren Hüften nicht mehr zur allseits propagierten Diversität dazu? Sollen sie sich jetzt dafür schämen, möglicherweise sogar deswegen, weil ein paar Menschen mit biologisch männlichen Körpern sich durch breite Hüften beleidigt fühlen könnten?
Da fühlt man sich direkt ins Mittelalter zurückversetzt und möchte zynisch fragen: Wird die Uni nun konsequenterweise die Burkapflicht für "zu weibliche" Studentinnen und Lehrkräfte einführen, damit sich kein LGBTQ+ mehr diskriminiert fühlen kann? Wer gibt hier eigentlich den Ton an und bestimmt, was gezeigt werden darf und was nicht?
Man könnte nun meinen, das Gebaren der Uni steht irgendwie im Widerspruch zu den CSD-Paraden, auf denen das freizügige Zeigen sexueller Merkmale, gerne auch freier (meist männlicher) Oberkörper, gang und gäbe ist. In Wirklichkeit fußt die Säuberung von weiblichen Kunstprodukten auf dem gleichen Sockel.
Denn mal ehrlich: Frauen, die als Männer oder just lesbisch leben, schillern eher nicht als Stars auf den Bühnen der CSD-Paraden, es ist vor allem umgekehrt. Der Renner sind noch immer ausgestopfte BHs und nicht etwa Leiharbeiterin Lieschen Müller, die mit Verkäuferin Frieda Meier zusammenlebt und den Alltag wuppt. Es rocken allerdings auch nicht die schwulen Fabrikarbeiter Peter und Paul die Bühnen.
Akademische Moralapostel
An dieser Stelle sind wir beim Klassenkampf angelangt. Es geht beim CSD gar nicht mehr um Lieschen und Frieda oder Peter und Paul, die wegen ihrer homosexuellen Lebensweise möglicherweise benachteiligt oder angefeindet werden. Auf den Bühnen hat eine von betuchten Männern dominierte, eng mit der Politik verbandelte, gutbürgerliche Mittelklasse weitgehend das Sagen übernommen.
Anders formuliert: Hier spielen sich die Apologeten des Klassenstaats aus der akademischen Mittelschicht als Moralapostel und Erzieher auf. Hier wüten die Steigbügelhalter des Klassenkampfes von oben, die nicht etwa die Herrschaft von Menschen über Menschen beenden, sondern lediglich ein paar ergänzende Aspekte einführen wollen. Die transsexuelle Kassiererin mit Mindestlohn ist ihnen am Ende genauso gleichgültig wie jede lesbische Frau ohne Obdach oder in einem Flüchtlingsboot.
Klassenkampf von oben
Es ist wenig verwunderlich, wenn sich ein großer Teil der ärmeren Bevölkerung, völlig unabhängig von Religion, Herkunft, sexueller Ausrichtung oder Geschlechtsidentität, durch so ein politisch-medial aufgeblasenes Showbusiness wie die aktuellen CSD-Paraden nur noch verhöhnt fühlt. Diese Menschen haben momentan ganz andere Probleme, zum Beispiel ihre aktuelle Nebenkostenabrechnung, die sie wegen explodierter Preise nicht mehr zahlen können.
Immobilienkonzerne und Energieversorger fragen nämlich nicht nach Geschlechtsidentität oder sexueller Orientierung ihrer Kunden, sondern just nach deren Geldbeutel. Genauso, wie Vergewaltiger und Mörder sich ihre Opfer vor allem danach aussuchen, ob diese sich körperlich wehren können oder nicht. Diese Tatsachen werden von den dominierenden LGBTQ-Schreihälsen aus Politik, Medien und Wirtschaft stoisch geleugnet und negiert.
Steigbügelhalter der Herrschenden
Das ist ebenfalls kein Wunder, neigte doch die gut situierte Mittelschicht als systemtragende Säule schon immer dazu, sich zum Schein zwar gern moralisch und sozial zu profilieren. Im Zweifel allerdings schlug sie sich stets auf die Seite der Herrschenden, wenige Ausnahmen bestätigen die Regel.
Nicht nur historische, auch aktuelle Belege dafür gibt es genug: Die großteils pseudowissenschaftlichen Corona-Maßnahmen inklusive Impfpflicht-Debatte, die Waffenlieferungen in die Ukraine, die antirussische Kriegspropaganda, das stoische Leugnen des ukrainischen Faschismus trotz wohl tausendfacher Beweise – das Gros der akademischen Systemverwalter lief und läuft anstandslos mit.
Der Grund liegt auf der Hand: Sie werden schließlich dafür bezahlt, das System zu stützen, konform zu sein. Vor allem danach werden sie auch ausgewählt. Und sie profitieren mit davon, dass mies bezahlte Dienstleister ihnen die Sushi ins Haus liefern, ihre Autos waschen, ihre Einfamilienhäuser putzen und so weiter. Als phrasendreschender NGO-Experte oder Staatssekretär mit überdurchschnittlichem Einkommen lässt es sich leicht über die vermeintlich homophobe, weil bildungsferne Unterschicht herziehen.
Projektion auf Nebenschauplätze
Auf nichts anderes ist das politische Vereinnahmen von Bewegungen – nicht nur für LGBTQ-Rechte, sondern auch für Klimaschutz oder Antifaschismus beispielsweise – durch die Institutionen ausgerichtet: Der Klassenstaat muss um jeden Preis erhalten, die ungerechten Eigentums-, Besitz- und Machtverhältnisse dafür geschützt werden.
Das funktioniert recht gut, wenn man die eigens praktizierte materielle Unterdrückung breiter Massen auf ideologische Nebenschauplätze, die großteils sogar aus dem Klassenstaat resultieren, projiziert. Das lenkt so schön ab von den eigentlichen Ursachen der sozialen Probleme, unter denen Homosexuelle nicht minder leiden wie Heteros.
Vielleicht sollten Lieschen und Frieda, Paul und Peter jetzt aufstehen, um sich gegen den politischen Missbrauch ihrer Interessen zu wehren – am besten gemeinsam mit ihren Kollegen, Nachbarn und Freunden welcher Couleur auch immer.
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