Von Dagmar Henn
Seit Tagen wird in russischen Kanälen darüber diskutiert, ob bei der durch eine russische Rakete ausgelösten Explosion von Munition im westukrainischen Chmelnitzky die aus Großbritannien gelieferten Granaten aus abgereichertem Uran explodiert sind oder nicht. Sind die Werte der Hintergrundstrahlung in der Region gestiegen? Es gibt sogar Berichte, dass Einwohner wegen dieser Meldungen die Region verlassen. Schließlich sind die schlimmen Erfahrungen, die man in Serbien mit den Resten dieser Munition machen musste, bis in die Ukraine vorgedrungen.
Wobei unabhängig von der Frage, ob diese Munition damit entsorgt ist oder nicht, allein ihr Vorhandensein ganz andere Fragen aufwerfen müsste, die der Westen natürlich nicht stellt. Denn es gibt einen entscheidenden Unterschied zwischen den bisherigen Einsatzgebieten dieser Munition und der Ukraine – es gab bisher niemanden, der diese Art der Munition auf eigenem Gebiet angewandt hätte, geschweige denn gegen Menschen, die als eigene Staatsbürger betrachtet werden. Wäre diese Ukraine auch nur ansatzweise der demokratische Staat, als der sie verkauft wird, hätte sie diese Munition ablehnen müssen.
Sie anzunehmen, passt allerdings vorzüglich zur bisherigen Verhaltensweise. Kaum waren die neuen britischen Storm Shadow-Raketen ausgepackt, wurden sie schon gegen Lugansk eingesetzt, das bereits einige Zeit außer Reichweite der ukrainischen Artillerie leben durfte. Natürlich auf die übliche Weise, irgendwo rein, wo Menschen leben. Das Gleiche passierte schon mit den HIMARS-Raketen und mit den 155-mm-Geschützen. Egal, ob Granaten, Minen oder Raketen, die Bevölkerung des Donbass bleibt ein Ziel mit hoher Priorität.
Nach bald neun Jahren kann man nicht einmal mehr sagen, dass das der Einschüchterung diene. Die Beschossenen leben damit wie mit einer besonders hässlichen Art schlechten Wetters. Auf keinen Fall kann man behaupten, dass Kiew auf diese Weise versuche, um die Zuneigung der Donezker und Lugansker zu buhlen. Im Gegenteil, kaum waren Teile von Saporoschje und Cherson der ukrainischen Kontrolle entglitten, verwandelten sich auch deren Einwohner sogleich in probate Ziele.
Das ist und bleibt ein sehr eigenartiges Verhältnis einer Staatsführung zu ihrer eigenen Bevölkerung. Als wären alle Staatsbürger gewissermaßen nur zur Probe, als wäre das eine Eigenschaft, die jederzeit nach Gusto widerrufen werden könnte; eher so, als wäre die Regierung der Hauseigentümer, und die Bevölkerung nur eine Masse von Mietern, denen man kündigen könnte, oder das Haus sogar unter dem Hintern weg verkaufen.
Wobei das durchaus der realen Sicht der ukrainischen Kleptokratie nahe kommen dürfte – ein wenig so, als hätte die Regierung Adenauer, nachdem mehrere Protest- und Besetzungsaktionen die Insel Helgoland, die von der britischen Luftwaffe als Übungsziel genutzt wurde, wieder unter deutsche Kontrolle gebracht hatten, ebendiese Insel anschließend an die Briten verkauft, um dafür Provision einzustreichen.
Man kann es nicht nur an der Zuneigung erkennen, die sich im Beschuss ausdrückt, oder im jahrelangen Abschneiden der Wasserversorgung der Krim wie auch der Sabotage der Wasserversorgung im Donbass, man erkennt es auch an den Aussagen diverser ukrainischer Politiker, die stetig drohen, wen sie alles vor Gericht stellen wollten, wenn sie die Gebiete wieder hätten, die sie jetzt nicht mehr haben. Kaum jemand von der Bevölkerung der Krim bliebe unbelangt; genau das, was man tut, wenn man als Befreier gelten möchte …
Vermutlich war der Kern der ganzen Auseinandersetzung um die Krim tatsächlich ein ökonomischer. Es fällt schwer, anzuzweifeln, dass die Vereinigten Staaten ein massives Interesse daran hätten, sich auf der Krim festzusetzen. Und die Putschregierung 2014, die ohnehin zur Hälfte aus US-Amerikanern bestand, hat vermutlich damit gerechnet, entsprechende Verträge abzuschließen und vor allem entsprechende Provisionen für diese Verträge einstreichen zu können – direkt und persönlich.
Dann wurde ihnen diese fette Beute vor der Nase weggeschnappt, von dieser unbotmäßigen Einwohnerschaft im Verbund mit Russland, was gleichzeitig eine Perspektive zum Frieden eröffnet. Denn sollten die USA und der kollektive Westen nicht mehr zahlungsfähig sein, dürfte das Interesse selbst der gegenwärtigen Kiewer Regierung an der so betonten "territorialen Integrität" der Ukraine schlagartig erlahmen, weil eine Ware, für die sich kein Käufer findet, abrupt an Wert verliert und mit fetten Provisionen nicht mehr zu rechnen ist.
Aber bis dahin wird weiter unter Einsatz zehntausender Menschenleben um den Zugang zu diesen Provisionen gerungen, die eigenen Einwohner behandelt wie zu räumende Mieter oder gar zu vertreibende Leibeigene. Und die ganze Szenerie im Westen, von Politik bis Medien, ist feudalisiert genug, dass ihr nicht mehr auffällt, wenn jemand agiert wie der Grundeigentümer von Gottes Gnaden und nicht wie die politische Vertretung der Bevölkerung.
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