Von Dagmar Henn
Russland führe einen brutalen, grausamen Krieg in der Ukraine, behauptet die deutsche Presse, und Politiker wie Außenministerin Annalena Baerbock behaupten gar, es ginge um einen Genozid. Brutaler, als Krieg an sich ist, der immer Menschenleben kostet? Brutaler als das, was seit bald neun Jahren im Donbass angerichtet wird?
Schon im Sommer gab es einen Artikel eines US-Marines, der ausführte, dass die Art und Weise, wie die russische Armee vorginge, eher ungewöhnlich schonend sei. Ungeachtet der hohen Verluste des ukrainischen Militärs, bei denen man inzwischen die von Ursula von der Leyen benannten 100.000 Gefallenen als absolute Untergrenze ansetzen kann, sind die Verluste in der Zivilbevölkerung durch russische Kriegshandlungen weit niedriger als in sämtlichen Kriegen seit 1945. Was nichts daran ändert, dass in den deutschen Medien dann eben die Folgen ukrainischer Luftabwehr als russische Gräueltaten verkauft werden, aber auch diese Tatsachen werden sich irgendwann durchsetzen.
Der Grund dafür ist, dass eigentlich niemand in Russland gegen die Ukraine kämpfen will, sondern Russland tatsächlich dazu gezwungen wurde. Ganz zu Beginn des Konflikts, 2014, hatte ich längeren Kontakt zu einer Ukrainerin, die immer von ihrer "kleinen Heimat", der Ukraine, und ihrer "großen Heimat", der Sowjetunion, schrieb. Das ist eine Sicht, die anders herum genauso existiert. Und trotz der abscheulichen Ideologie, die die heutige Ukraine im Griff hat, ist das Verhältnis der Russen zu ihr, so eigenartig das im Moment klingen mag, eher zärtlich.
Wie tief das geht, habe ich erst begriffen, als ich in Moskau der russischen Küche begegnete. Der Spitzname, der lange Zeit im Donbass für die Ukrainer üblich war, lautete "Ukrops", auf Deutsch ist das Dill. Würde man jemanden, den man wirklich hasst, mit dem Wort für ein Gewürz belegen, das in fast allen salzigen Speisen zu finden ist? Das geht ein wenig in die Richtung des Märchens, von dem König, der seine drei Töchter befragt, wie sehr sie ihn lieben, und die dritte, die antwortet, sie liebe ihn wie das Salz, verbannt – bis sie ihm später, als Küchenmagd getarnt, eine Suppe serviert, der das Salz fehlt.
Im letzten Gespräch von The Duran mit Scott Ritter beschreibt dieser eine Szene, die ihn besonders verblüfft hat, aus einem von vielen Videos, die von den Kämpfen kursieren. Er beschreibt zuerst, wie er bei den US-Marines gelernt hat, Schützengräben zu säubern, und betont, zum Glück habe er das nie tun müssen.
"Jede Einheit der Marines, an der ich beteiligt wäre, die über einen Schützengraben hinweg angreift, da gibt es keine einzige lebende Person. Wenn wir etwas sehen, das sich bewegt, töten wir es. Wenn da ein Bunker ist, geht eine Granate rein, wir folgen mit Feuer, wir töten alles, was sich bewegt oder zuckt. Insbesondere, wenn wir selbst ständig unter feindlichem Feuer stehen oder ein möglicher Gegenangriff droht. Es wird keine Gefangenen geben. Nicht, weil wir Kriegsverbrecher sind, wir geben dir nur keine Gelegenheit, dich zu ergeben. Weil unsere Leben in Gefahr sind, und mir liegen meine Marines mehr am Herzen als die Leute in dem Graben. Also heißt es: Töte sie alle und setze den Angriff fort! Wenn es Verwundete gibt, und wir später die Verwundeten herausholen, behandeln wir die Verwundeten gut, aber die Vorstellung 'Hände hoch, ich ergebe mich' – es tut mir leid, du bekommst keine Chance, die Hände zu heben, denn wenn du in dem Graben gegen mich stehst, stirbst du."
Wer das Video auf Englisch ansehen kann, sollte es tun. Der Link oben geht auf die zitierte Stelle, aber auch der Rest des Gesprächs ist sehr spannend. In diesem Zusammenhang ist vor allem das Gefühl wichtig, das Ritter vermittelt, während er diese Szenen beschreibt, das die Worte nur bedingt wiedergeben:
"Und immer wieder sehe ich diese Russen, die reingehen und die Ukrainer anflehen, sich zu ergeben, sie anflehen, ihnen jede Gelegenheit dazu geben. Die sich selbst Dingen aussetzen, die ich mir nicht einmal vorstellen konnte. Es gibt eines, in dem drei Jungs tatsächlich fünf Ukrainer auf dem Boden haben, angegriffen werden und sich um den Angriff kümmern müssen, und schlicht sagen: 'Bleibt da, bewegt euch nicht' ... und sie lassen sogar die Waffen in deren Nähe ... Ich dachte nur, nein! Nein, so etwas tut man nicht! Du tötest sie, weil sie eine Gefahr für dich darstellen! Sie sind der Feind, sie versuchen, dich zu töten! Die Russen tun das nicht, weil das ihr Bruder ist ... das ist ihr Cousin, das ist wortwörtlich ihr Blut. Und wir begreifen das nicht."
Er hat recht, es gibt eine Menge solcher Videos, und jenes eine, das er beschreibt, erweckt sogar bei völlig unmilitärischen Zuschauern ein Gefühl des Unbehagens, denn die gegnerischen Insassen dieses Grabens sind nicht einmal provisorisch gebunden, und die Russen vertrauen ihnen so sehr, dass sie ihnen sogar den Rücken zuwenden, während sich ihre Waffen noch in der Nähe befinden.
Natürlich sind solche Videos kein Beleg dafür, dass das immer so passiert; doch selbst als Ausnahme ist es bemerkenswert. Nicht nur, weil im Interesse der Menschlichkeit ein hohes persönliches Risiko eingegangen wird; schon allein, weil die Gleichzeitigkeit der fortlaufenden Kampfhandlungen mit dieser Gnade eine ungeheure Disziplin erfordert, denn im Grunde geht es um emotionale Zustände, die einander ausschließen.
Das, was Scott Ritter als Vorgehensweise der Marines beschreibt, ist leichter zu realisieren, weil die Trennung zwischen der normalen Person und jener, die kämpft, einfach durch den Kampf selbst erfolgt; während des Kampfes gilt gewissermaßen Modus A, und wenn Ruhe herrscht, Modus B. Eine Situation, in der das eigene Überleben bedroht ist, ist physiologisch ein absoluter Ausnahmezustand, und der Hormonflut, die das auslöst, die das klare Kommando gibt "ich und nicht er", in diesem Ausmaß entgegenwirken zu können, bedarf tatsächlich einer Anstrengung, und das ganze Kriegsrecht ist danach angelegt, dass das in der Regel erst gelingt, wenn die akute Kampfphase vorüber ist.
Eine emotionale Bindung an das gerade noch feindliche Gegenüber ist sicher etwas, das das Entstehen solcher Momente erleichtert. Während eine Propaganda, die dieses Gegenüber entmenschlicht, der Möglichkeit solcher Augenblicke entgegenwirkt und die Wahrscheinlichkeit von Übergriffen, also tatsächlichen Verstößen gegen das Kriegsrecht, erhöht. In der ukrainischen Propaganda ist das das Leitmotiv. Das begann bereits 2014, als die Anti-Maidan-Demonstranten mit Kartoffelkäfern gleichgesetzt wurden, und setzt sich bis heute fort, da von "Orks" die Rede ist, was die deutsche Presse auch noch begeistert übernimmt.
Auch die russische Propaganda ist da anders. Es gibt eine Reihe von Zeichentrickfilmen, die man tatsächlich als Kriegspropaganda im strengen Sinne bezeichnen kann, deren Hauptfigur eine als Schweinchen dargestellte Ukraine ist, mit Nazi-Tätowierungen. Ihre Gegner sind ein Bär für Russland und ein Büffel für Weißrussland. Inzwischen sind 16 Folgen dieser Filmchen erschienen und werden eifrig im russischen Netz geteilt.
Aber das Schweinchen ist nicht böse, es ist nur dumm. Es wird in jedem dieser Filmchen aufgehalten, aber eher so, wie ein Vater ein Kind aufhält, das aus Übermut oder Wut irgendwelchen Unfug anstellt. Das Schweinchen ist nicht Täter, sondern Opfer.
Womöglich ist das der tiefere Grund, warum jede Darstellung der russischen Sicht unterbunden werden soll, und warum jede Erwähnung des ukrainischen Nazismus zur "russischen Propaganda" erklärt werden muss, obwohl selbst die westlichen Medien in der Vergangenheit darüber berichteten. Denn wenn deutlich wird, dass dieser Punkt keine Propaganda ist, das Verhältnis zu den Ukrainern insgesamt aber dennoch weit mehr von Zuneigung und Sorge geprägt ist als von Hass, entblößt das auch die westliche Darstellung der Russen als die entmenschlichende Kriegspropaganda, um die es sich dabei handelt.
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