Von Gert Ewen Ungar
Angeblich sollen mit dem Karlspreis Personen und Organisationen ausgezeichnet werden, die sich um die Einigung Europas außerordentlich verdient gemacht haben. Eigentlich. Mit der Auszeichnung der Ukraine samt des derzeitigen ukrainischen Präsidenten Selenskij in diesem Jahr wird der Preis in sein Gegenteil verkehrt. Ausgezeichnet wird in diesem Jahr der besondere Beitrag der Ukraine zur erneuten Teilung und Spaltung Europas. Es wird ein Kriegstreiber und mutmaßlicher Kriegsverbrecher ausgezeichnet.
Eingekleidet wurde die ganze Veranstaltung in das übliche Demokratie- und Werte-Geschwurbel, das mit der Realität inzwischen gar nichts mehr zu tun hat. In manchen Kreisen in Deutschland mag man daran noch glauben, dass die Europäische Union, insbesondere Deutschland, und dass nun auch die Ukraine für hehre Werte stünden. Ich kann versichern, außerhalb der westlichen Propagandablase glaubt das Gerede von "Werten" und "Demokratie" niemand mehr. Die Belege für den Schlafwandel der EU ins Totalitäre und Autoritäre sind zu zahlreich und zu eindeutig.
Man muss es den Juroren des Karlspreises einfach ganz deutlich sagen: Weder steht die EU für Frieden, Demokratie und freiheitliche Werte noch tut das die heutige Ukraine. Auch leisten Deutschland und die EU keinen Beitrag zur Befriedung dieses Konflikts. Sie liefern Waffen und haben offenkundig ein Interesse an einem möglichst langen und möglichst blutigen Verlauf des Krieges.
Sowohl Deutschland als auch die EU nehmen die völlige Zerstörung und die Auslöschung einer ganzen Generation von ukrainischen Männern für ihre und die US-amerikanischen geopolitischen Ziele billigend in Kauf. Friedensinitiativen kommen nicht von der EU als "Friedensnobelpreisträgerin", sondern aus anderen Regionen der Welt: etwa aus China wie auch aus Brasilien.
Zudem bedenke man, dass es um Demokratie und westliche Werte überhaupt nicht geht. Es geht um Macht, Einfluss-Sphären und darum, Russland zu schwächen. Um die Ukraine als Land geht es lediglich als strategische Arena für diesen Machtkampf. Um die Menschen, die Ukrainer, geht es – wenn überhaupt – zu allerletzt. Sie sind lediglich Kanonenfutter. Dass man einem Gremium wie der Karlspreisgesellschaft diese geopolitischen Binsenweisheiten erklären muss, sollte solchen "Juroren" schon sehr peinlich sein.
Die Verleihung des Karlspreises ist zu einer Veranstaltung des Selbstbetrugs verkommen. Sie war in der Auswahl der geehrten Preisträger sicherlich schon immer fragwürdig. Mit der Begründung für die diesjährige Auswahl ist die Jury inzwischen allerdings vollkommen in der deutschen Parallelwelt angekommen und hat sich damit von Tatsachen und Fakten komplett isoliert. Die Begründung der Jury für die Vergabe des Preises an Selenskij und die Ukraine ist ein herausragendes Beispiel dafür, was passiert, wenn man Medien verbietet und Meinungen willkürlich einschränkt: Man verliert den Blick auf Fakten und den Kontakt zur Realität.
"Selenskyj lässt keine Gelegenheit aus, darauf hinzuweisen, dass sein Land die westlichen Werte verteidigt, unverbrüchliche Prinzipien des Zusammenlebens, des Friedens und der Freiheit und damit das, wofür die Europäische Union politisch steht", begründet die Jury ihr Votum zur Vergabe des Preises.
Es ist zwar richtig, dass Selenskij keine Gelegenheit auslässt, keiner Kamera und keinem Mikrofon ausweicht, sich sogar überall auf der Welt regelrecht aufdrängt, um immer wieder erneut zu behaupten, er und die Ukraine bildeten weltweit die vorderste Front unter den freiheitlichen, demokratischen Staaten im Kampf gegen Autoritarismus und Diktatur. Aber das ist natürlich gelogen. Es ist reines Marketing, reine Propaganda. Es hat weder etwas mit der Lebenswirklichkeit der ukrainischen Menschen zu tun noch mit der Lebenswirklichkeit in der EU oder mit der Russlands, mit dem sich der Westen in einem Systemkonflikt sieht. Die Freiheit ist längst von West nach Ost gewandert.
Auch wenn man es in Deutschland nicht hören will: Die Ukraine unter Selenskij ist keine Demokratie. Selenskij hat die Ukraine weiter von der Demokratie weggeführt als jeder seiner Vorgänger. Oppositionsparteien sind verboten, es herrscht strenge Zensur, die Medien sind gleichgeschaltet. Wahlen finden mit Verweis auf das Kriegsrecht bis auf Weiteres wohl nicht statt. Es ist völlig offenkundig, dass Selenskij nach autoritärer Alleinherrschaft strebt. Vor all diesen Fakten verschließt man in Deutschland permanent die Augen und flüchtet sich in einen bizarren Personenkult, der den Tyrannen Selenskij zu einem demokratischen Heilsbringer verklärt.
In der Ukraine wird heute offener Rassismus gepredigt und gepflegt, man hat das zur Staatsräson erhoben. Alles Russische muss ausgelöscht werden. Die heutige Führung der Ukraine möchte das Land nicht nur von seinem sowjetischen und russischen Erbe lösen und betreibt in diesem Sinne Säuberungen, verbrennt und verbietet Bücher, reißt Denkmäler ab und schränkt den Gebrauch der russischen Sprache ein. Sie ruft auch offen zum Mord an Russen auf. Westliche Werte sollen das eben sein.
Dieser verachtungswürdige Rassismus kommt nicht von ungefähr. Er wurde über Jahre gezüchtet und beide, die EU und Deutschland, haben ihren Teil zum Wiederaufleben des ukrainischen Nationalismus beigetragen. Wie kein anderes Land steht die Ukraine für das Erstarken von Nationalismus, der von der EU anfangs mit dem Ziel gefördert wurde, die im Land herrschenden Konflikte zu verschärfen, um einen Regime-Change zu ermöglichen. Das hat schließlich 2014 vollends geklappt, aber der Preis dafür ist hoch. In Europa herrscht seitdem wieder Krieg, Europa droht erneut die Spaltung. Dafür gibt es dann heute endlich den Karlspreis.
Während sich die EU und ihre Befürworter gern als die Überwinder nationalstaatlicher Ideen feiern, fördert die EU und fördert auch Deutschland in anderen Ländern das genaue Gegenteil: nationalstaatliches Denken und nationalistische Identitäten. Die Ukraine ist dafür das Paradebeispiel. Deutschland förderte dort die Entstehung einer exklusiven "ukrainischen" Identität, eines ukrainischen Nationalismus, der seit vielen Jahren die Grundlage für die Entstehung des innerukrainischen Konflikts bildete. All das nehmen die Juroren des Karlspreises nicht zur Kenntnis. Die Augen werden fest verschlossen.
Dieselben Protagonisten, die in Deutschland Traditionen und Verweise auf traditionelle Werte – wie Heimat und Brauchtum – als ewig gestrig und reaktionär abwerten, fördern in einem ins Extreme potenzierten Maß diesen reaktionären Ungeist in der Ukraine. Der Karlspreis geht in diesem Jahr an einen Nationalisten, der bei sich zu Hause krude Ressentiments und Rassismus fördert und sich derer politisch bedient.
Schon aus diesem Grund ist – ausgerechnet an Selenskij – die Vergabe eines Preises, der Beiträge zur Einigung Europas ausgezeichnet werden soll, mehr als bizarr. Selenskij hat zu einer Einigung Europas oder auch nur der Ukraine keinen Beitrag geleistet, sondern im Gegenteil die Spaltung weiter vertieft. Heute sind weder die Ukraine noch Deutschland oder die EU in diesem Zusammenhang preiswürdig. Im Gegenteil, wer sich den Verlauf des Konflikts seit 2008 anschaut, wird nicht umhin können, festzustellen, dass alle drei zu einer erneuten Spaltung Europas beigetragen haben.
Die gesamte Begründung für die Vergabe liest sich wie ein einziger Selbstbetrug:
"Das ukrainische Volk ist Opfer eines völkerrechtswidrigen und unsäglich brutalen russischen Angriffskrieges. Das ukrainische Volk verteidigt unter der Führung seines Präsidenten Wolodymyr Selenskyj nicht nur die Souveränität seines Landes und das Leben seiner Bürger, sondern auch Europa und die europäischen Werte.
Der Krieg richtet sich gegen Freiheit und Demokratie, Menschenrechte und Multilateralismus; er richtet sich gegen die europäische Gesellschafts-, die Sicherheits- und Friedensordnung, um die europäische Gemeinschaft der Völker zu destabilisieren und zu einer politischen Neuordnung Europas zu kommen."
An diesen Behauptungen ist so ziemlich alles falsch. Sie sind ahistorisch, folgen unkritisch dem bundesdeutschen Narrativ über diesen Krieg, das aber von allen Ländern außerhalb der westlichen Hemisphäre in dieser Verlogenheit aus gutem Grund nicht unterstützt wird. Die Ukraine war in ihrer jungen Geschichte noch nie so wenig souverän wie heute. Das Land ist vollständig von ausländischen Geldgebern abhängig. Die Politik der Ukraine wird nicht in Kiew, sie wird in Washington, D.C. festgelegt. Selenskij ist nie über seinen Status als Schauspielers hinausgekommen. Seine ganze Figur, sein ganzer Auftritt sind eine einzige Inszenierung.
Auch der Begriff "ukrainisches Volk" ist bizarr gewählt. Der Konflikt hat seinen Ursprung gerade in der Tatsache, dass es dieses ukrainische Volk, verstanden als homogene ethnische Entität, schlichtweg gar nicht gibt. Diese Tatsache zu leugnen, heißt, die Grundlage des Ukraine-Konflikts nicht zu verstehen oder nicht verstehen zu wollen. Das ukrainische Volk ist gespalten, und der russischsprachig aufgewachsene Selenskij repräsentiert heute eben nicht mehr dieses Volk als Ganzes. Es ist ihm in seiner Präsidentschaft auch nicht gelungen, diese bewusst herbeideklarierte Spaltung zu überwinden, im Gegenteil. Die Juroren ignorieren diese grundlegenden Fakten.
Die Machthaber der Ukraine haben seit 2014 ihr eigenes "ungehorsames" Volk im Osten des Landes bombardiert. Seit 2014 herrscht in der Ukraine Bürgerkrieg. Selenskij wurde 2019 wegen seines Versprechens gewählt, diesen Konflikt endlich zu schlichten. Getan hat auch er dann das Gegenteil. Selenskij hat den Bürgerkrieg noch ausgeweitet. Auch heute noch schießt das Kiewer Regime, nun sogar mit westlichen Waffen, auf Donezk und Lugansk, auf Landsleute, unbewaffnete Zivilisten und deren zivile Infrastruktur.
Mit der Lieferung von modernsten Marschflugkörpern höherer Reichweite des Typs "Storm Shadow" durch Großbritannien wird inzwischen auch Lugansk wieder angegriffen, das für die Ukraine aufgrund seiner Lage und der "ungenügenden" Reichweite der bisher gelieferten Waffen kein erreichbares Ziel mehr war. Jetzt wird "endlich" auch dort wieder gestorben – für die westliche Freiheit und Demokratie. Vor dem Hintergrund des aktuellen Geschehens in der Ukraine, der Brutalität des Krieges und dem deutlichen Willen westlicher Politiker, den Konflikt scheibchenweise verschärft in die Länge zu ziehen, liest sich die Begründung der Jury wie reiner Zynismus.
Die Karlspreisgesellschaft hat einem Kriegsverbrecher einen der wichtigsten deutschen Preise überreicht. Mit der Vergabe an Selenskij wurde das Ansehen dieses Preises massiv beschädigt. Erneut beschädigt, muss man sagen, denn schon im letzten Jahr war die Auswahl der Jury zur Verleihung des Karlspreises fragwürdig. Schon im vergangenen Jahr wurden mit Swetlana Tichanowskaja und anderen Figuren der weißrussischen Opposition keine Akteure ausgezeichnet, die einen Beitrag zur Einigung Europas, sondern die einen Beitrag zur weiteren Spaltung geleistet haben.
Die Vergabe des Preises an Selenskij war ein typisch deutscher Fehler, der zeigt, wie man in Deutschland inzwischen die Augen vor tatsächlichen politischen Entwicklungen auf der übrigen Welt verschließt, sich dem Selbstbetrug hingibt und sich eine heile Welt zusammendichtet, in der Deutschland stets auf der Seite der "Guten und Gerechten" steht. Das ist leider nicht der Fall. Das Erwachen aus diesem Traum wird für Deutschland und viele Deutsche absehbar ein Schock werden, eine brutale Konfrontation mit der Realität.
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