Von Dagmar Henn
Nachdem er schon wegen eines kritischen Kommentars Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte, hat der MDR auch noch eine Umfrage mit unerwünschtem Ergebnis geliefert – 94 Prozent der Hörer, die sich meldeten, sprachen sich gegen eine Lieferung deutscher Panzer an die Ukraine aus. Obwohl die vierminütige Sendung, in der die Höreraussagen auf dem Anrufbeantworter des Senders ausgewertet wurden, das Ergebnis mit jedem denkbaren Mittel entschärfte, fing sich der MDR dafür auf Twitter heftigsten Ukrotroll-Befall ein. Kommentare wie "Russentrolle" oder "Da hat der Putin all seine alten Freunde aus DDR-Zeiten aktiviert, oder?" oder "Haben Sie überhaupt noch Hörer U55?" geben einen Eindruck davon.
Die MDR-Redaktion hatte erst erklärt, die Umfrage sei nicht repräsentativ; dann den Aussagen von Befürwortern exakt so viel Zeit eingeräumt wie jenen der Gegner, obwohl das Verhältnis 6:94 war, und dann auch noch die Deutschlandtrend-Umfrage vom selben Tag zitiert, nach der in ganz Deutschland 46 Prozent für eine Lieferung und 43 Prozent dagegen seien. Es nützte nichts. Allein die Erwähnung, es könnte irgendwo, irgendwann in Deutschland eine deutliche Mehrheit gegen solche Lieferungen geben, macht verdächtig.
Die von Infratest durchgeführte Umfrage war allerdings nicht die einzige; am selben Tag wurde eine Forsa-Umfrage veröffentlicht, die nur fragte, ob Deutschland Lieferungen von Leopard-Panzern durch andere Länder wie Polen erlauben solle. Das Ergebnis waren 54 Prozent Befürworter und 38 Prozent Gegner. Mit starken Unterschieden zwischen Anhängern unterschiedlicher Parteien, und mit den Grünen als Kriegstreibern, die sogar von einer Rückeroberung der Krim mithilfe deutscher Panzer fantasieren.
Noch am 8. Januar hatten, bei einer Umfrage zur Lieferung der Marder-Schützenpanzer, 50 Prozent abgelehnt und nur 38 Prozent sich dafür ausgesprochen. Man kann also zumindest festhalten, dass die Dauerbeschallung "Panzer, Panzer, Panzer!" bei einem Teil der Bevölkerung erfolgreich war.
Im Softwarebereich gibt es die Abkürzung GIGO. Das bedeutet: Wenn man Müll eingibt, erhält man auch Müll. Bisher sind sämtliche Umfragen zur Frage der Lieferung von Leopard-Panzern GIGO. Weil keine davon die wirkliche Frage stellt, um die sich sämtliche Medien erfolgreich drücken.
Stellen Sie sich vor, Sie stehen in der Nähe des Walchensees vor der Abfahrt zum Kochelsee, der Kesselbergstraße, und ein Mann, der die Schlüssel für einen Porsche in der Hand hält, fragt Sie, ob Sie diesen Porsche fahren wollen. Er verschweigt Ihnen allerdings, dass die Bremsen kaputt sind. Was besagt dann Ihre Antwort in Bezug auf die richtige Entscheidung? Gar nichts. Weil nämlich die entscheidende Information fehlt.
Noch gibt es keine repräsentative Umfrage in Deutschland, deren Frage so lautet: Sind Sie für Lieferungen deutscher Leopard-2-Panzer samt Besatzung in die Ukraine, auch wenn das von Russland als Kriegsbeteiligung Deutschlands gewertet wird?
Es ist ziemlich wahrscheinlich, dass die Zahl der Befürworter bei einer solchen Fragestellung deutlich niedriger läge. Aber genau das sind die zwei Punkte, die die deutsche Presse scheut wie der Teufel das Weihwasser: Die Tatsache, dass die Panzer mit Personal geliefert werden müssen. Und die Tatsache, dass es die Entscheidung Russlands ist, was als Beteiligung gewertet wird, aber die Grenzen dafür bei Deutschland, mit dem bis heute nur ein Waffenstillstand besteht, besonders eng gezogen sein dürften.
Bis zu einem gewissen Maß scheint das den Deutschen auch bewusst zu sein. Schließlich sind, wenn man die Infratest- und die Forsa-Umfrage vergleicht, ganze zwölf Prozent mehr für die Lieferung durch andere Länder als für die Lieferung durch Deutschland. Und selbstverständlich dürfte bei dem deutlichen Unterschied zwischen Ost und West auch eine Rolle spielen, dass die Bevölkerung des östlichen Teils weniger an westliche Wunderwaffen glaubt und zu einem gewissen Teil noch weiß, dass auch die Truppen des Warschauer Vertrags jenen der NATO mindestens gleichwertig waren; von dem noch kleineren Teil, der tatsächlich einmal die sowjetische Militärstrategie gelernt hat und daher nicht an solche Märchen wie "mit Menschenmassen überrennen" glaubt, einmal ganz abgesehen.
Man spricht in Deutschland in letzter Zeit nicht gerne davon, aber vollständige Information ist eine der Voraussetzungen der Demokratie. Je wichtiger die Entscheidung, desto wichtiger die Vollständigkeit. Allerdings ist es gar nicht gewünscht, das wirkliche Ergebnis bei vollständiger Information in Erfahrung zu bringen.
Genau das ist es, was sich in der Reaktion auf die MDR-Umfrage zeigt. Denn Umfragen, die unter falschen Voraussetzungen abgehalten werden, dienen vor allem dazu, denen, deren Überzeugung abweicht oder abzuweichen droht, zu vermitteln, dass sie sich damit gegen die Mehrheit stellen. Einzig dabei können selbst nicht repräsentative Hörermeinungen schon störend wirken.
In der echten Welt ist es allerdings besser, zu wissen, ob die Bremsen des Porsche funktionieren. Denn auf dem vor uns liegenden Weg geht es steil abwärts und die Kurven sind scharf.
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