Von David Narmania
Eine weitere Protestwelle erschütterte Georgien. Nach der Annahme des Gesetzes über ausländische Agenten versammelten sich am Dienstag mehrere Tausend Oppositionelle vor dem Parlament in der Rustaveli Avenue. Zunächst verlief die Kundgebung friedlich. Doch bei Einbruch der Dunkelheit versuchten die Demonstranten, in das Parlamentsgebäude einzudringen. Ihnen gelang es sogar, den Zaun zu überwinden und in den Innenhof vorzudringen.
Nach ersten Versuchen, die Demonstration aufzulösen, haben sie sogar Molotowcocktails auf die Polizei geworfen. Rund 50 Polizisten wurden dabei verletzt. Immerhin gelang es der Polizei, den Unruhen ein Ende zu setzen: 66 Personen, darunter mehrere Oppositionsführer, wurden festgenommen. Am nächsten Tag kündigten die Gegner der amtierenden Regierung jedoch eine weitere Kundgebung an.
Georgien ist eine parlamentarische Republik, das heißt, die eigentliche Macht liegt in den Händen des Premierministers und der Regierung, aber interessanterweise hat die Präsidentin Salome Surabischwili die Forderungen der Opposition unterstützt. Darauf kehren wir zurück, doch zuerst muss geklärt werden, was für ein Gesetz eine solch heftige Unzufriedenheit ausgelöst hat – hier gibt es was zu klären.
Im Grunde geht es gleich um zwei Dokumente: "Das Gesetz über die Transparenz ausländischer Einflussnahme" und "Das Gesetz über die Registrierung ausländischer Agenten". Sie gleichen sich in vielfacher Hinsicht, weisen aber auch Unterschiede auf. Das erste Dokument ist nach Ansicht von Vertretern der Regierungspartei wesentlich milder und entspricht vollkommen den rechtlichen Standards. Diese Fassung wird noch als georgische bezeichnet. Dementsprechend kann eine juristische Person nur dann als Agent ausländischer Einflussnahme eingestuft werden, wenn über 20 Prozent der Einnahmen aus dem Ausland stammen.
Das zweite Dokument, die sogenannte amerikanische Fassung, ist an das noch heute geltende US-Gesetz zur Registrierung ausländischer Agenten (FARA) von 1938 angelehnt. Das Gesetz gilt auch für natürliche Personen. Dabei beschränkt sich die "georgische" Fassung auf administrative Sanktionen, während die "amerikanische" Fassung strafrechtliche Sanktionen vorsieht.
Das Parlament hat sich am Dienstag in erster Lesung für die mildere Variante ausgesprochen. Die Abstimmung über die zweite Fassung findet am 9. März statt. Sollten beide Dokumente angenommen werden, versprechen die Behörden diejenige zu wählen, die von der Venedig-Kommission des Europarats für demokratischer gehalten wird.
Trotz all dieser Nuancen und Feinheiten ließ sich die Opposition nicht davon abhalten, die Menschen unter dem Motto "Nein zum russischen Gesetz!" auf die Straße zu bringen. Was genau Russland damit zu tun hat, ist nicht ganz verständlich, aber die Gegner der amtierenden Regierung sind der Meinung, dass Georgien von Marionetten des Kremls regiert wird.
Apropos Marionetten. Georgiens Präsidentin Surabischwili plante anfänglich, ihr Veto gegen das Gesetz einzulegen, doch wenige Stunden nach Beginn der Proteste wandte sie sich an die Nation und unterstützte die Demonstranten. Das Besondere an der Situation ist, dass sie dies von den USA aus machte, mit der Freiheitsstatue im Hintergrund – Surabischwili reiste dorthin, um an der Sitzung der Frauenrechtskommission der UN (FRK) teilzunehmen, sich mit Generalsekretär António Guterres und sogar dem New Yorker Bürgermeister Eric Adams persönlich zu treffen! Eine beispiellose Ehre für die junge Demokratie. Außerdem steht auf dem Programm ihrer Reise ein dringend benötigter Vortrag vor amerikanischen Studenten an der John F. Kennedy School of Government. Und das alles in einer äußerst angespannten Situation in ihrem Land. Nun, man muss es zu verstehen lernen, dass die Lektion an der Harvard School nicht autodidaktisch stattfinden kann, und ohne diese gibt es keinen Ausweg aus der Krise des amerikanischen Bildungssystems.
Übrigens, es gibt keinen Grund zur Verwunderung. So unhöflich es auch klingen mag, Surabischwili ist inzwischen 70 Jahre alt. Dabei wäre das Alter der ehrwürdigen Dame nicht erwähnenswert, wenn sie nicht in Frankreich geboren, in Frankreich aufgewachsen, in Frankreich (und den USA) ausgebildet worden wäre, eine Karriere im französischen Außenministerium gemacht und es bis zur französischen Botschafterin in Georgien gebracht hätte. Dieser Weg hat ihr 50 Jahre von insgesamt 70 Jahren genommen. Ein Jahr nach ihrer Ankunft in Tiflis, im März 2004, wurde sie von Saakaschwili zur Ministerin für auswärtige Angelegenheiten ernannt. Ihr ist es also nicht ungewohnt, ihrem Vaterland aus der Ferne zu dienen.
Selbstverständlich wurde das Gesetz im Westen verurteilt. Die US-Botschaft bezeichnete das Geschehene als "einen schwarzen Tag für die georgische Demokratie". "Die gesamte königliche Heerschar" ließ ebenfalls nicht lange auf sich warten: Der Wächter der privilegierten europäischen Gärten der Zivilisation, Josep Borrell, verurteilte unverzüglich die Gesetzesvorlagen und erklärte das Gesetz für im Widerspruch zu den europäischen Werten stehend, was wiederum bedeute, dass das von Tiflis angestrebte Ziel eines EU-Beitritts in Gefahr sei.
In der Folge erreichte die Nachricht auch das Außenministerium der Vereinigten Staaten. Es wurde sogar damit gedroht, Sanktionen gegen Georgien zu verhängen. Mit anderen Worten: Die USA ziehen ernsthaft in Erwägung, Restriktionen wegen der Verletzung demokratischer Rechte gegen einen Staat zu verhängen, der ein Gesetz verabschieden möchte, das weitaus milder ist als das in Amerika selbst geltende. Verblüffende Logik! Was Washington erlaubt ist, ist für Tiflis nicht erlaubt. Oder? Der "jungen Demokratie" wird sozusagen diktiert: "Kenne deinen Platz [du Hund]!"
Wie steht es mit der Opposition? Die Gegner der amtierenden Regierung beschuldigen diese der prorussischen Stimmung und kritisieren sie für die gewaltsame Auflösung der Kundgebung. Es amüsiert einen, dies von Anhängern Saakaschwilis zu hören, der 2011 weitaus brutaler gegen Proteste vorging.
Dabei ist der wesentliche Unterschied zwischen den "Gefährten des ehemaligen Gouverneurs von Odessa" und den aktuellen Behörden die Auffassung von der georgischen Politik im Lichte des Konflikts in der Ukraine. Saakaschwili hat bereits die Erfahrung von 2008 gemacht und möchte diese offensichtlich wiederholen. Die regierende Partei "Georgischer Traum" hat sich bisher dagegen gewehrt, eine weitere Konfliktpartei zu werden, und hat die Idee verworfen, eine zweite Front zu eröffnen und antirussische Sanktionen zu verhängen. Man möchte meinen, dies sei die einzig mögliche progeorgische Politik in dieser Situation. Doch die Aufgabe von Saakaschwili ist es, das Land in den Abgrund eines neuen Krieges zu stürzen, weil es die Sponsoren im Westen so verlangen.
Genau. Zusätzlich bedarf es einer Aussage über die russischen Umsiedler nach Tiflis. Sie haben das Gesetz selbstredend in Kritik gebracht – das Gesetz wird als kremlnah bezeichnet. Was soll's, mit solchen "Kämpfern gegen das Regime" hat die georgische Regierung jede Chance, die Krise durchzustehen.
Andernfalls werden die russischen Flüchtlinge aus Georgien in ein anderes Land abwandern. Sie sind es gewohnt. Was die Georgier betrifft, so kann die Machtübernahme durch politische Kräfte, denen ein Konflikt mit Russland wichtig ist, zu einer nationalen Tragödie führen. Aber was kümmert das die schüchternen De-Kolonisatoren?
Übersetzt aus dem Russischen. Zuerst erschienen bei RIA News.
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