Dollar-Dämmerung: Der Anfang vom Ende des aktuellen Währungskorbs

Der Ukraine-Krieg und vor allem die Russland-Sanktionen beschleunigen eine Entwicklung, die schon lange im Gange war. Es handelt sich um eine Art "Wachablösung", geopolitisch wie währungspolitisch.

Von Karin Kneissl

Was vor 20 Jahren noch ein Thema für den kleinen Kreis war, nämlich die Möglichkeit, dass der US-Dollar seine Vormachtstellung einbüßen könnte, hat sich in den letzten Monaten bis in die Redaktion der Financial Times und der Direktion der Europäischen Zentralbank (EZB) durchgesprochen.

Geopolitische Verschiebungen führen dazu, dass die Weltwirtschaft in "konkurrierende Blöcke" zerfalle, was zu einem inflationären Umfeld führen könne, sagte EZB-Chefin Christine Lagarde am 17. April. Dass es diesmal um die Zentralbanken und nicht "bloß" um den Bankensektor ging, wurde in der Rede klar – Lagarde sprach von tiefgreifenden Auswirkungen für die Zentralbanken, einschließlich "mehr Instabilität", da das Angebot weniger elastisch werde. Lagarde wies darauf hin, dass die Zentralbanken während einer anderen großen Periode geopolitischer Umwälzungen in den 1970er-Jahren schlecht abgeschnitten haben. "Sie haben es nicht geschafft, einen Anker der monetären Stabilität zu setzen."

In dieser zersplitterten Welt braut sich mit der aktuellen Finanzkrise etwas zusammen, das die Zentralbanken erschüttern könnte. Eine Kreditverknappung zeichnet sich jedenfalls in den USA ab. Und es sind die Zentralbanken, welche die entscheidende Rolle in der Kreditvergabe innehaben. Es ist etwas Bedeutendes schiefgelaufen, wenn man die Lagarde-Rede im Ohr hat. Spät, aber doch begriff auch die EZB, dass die Inflation zum Problem wurde, und zwar auf lange Sicht und nicht nur vorübergehend, wie seitens der EZB oft betont wird.

Zeitgleich verschiebt sich die Zusammensetzung im globalen Währungskorb und damit verändert sich auch die weltpolitische Balance.

Orientierung kommt von Orient

So lautet ein Wortspiel, das ich gerne bediene und auch in diesem Zusammenhang einbringen möchte. Denn es sind die Entwicklungen auf den östlichen Erdölmärkten, welche viel in Bewegung bringen.

Der US-Dollar ist nicht tot, aber er ist auch nicht unsterblich – ungefähr so bringen es Erdölmarkt Analysten von "Energy Intelligence" auf den Punkt. Denn der Boden unter dem Petrodollar verschiebt sich, genau wie vieles im Nahen Osten seit Dezember, als der chinesische Präsident Xi Jinping in Riad den Golfstaaten des Nahen Ostens Kaufgarantien für Erdöl und Erdgas sowie Zugang zu sauberer Energie und digitalen Technologien anbot, wobei die Bezahlung in Yuan erfolgen sollte.

So hat Xi den Saudis und anderen Golfstaaten im Dezember neue Zahlungsmodalitäten angeboten. Das iranisch-saudische Abkommen ist bis zu einem gewissen Grad als von China vermittelter Ersatz für US-Sicherheitsgarantien für die Saudis und ihre Nachbarn am Golf zu verstehen. Währungspolitik und Geopolitik verzahnen sich neu. Begonnen hat dies eben im Orient.

Diese Angebote und Vereinbarungen könnten auch das Ende des Dollar-Monopols im Ölhandel des Nahen Ostens bedeuten. Es zeichnet sich ab, dass auch andere Währungen und vielleicht auch andere als Dollar-Benchmarks verwendet werden. In einem bemerkenswerten Essay schrieb der Leiter der chinesischen Zentralbank, Zhou Xiaochuan, im März 2009 über eine solche Entwicklung. Ohne den US-Dollar beim Namen zu nennen, forderte er angesichts verantwortungsloser Geldpolitik und hoher Überschuldung doch dessen Ablöse als Weltleitwährung.

Zu den besonders interessanten Ereignissen der letzten Woche gehörte, dass erstmals auch eine internationale Transaktion in Yuan getätigt wurde. TotalEnergies verrechnete Ende März eine LNG-Ladung aus den Vereinigten Arabischen Emiraten an die China National Offshore Oil Corp. CNOOC über die Shanghai Petroleum & Gas Exchange in Yuan. Damit ist nun auch offiziell der Anfang vom Ende des Petrodollars eingeleitet.

 

Der Bumerang der Russland-Sanktionen

Es vergeht kein Tag, an dem Washington oder Brüssel nicht neue Sanktionen verhängen, die langen Listen sanktionierter Personen von Caracas über Moskau bis Peking noch erweitern. Als gäbe es kein Morgen, werden Staaten und Firmen mit Exportverboten, Handelsauflagen und vielem anderen drangsaliert. Was die USA erfanden, praktiziert nunmehr auch die EU, nämlich die Exterritorialität nationaler Jurisdiktion und verletzt dabei geltendes Völkerrecht.

Die auch als "sanctions from hell" bezeichneten Russland-Sanktionen aus dem Frühjahr 2022 erweisen sich aber seither als Bumerang. Von Riad bis Peking wurde vielen klar: Was mit Russland passiert, kann jedem von uns passieren.

Dieser Unmut spitzte sich zu, als die USA den meisten russischen Banken den Zugang zur angeblich international kontrollierten Society for Worldwide Interbank Financial Telecommunications (SWIFT) verwehrten und russische Devisenreserven in Höhe von rund 300 Milliarden Dollar einfroren.

Die Financial Times berichtete kürzlich, dass sich der Anteil des Renminbi am Wert der Handelsfinanzierung im letzten Jahr auf 4,5 Prozent verdoppelt hat, ein Wert, der immer noch weit hinter dem des Dollars (86,8 Prozent) zurückbleibt. Die Devisenreserven sind stärker diversifiziert. Chinas Anteil liegt bei nur 2,45 Prozent, aber der Anteil der USA ist in diesem Jahrhundert allmählich auf 59,54 Prozent gesunken.

Es ist wahrscheinlich, dass es in Zukunft immer mehr und immer schneller zu einer Abkehr von der starken Abhängigkeit vom Dollar im internationalen Handel kommen wird, wobei Öl an erster Stelle steht.

Um solche Umstellungen zu ermöglichen, müssen die zur Umgehung von SWIFT eingerichteten digitalen Kommunikationssysteme gehärtet und erweitert werden. Russland hat dies bereits in beträchtlichem Umfang getan – was den Begriff der "Entdollarisierung" hervorbrachte –, und China und andere arbeiten daran. Chinas Instrument dafür, sein Cross-Border Interbank Payment System, hat Berichten zufolge mehr als 1.300 Teilnehmer in über 100 Ländern und Regionen.

Zur Erinnerung: Während der in den USA losgetretenen Finanzkrise von 2008 forderte der damalige EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker einen zum allmächtigen Swift alternativen EU-Mechanismus, um nicht die Zeche für sämtliche US-Sanktionen mitzahlen zu müssen. Es ging damals um die Iran-Sanktionen.

Auch bei anderen Rohstoffen ist eine nicht auf dem Dollar basierende Preiskomponente im Gespräch. Sowohl die BRICS-Organisation als auch das BRICS-Mitglied Brasilien könnten dabei eine wichtige Rolle spielen:

Die BRICS-Mitglieder Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika haben alle ihr Interesse an Alternativen zur US-Währung in verschiedenen Funktionen bekundet, und ein BRICS-Gipfel im August dieses Jahres in Südafrika sollte aufmerksam verfolgt werden. Argentinien und Iran haben einen Antrag auf Beitritt gestellt, und auch Saudi-Arabien hat Interesse signalisiert.

Als ich im Frühjahr 2017 an meinem Buch "Die Wachablöse" schrieb, in welchem ich den Aufstieg Chinas zum Technologieführer und geopolitischen Akteur sowie der damit verbundenen Neuordnung erklärte, war vieles noch Theorie.

Der Krieg in der Ukraine hat mit einem hohen Blutzoll eine Entwicklung beschleunigt, die bereits im Gange war. Die Russland-Sanktionen werden retrospektiv als der Wendepunkt für das internationale Währungssystem gelten. Was in dieser unsicheren Gemengelage sonst noch auf die Weltwirtschaft und die Menschen hereinbrechen wird, wissen wir nicht. Aber weder Inflation noch die Energiekrise oder die hohe Staatsverschuldung der USA haben im Vorjahr begonnen. Und all dies wird uns noch beuteln.

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