Drei Gründe, warum Paul Brandenburgs Verurteilung vermutlich schon im Vorfeld feststand

Der Arzt und Publizist Paul Brandenburg wurde am Donnerstag wegen der Verbreitung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen zu einer Geldstrafe verurteilt. Das merkwürdige Vorgehen der Staatsanwältin und der Richterin legt nahe, dass das Urteil schon vor Prozessbeginn feststand.

von Björn Kawecki

Am Donnerstag wurde der Arzt und Publizist Paul Brandenburg vor dem Amtsgericht Tiergarten in Berlin-Moabit wegen der Verbreitung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen (§ 86 Absatz 1 StGB) zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen à 100 Euro verurteilt.

Brandenburg hatte am 28. August 2022 in seinem Telegram-Kanal eine Grafik mit dem Schriftzug "Mitläufer*innen" veröffentlicht. Dabei wurde das sogenannte Gendersternchen durch ein Hakenkreuz ersetzt. Später ersetzte Brandenburg zunächst die Grafik durch eine Version, in der an der Stelle des Hakenkreuzes ein Herz platziert wurde, bevor er schließlich den Telegram-Beitrag komplett löschte.

In der Zwischenzeit stieß offenbar ein Mitarbeiter des Berliner Landeskriminalamts, der zur Beobachtung von Brandenburgs Medienaktivitäten abgestellt war, auf den Telegram-Beitrag, was zur Anzeige führte.

Verteidigung: Grafik war überzogen, aber zulässig

Vor Gericht räumten Brandenburg und seine Verteidigerin die Sachgrundlage der Anklage ein, beriefen sich jedoch auf die Sozialadäquanzklausel. Gemäß dieser Klausel gilt das Verbot von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, im vorliegenden Fall des Nationalsozialismus, nicht bei bestimmten Verwendungen, etwa in der Kunst, und auch dann nicht, wenn unmittelbar eine Ablehnung der NS-Ideologie erkennbar ist.

Bei der von Brandenburg verbreiteten Grafik handelte es sich, so die Verteidigung, um ein Kunstwerk, das erstens satirisch sei und zweitens die Ablehnung der NS-Ideologie durch das Wort "Mitläuferinnen" eindeutig erkennbar mache. Zu den Stilmitteln der Satire gehöre es, zu übertreiben und Anschauungen lächerlich zu machen. Die Grafik sei überzogen gewesen, argumentierte die Verteidigung, aber im Rahmen des Zulässigen und daher nicht strafbar. Aus diesem Grund käme nur ein Freispruch infrage.

Die Position der Staatsanwaltschaft lautete hingegen, dass es sich bei der Grafik um eine Meinungsäußerung handele, die "gendergerechte Sprache" mit dem Nationalsozialismus gleichsetze – eine "steile These". Deshalb greife die Sozialadäquanzklausel auch nicht, erklärte die Staatsanwältin und forderte eine Geldstrafe von 40 Tagessätzen à 80 Euro.

Staatsanwältin überließ junger Richterin das Feld

In der Gesamtschau des Prozesses ergeben sich nun drei Hinweise, die zusammen darauf hindeuten, dass die Verurteilung Brandenburgs schon vor Prozessbeginn beschlossene Sache war.

Erstens: Die Staatsanwältin hielt ihre Redezeit praktisch auf einem Minimum und verzichtete in ihrem Plädoyer sogar auf eine Begründung ihrer Position. Das tat sie vermutlich nicht aus Unlust am Fall, sondern um der äußerst jungen Richterin genügend Raum für deren Argumentation der Urteilsbegründung zu lassen.

Zweitens: Die Argumente der Verteidigung dürften besonders für einen Juristen vorhersehbar gewesen sein. Weder die Richterin noch die Staatsanwältin mussten mit großen Überraschungen rechnen. Offenbar nahm aber nur die Richterin die Gelegenheit wahr, sich entsprechend ausführlich vorzubereiten, was sich in der Urteilsbegründung zeigte. Die Zurückhaltung der Staatsanwältin war also in zweifacher Hinsicht eine Steilvorlage für die Richterin, die mit ihrem Urteil das letzte Wort hatte.

Was ist Kunst? Eine "spannende Frage"

Drittens: Die Argumente der Richterin wirkten ziemlich dünn, und selbst die Urteile des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zum Kunstbegriff, die die Richterin nach nur zehn Minuten Beratung zur Hand hatte und aus denen sie teils ausführlich zitierte, konnten daran wenig ändern. Ihre Urteilsbegründung begann sie mit dem Verweis, dass das BVerfG geurteilt habe, der Grund für das Verbot von NS-Zeichen sei die Errichtung eines "kommunikativen Tabus". Der Sinn hiervon sei es, die Wiederbelebung des Nationalsozialismus abzuwehren. Ebenso sollte aber vermieden werden, dass Zeichen wie das Hakenkreuz in "humoristischer" Weise verbreitet würden – was sie anscheinend Brandenburg unterstellte.

Weiter führte die Richterin aus, eine Ausnahme liege dann vor – wie auch die Verteidigerin argumentiert hatte –, wenn gegenüber NS-Zeichen eine Kritik bzw. Gegnerschaft ausgedrückt wird, die für jeden erkennbar ist. Im Fall Brandenburgs sei dies nicht der Fall gewesen. Auch wenn das Wort Mitläufer negativ konnotiert sei, gebe es in der Grafik keine objektiv eindeutige Distanzierung vom Nationalsozialismus, so die Richterin.

Ob es sich bei der Grafik nun um Kunst handelt, sei "eine spannende Frage", so die Richterin, die sie offenbar umgehend durch einen spitzfindig-akademischen Exkurs zum Kunstbegriff des BVerfG beantworten wollte. Die richterliche Schlussfolgerung: Bei der von Brandenburg verbreiteten Grafik handele es sich nicht um Kunst, da es für sie nur eine Interpretationsmöglichkeit gebe – offenbar die der Richterin. "Nicht jeder überspitzte Vergleich ist Kunst."

Kritik am Gendern? So what?

Ob es bei dem Vergleich nun darum geht, das Gendern zu kritisieren oder etwas anderes, ist der Richterin laut eigenen Worten egal. "So what?", entfuhr es ihr in lockerer Verkrampftheit. War der Urteilsspruch womöglich am Küchentisch einer Millennial-Friedrichshain-WG verfasst worden?

Aber so what, die Richterin hat ihre Karriere im Staatsapparat noch vor sich. Wenn sie das nächste Mal im Namen des Volkes darüber entscheidet, was echte von falscher Kunst unterscheidet, hat sie womöglich schon einen Sprachausdruck, der weniger hölzern und auswendig gelernt wirkt und im Interesse der Zuhörer auch etwas weniger cringe ist.

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