Von Bernhard Loyen
Der Gesundheitsrecht.blog des Instituts für Sozial- und Gesundheitsrechts an der Ruhr-Universität Bochum veröffentlichte am 20. Februar den Onlinebeitrag zweier Verfassungsrechtlerinnen mit dem Titel: "Mehr Eigenverantwortung in der GKV: Beteiligung Nichtgeimpfter an den Kosten ihrer COVID-19-Behandlung". Der GKV-Spitzenverband ist die zentrale Interessenvertretung der gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen in Deutschland.
Laut Eigenauskunft gestaltet die GKV "die Rahmenbedingungen für einen intensiven Wettbewerb um Qualität und Wirtschaftlichkeit in der gesundheitlichen und pflegerischen Versorgung". Die Gesundheit ihrer 73 Millionen Versicherten "stehe dabei im Mittelpunkt des Handelns". Bei den Autorinnen des Blog-Beitrags handelt es sich um Prof. Dr. Frauke Brosius-Gersdorf, LL.M., Inhaberin des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, "insbesondere Verfassungsrecht an der Universität Potsdam" und Nicole Friedlein, "Wissenschaftliche Hilfskraft mit Hochschulabschluss", an der gleichen Einrichtung demnach noch studierend.
Im Rahmen einer vermeintlichen "Debatte über Kostenbeteiligung Nichtgeimpfter zur Reduzierung der Ausgaben der GKV" wird zu Beginn des Beitrags festgestellt, dass "die solidarische Finanzierung der GKV aber zunehmend herausgefordert wird, weil ihre finanzielle Situation seit langem angespannt ist". Für das Jahr 2023 würde durch den "Wegfall der pandemiebedingten Sonderzuzahlungen zum Gesundheitsfonds ein Defizit von 17 Milliarden Euro in der GKV prognostiziert".
"Hintergrund", also Motivation zum Institutsbeitrag sei, "dass trotz zugelassener Impfstoffe 22,1 Prozent der deutschen Bevölkerung nicht gegen COVID-19 geimpft sind". Die Autorinnen behaupten anhand einer gleichlautenden RKI-Quellennennung zu den Themen "Impfschutz" und "Auffrischungsimpfungen" (Quellenziffern 7 und 8) einleitend, dass "Nichtgeimpfte somit insgesamt ein wesentlich höheres Risiko für einen behandlungsbedürftigen Krankheitsverlauf als Geimpfte haben". In der "zitierfähigen PDF-Version" des Artikels heißt es einleitend mehr als provokativ:
"Im Zuge der Corona-Pandemie ist die alte Debatte über eine stärkere Berücksichtigung von gesundheitsschädlichem Vorverhalten Versicherter neu entflammt. Sollen nichtgeimpfte Versicherte bei einer Erkrankung mit COVID-19 an ihren Behandlungskosten beteiligt werden?"
Die stationäre Behandlung "einer akuten Corona-Infektion" koste laut der diesbezüglichen Quellennennung "im Fall einer künstlichen Beatmung durchschnittlich 32.000 bis 33.000 Euro". Die im Beitrag der Autorinnen dargelegten Pro-Impfung-Argumente lauten:
- Die Impfung bietet einen sehr guten Schutz vor einer Hospitalisierung, intensivpflichtiger Behandlung und dem Tod.
- Der Schutz vor einer Infektion ohne oder mit milder Symptomatik ist unter den Bedingungen der Omikron-Variante im Vergleich zur Deltavariante zwar geringer und von kürzerer Dauer; er kann jedoch durch eine Auffrischungsimpfung verbessert werden.
- Zudem weisen erste Studienergebnisse darauf hin, dass die Impfung das Risiko für Long-COVID-Symptome reduzieren kann.
Demgegenüber ergebe sich nach Ansicht aus einem rein juristischem Blickwinkel die vermeintlich gesellschaftliche Realität, dass ungeimpfte Bürger – "ohne dass eine Kontraindikation vorlag" – ein demnach "gesundheitsschädliches Vorverhalten" regelrecht provozieren würden. Das sogenannte "Solidarprinzip der GKV" sei "durch den Grundsatz der Eigenverantwortung flankiert (§ 1 S. 2, 3 SGB V)". Die in diesem Gesetz "vorgesehenen Möglichkeiten zur Berücksichtigung von krankheitsursächlichem Vorverhalten der Versicherten mit § 52 und § 52a SGB V" seien laut den Autorinnen "überschaubar". Daher ohne entsprechende "Druckmöglichkeit", nicht ausreichend?
Die zurückliegenden drei Jahre, inklusive einer breiten kontrovers geführten gesellschaftlichen Impfdiskussion, der Situation "wenn Versicherte, die sich gegen eine COVID-19-Impfung entschieden haben und an Corona erkranken", hätten daher nicht abschließend geklärt, ob gesetzliche Voraussetzungen "erfüllt sind". Diese lauten laut dem Beitrag:
"Gem. § 52 I SGB V kann die Krankenkasse Versicherte an den Kosten der Leistungen in angemessener Höhe beteiligen und das Krankengeld ganz oder teilweise für die Dauer der Krankheit versagen und zurückfordern, wenn sich Versicherte eine Krankheit vorsätzlich oder bei einem von ihnen begangenen Verbrechen oder vorsätzlichen Vergehen zugezogen haben."
Für den juristischen "erforderlichen Vorsatz" genüge es laut den Autorinnen, wenn "der Versicherte die Nichtimpfung und den Krankheitseintritt billigend in Kauf nimmt". Es genüge demgegenüber nicht, wenn "der Versicherte grob fahrlässig auf das Ausbleiben der Krankheit vertraut". Aufgrund "der breiten Aufklärungs- und Informationskampagnen" lasse sich von "einem allgemeinen Bewusstsein hinsichtlich der Schutzwirkung der Impfung und der Gefahren einer Corona-Infektion" in der Bevölkerung ausgehen. Ob diese überhaupt ihrer so wichtigen aufklärerischen Verantwortung inhaltlich korrekt nachkamen, einen generellen beabsichtigten Effekt bei den Bürgern hervorriefen, wird ohne Quellenangabe von den Autorinnen anscheinend vorausgesetzt. Erneut provokativ formuliert heißt es weiter:
"Der Versicherte legt zudem mit der Nichtimpfung ein besonders gefährliches Verhalten an den Tag, sodass sich argumentieren lässt, dass er auf das Ausbleiben einer behandlungsbedürftigen Corona-Infektion nicht vertrauen darf."
Es folgen in dem Beitrag keinerlei situative Vergleichsdarlegungen, anhand von Studienangaben, Statistiken oder zumindest einer Selbsteinschätzung der Autorinnen, bezüglich eines potentiellen "gesundheitsschädlichem Vorverhaltens" und daraus resultierender GKV-Belastung zum Beispiel von Kettenrauchern, Extremsportlern, Alkohol- und Drogenabhängigen oder bei "bewusster" schlechter Ernährung.
Zu der Thematik einer individuellen Entscheidung gegen eine COVID-19-Impfung sei es "schwierig zu beurteilen, ob und inwieweit die Gründe für eine negative Impfentscheidung einer wertenden Betrachtung zugänglich sind". Weiter heißt es:
"Ist eine gesteigerte Sorge vor Impfnebenwirkungen aufgrund individueller persönlicher Erfahrungen ein weniger solidaritätswidriges Handlungsmotiv als die Motivation, dem gesellschaftlichen Druck nicht nachgeben zu wollen? In jedem Fall bleibt die Schwierigkeit, die Motive für die Impfentscheidung zu ergründen und inhaltlich zu bewerten."
Diesbezüglich orientierten sich die Autorinnen an einer Forsa-Umfrage aus dem Oktober 2021 mit lediglich 3.048 Teilnehmern (Quelle 28). Durch die Aufnahme einer neuen – noch empfohlenen, nicht eingeforderten – "Kostenbeteiligungsvorschrift in das SGB V gestaltete der Gesetzgeber das Verhältnis zwischen dem Versicherungs- und dem Solidarprinzip in der gesetzlichen Krankenversicherung kompetenzgerecht aus". Bezugnehmend der (noch?) realen Freiheit der Bürger in ihrer Entscheidung heißt es:
"Aus den Freiheitsgrundrechten folgt kein Anspruch von Versicherten, dass sämtliche Krankheitskosten ohne Rücksicht auf Eigenverschulden und Mitverursachung von der Solidargemeinschaft der GKV bzw. von den Steuerzahlerinnen und -zahlern getragen werden."
Die "Beteiligung Nichtgeimpfter an ihren Behandlungskosten ist der Schutz der finanziellen Stabilität der GKV" und zudem ein "zulässiges Ziel", so die Argumentation der Verfasserinnen. Daher sei die Kostenbeteiligung "zur Verwirklichung dieser Zielsetzung geeignet". Ein weitertes bizarres, unbelegtes und vollkommen willkürliches Wahrnehmungsbild belegt diese Formulierung:
"Dadurch würde zum einen die Impfbereitschaft erhöht, sodass deutlich weniger schwere COVID-19-Erkrankungen und Long-COVID-Fälle und somit geringere Kosten für die GKV entstünden."
Eine Impfbereitschaft aufgrund angedrohter Zahlungsmodalitäten? Diese fatale Mutmaßung orientiert sich zu 100 Prozent an einem der unzähligen fragwürdigen Statements von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach. Dieser fabulierte anmaßend im Januar 2022:
"Ich glaube, dass Ärzte jeden impfen sollten. Derjenige, der geimpft werden will, weil er der Impfpflicht nachkommt und denjenigen, der sich ganz freiwillig impfen lassen will. Es wird ja niemand gegen seinen Willen geimpft. Selbst die Impfpflicht führt ja dazu, dass man sich am Schluss freiwillig impfen lässt."
Unter formulierten "Zumutbarkeitsgesichtspunkten" erscheine eine Kostenbeteiligung nicht geimpfter Versicherter nur dann gerechtfertigt, "wenn sie die tatsächliche Möglichkeit haben, ihren Gesundheitszustand und damit die Gesundheitskosten in der GKV eigenverantwortlich zu beeinflussen". Laut den Autorinnen sei diese Situation in Deutschland gegeben:
"Für die Zumutbarkeit ist daher maßgeblich, dass geeignete Impfstoffe gegen das COVID-19-Virus zur Verfügung stehen, mit denen Versicherte ihre Gesundheit schützen und eine Kostenbeteiligung bei einer COVID-19-Erkrankung aktiv abwenden können. Das ist bislang der Fall. Die Schutzwirkung der gegenwärtig verfügbaren Impfstoffe ist sehr gut belegt."
Diesbezügliche Belege, Studien oder Quellenverweise wurden dem Blog-Beitrag nicht beigefügt. Die nachweislich dokumentierte Existens von Nebenwirkungen bzw. massiven Impfschäden durch mRNA-Wirkstoffverabreichungen scheint den Juristinnen nicht bekannt. Die Hauptautorin ist stellvertretende Verfassungsrichterin in Sachsen. Blogbetreiber und damit verantwortlicher Endredakteur ist Leopoldina-Mitglied und Institutsdirektor Prof. Dr. Stefan Huster. Jener Mann, der auch Vorsitzender des Sachverständigenrats zur Evaluation der Pandemiemaßnahmen war. Herr Huster kommentierte ihm betreffende Sachkritik im Juni 2022 eher unakademisch:
"Sachliche Kritik ist immer willkommen. Aber wer hier Fake News verbreitet, mich beleidigt oder üble Unterstellungen ('Pharmalobby' usw.) verbreitet, wird blockiert. Mein Mitgefühl reicht für so viel Dummheit und Niedrigkeit nicht aus."
Huster war nebenberuflich im Jahr 2019 Moderator bei der "Pharma Networking Night" des Handelsblatts. Das noch junge Jahr versucht sich zaghaft in einer Aufarbeitung der Corona-Krise, auch seitens der mitverantwortlichen Leitmedien (Beispiel 1, Beispiel 2, Beispiel 3), ausgehend einer realexistierenden tiefen – anhaltenden – Spaltung der Gesellschaft. Solche Blogbeiträge eines Instituts für Sozial- und Gesundheitsrechts wirken bei genauerer Betrachtung nicht wirklich bemüht, diesen Status quo zu überwinden. Das Misstrauen eines nicht zu unterschätzenden Teils der Bürger gegenüber verantwortlichen Institutionen und Protagonisten dieser Gesellschaftskrise abzubauen. Rein subjektiv – ein schlimmes kontraproduktives Pamphlet.
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