Von Dagmar Henn
Er liest sich gut, der Beschluss des Europäischen Parlaments zur "Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden". Da ist die Rede von verbesserter Wohnqualität, sozialer Abfederung, von einer Rückkehr zu den Vorstellungen des Bauhauses, das einmal gute Wohnungen für die breite Masse ermöglichen wollte. Aber solche Beschlüsse lesen sich immer gut; das war bereits bei den diversen Varianten der Energie-Einsparverordnung (EnEV) so. Nur die Wirklichkeit war dann anders.
Ein kleines Beispiel für die EU-Prosa: "Um angemessenen Wohnraum für alle sicherzustellen, muss eine Begriffsbestimmung für schutzbedürftige Gebiete und Nachbarschaften im Zusammenhang mit Energiearmut eingeführt werden, mit der weniger entwickelte (ländliche und städtische) Mikroareale innerhalb stärker entwickelter Gebiete genauer ermittelt werden können. Dies würde zur Ermittlung und Lokalisierung der schutzbedürftigsten sozialen Bereiche und der von Energiearmut betroffenen Personen und Haushalte, die hohe Energiekosten haben und nicht über die Mittel verfügen, um die von ihnen bewohnten Gebäude zu renovieren, und damit zur Bekämpfung sozialer Ungleichheiten, die durch die Anwendung verschiedener Klimaschutzmaßnahmen entstehen könnten, beitragen."
Und dann noch die Zahlen, mit denen das EU-Parlament selbst benennt, wie viele Gebäude in der EU letztlich von diesem Beschluss betroffen sind: "Fast 75 % dieses Gebäudebestands sind nach den derzeitigen Gebäudestandards ineffizient und 85-95 % der heutigen Gebäude werden 2050 noch stehen. Die gewichtete jährliche Quote der energetischen Renovierungen liegt jedoch anhaltend niedrig bei rund 1 %."
Das Ziel des Beschlusses ist es also, die Quote der energetischen Sanierungen heraufzusetzen. Das Mittel dafür ist das EU-typische: Verbote. Das vorgegebene Ziel lautet, bis 2050 "Karbonneutralität" zu erreichen, also keine fossilen Brennstoffe mehr zur Gebäudeheizung zu nutzen. Diese Karbonneutralität bezieht sich wieder auf den Klimaglauben, nach dem die Durchschnittstemperatur nicht mehr als zwei Grad über den "präindustriellen" Wert steigen soll, der bekanntlich, wenn man den Beginn des 19. Jahrhunderts zum Maßstab erklärt, ausgerechnet mitten in einer kleinen Eiszeit liegt.
Verboten wird die Nutzung von Wohngebäuden, die nicht mindestens die Energieeffizienzklasse E erreichen, ab dem 1. Januar 2030. Das beträfe nach den deutschen Zahlen (die es nur als Auswertung von Maklerdaten gibt, weil bisher keine statistische Gesamterfassung des Bestands stattfindet) etwa 45 Prozent des deutschen Bestands, die bis dahin entweder energetisch saniert werden müssten oder aus der Nutzung fallen. Explizit ausgenommen sind in dem EU-Beschluss nur Sozialwohnungen. Davon gibt es in Deutschland nur noch 1,1 Millionen, das sind 2,5 Prozent des Gesamtbestands; damit bleiben auf jeden Fall mindestens 42,5 Prozent oder 18 Millionen Wohnungen übrig.
Das Umweltbundesamt hat übrigens eine Studie veröffentlicht, die recht scharfe Kritik an den Kriterien der Einstufung in diese Energieeffizienzklassen äußert; die realen Verbräuche gerade in schlecht isolierten Gebäuden lägen bis zu 40 Prozent unter den angenommenen. Diese 40 Prozent reichen locker, um einen Bau aus Klasse F in Klasse E zu heben. Im Grunde könnten sich heute schon hunderte Anwälte auf die entsprechenden Verfahren vorbereiten. Und ja, schon bei der Einführung der Klassifizierung war geunkt worden, dass das dicke Ende noch käme und es dabei keinesfalls nur darum ginge, die Mieter besser über ihren Mietgegenstand zu informieren; ein Verdacht, der nunmehr belegt ist.
Dieser Beschluss musste im Europäischen Parlament gefällt werden. Käme ein solcher Vorschlag in einem nationalen Parlament auf, gäbe es eine breite öffentliche Debatte, in der die soziale Realität zumindest zum Teil ihren Raum beanspruchen würde. So können die Abgeordneten des Bundestags, die das bis Ende kommenden Jahres übernehmen müssen, achselzuckend erklären, sie müssten den EU-Beschluss in nationales Recht umsetzen und sie hätten mit dem Beschluss selbst rein gar nichts zu tun.
Wobei es schon erstaunlich ist, dass offenkundig nach wie vor niemand auch nur die Ergebnisse der EnEVs ausgewertet hat, die auch schon einen Versuch darstellten, zu energetischen Sanierungen zu zwingen. Der Hebel bei der EnEV lautete: Sobald ein Gebäudeteil, sei es die Fassade, sei es die Heizung oder das Dach, renoviert wird, muss dies auf geltendem energetischem Standard geschehen.
Das Resultat? Die Renovierungen nach EnEV waren so teuer, dass große, etwa kommunale, Mietwohnungsunternehmen wie auch Genossenschaften zu dem Schluss kamen, Renovierungen zu unterlassen und die vorhandenen Häuser einfach abzuwohnen, um sie danach durch Neubauten zu ersetzen. Die Mieterhöhungen, die bei vier, fünf Euro pro Quadratmeter lagen, wären schlicht nicht realisierbar gewesen. Sie sind es nach wie vor nicht, außer im obersten Segment.
Der einzige Nutzen, den die EnEV hatte, war als Entmietungsinstrument. Wenn ein Hausbesitzer seine Wohnungen gern teurer an Wohlhabendere vermieten wollte, musste er nur eine Sanierung einleiten und umlegen. Augenblicklich dürfen nur acht Prozent umgelegt werden, bis zu einer Höhe von 3 Euro pro Quadratmeter. Das wäre nur ein Bruchteil der Sanierungskosten; aber bei Mietern, die Bürgergeld beziehen oder Grundsicherung im Alter, dürfte das immer noch genügen.
Nun haben sich seit damals (diese Angaben bezogen sich noch auf die EnEV 2009) nicht nur die Vorgaben weiter verschärft, auch die Energiepreise sind massiv gestiegen. Unter damaligen Bedingungen standen den Kosten dieser Sanierungen keinesfalls entsprechende Einsparungen bei den Energiekosten gegenüber. Bei den jetzigen Energiepreisen könnte das möglich sein; allerdings nützt auch das nichts, wenn große Teile der Haushalte nicht in der Lage sind, diese Beträge aufzubringen, egal, ob sich der Zuschlag zur ohnehin vielfach horrenden Miete nun in Gestalt höherer Heizkosten oder in Gestalt umgelegter Renovierung ergibt. Wer zuvor, wie in deutschen Großstädten nicht selten, die Hälfte seines Einkommens für das Dach über dem Kopf auf den Tisch legen musste, weiß hinterher in beiden Fällen nicht mehr, wovon er sich noch ernähren soll.
Allerdings – die Kosten der Renovierung sind ebenfalls gestiegen. Das ergibt sich schon allein aus dem verwendeten Material. Die beliebten (weil billigen) Dämmungen aus Styropor beispielsweise sind durch die höheren Energiepreise auch betroffen, ebenso wie Kunststofffenster, aber auch diverse andere Baumaterialien. Nicht umsonst ist die Neubautätigkeit augenblicklich fast zum Stillstand gekommen. Zusätzliche Vorgaben wie die Bereitstellung von Lademöglichkeiten für Elektrofahrzeuge, die dann wiederum ganz neue Brandschutzprobleme auslösen, kommen noch dazu.
Auch wenn sich der EU-Beschluss sogar mit der Frage der vorhandenen Handwerker beschäftigt, die 160.000 zusätzlichen Arbeitsplätze, die angeblich durch dieses Programm geschaffen werden sollen, wird dies das Problem nicht lösen. 160.000 für die gesamte EU, wenn es allein in Deutschland um 18 Millionen Wohnungen geht, und das im Verlauf von nicht einmal sieben Jahren?
Bei allem Gerede, man wolle "schutzbedürftige Haushalte" vor zu hohen Kosten bewahren – wie glaubwürdig ist das, wenn gerade Milliarden in die Rüstungskonzerne gepumpt werden, weil die EU an der Seite der USA Krieg spielen will, und wenn auch die dadurch ausgelöste Inflation bei den Einkommen nicht kompensiert wird? Schon die Mietentwicklung der vergangenen Jahrzehnte hatte einen gesamtwirtschaftlich ganz klaren Effekt: Sie verlagerte Einkommen von den Lohnbeziehern hin zu den Kapitalbesitzern. Jede weitere Erhöhung verschärft dieses Problem weiter. Außer natürlich, die Regierungen greifen zum im EU-Beschluss tatsächlich erwähnten Mittel der Mietobergrenzen.
Daran kommen einem aber starke Zweifel, wenn man so die Politik der vergangenen Jahre betrachtet. Ernsthafte Bemühungen, die Zahl bezahlbarer Wohnungen zu erhöhen, sind nirgends zu erkennen. Wenn sich die vor Jahren eingeschlagene Strategie des Abwohnens in Ersatzbauten umsetzt, ändert sich daran immer noch nichts.
Allerdings trifft dieser Beschluss nicht nur Mieter, sondern auch Eigentümer. Denn nach diesen Vorgaben wird auch selbstgenutzter Wohnraum nicht ausgenommen. Bei sehr vielen dürften aber gar keine Möglichkeiten bestehen, eine solche Sanierung zu finanzieren, was insbesondere dann zuschlägt, wenn die eigene Wohnung der Alterssicherung dient. Gerade deutsche Banken geben ungern Kredite an Rentner, und der finanzielle Spielraum großer Teile der Bevölkerung gibt derart aufwendige Maßnahmen einfach nicht her. Staatliche Finanzierung? Die war schon bei der EnEV so bemessen, dass sie die Kosten nie abdeckte. Eine Komplettfinanzierung ist nicht vorgesehen.
Im Endergebnis wird dieser Beschluss dazu führen, dass kleinere Vermieter versuchen werden, ihre Wohnungen vor dem Stichtag abzustoßen, während große Konzerne wie Vonovia vielleicht einen Teil des Bestands sanieren, bei dem die Option besteht, ihn teurer vermieten zu können, und den Rest einfach bis zum Stichtag laufen und dann ungenutzt lassen. Es gibt schließlich keine Verpflichtung, Wohnraum, der durch diese Vorschriften vom Markt genommen wird, zu ersetzen. Letztlich geschieht das, was die EU immer gern erzeugt: eine Umverteilung von unten nach oben.
Allerdings – eine EU-Vorschrift gilt nur so lange, wie es eine EU gibt. Man möge sich einmal vorstellen, welche Auswirkungen diese Vorgaben in Ländern wie Bulgarien oder der Slowakei haben, in denen große Teile der Bevölkerung sich vor allem dadurch über Wasser halten, weil ihnen die Wohnung gehört, in der sie leben. Wenn es schon in Deutschland an Unmöglichkeit grenzt, diese Anforderungen zu erfüllen, wie sieht es dann dort aus? Und wer, bitte, soll dann halb Bukarest räumen, weil die Wohnungen nicht energetisch saniert sind?
Es mag das unausgesprochene Ziel sein, den halben europäischen Wohnungsbestand ein paar Großanlegern vor die Füße zu legen. Aber die Jahre bis 2030, die sind bei der Geschwindigkeit, mit der sich die Welt augenblicklich verändert, eine Ewigkeit. Die kühnen, zutiefst menschenfeindlichen Pläne, die das Europäische Parlament mit diesem Beschluss gefasst hat, werden die Kollision mit der Wirklichkeit nicht überleben.
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