"Putin drehte den Gashahn ab und Leitungen sind kaputt" – Habeck bleibt bei seiner Jahrhundertlüge

Das schwimmende LNG-Terminal "Höegh Gannet" hat in Brunsbüttel seinen Probebetrieb aufgenommen – angemietet von Norwegen. Habeck hielt dazu eine Ansprache und beschuldigte Russland erneut. Der ganze Umstieg auf LNG sei nur, weil Putin Deutschland den Gashahn abgedreht hat.

Von Wladislaw Sankin

Die fast 300 Meter lange "Höegh Gannet" hat am frühen Freitagmorgen den Gefahrgut-Liegeplatz im Brunsbütteler Elbhafen West erreicht, berichtete der NDR am Freitag. Damit können künftig Tanker mit verflüssigtem Erdgas, unter anderem aus den USA und Katar, Brunsbüttel ansteuern. 

Die drei bislang installierten schwimmenden LNG-Terminals in Deutschland – in Wilhelmshaven, Lubmin und jetzt Brunsbüttel – können laut Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck bei voller Auslastung etwa zehn Prozent des deutschen Gasbedarfs decken, sobald sie bis Ende des Jahres in den Regelbetrieb gehen. 

In einer gelben Weste posierte Habeck stolz zusammen mit dem Ministerpräsidenten Schleswig-Holsteins Daniel Günther vor dem Tanker. Bei einer festlichen Zeremonie begründete Habeck diesen Fototermin mit russischer Hinterhältigkeit:

"Die Hälfte der Gasversorgung, die Deutschland hatte, ist weggebrochen, weil Putin den Gashahn abgedreht hat und die Leitungen sind jetzt kaputt, das heißt, sie kommen auch absehbar nicht mehr wieder. Die Hälfte ist weg und von dieser Hälfte haben wir jetzt 45 Milliarden Kubik Meter Gas auf diesen drei Stationen, d. h. ein Viertel aufgebaut."

Diese Aussage Habecks schaffte es am Samstag sogar in die abendlichen Nachrichten des russischen Fernsehens. Beeindruckend war dabei nicht nur das Gesagte, sondern auch die Kulisse, die der "grüne" Minister Habeck für das Posieren vor den Kameras auswählte. Denn nur ein kleiner Kameraschwenk vom Tanker entfernt lagen mehrere Berge der umweltschädlichen Kohle. 

"Deutschland importiert aktiv Kohle, um Gasknappheit zu vermeiden und macht Russland dafür schuldig", stellte der russische Erste Kanal fest. 

Aus russischer Sicht ist es erstaunlich, wie der deutsche Vize-Kanzler es schafft, immer wieder so routiniert die Tatsachen zu verdrehen. Als ob es nicht Habeck persönlich, seine polnischen, ukrainischen und US-Freunde, die Ampel-Regierung und letztendlich die gesamte EU selbst waren, die im letzten Jahr alles dafür getan haben, damit Russland keine Energieträger nach Deutschland mehr liefert. 

Es sei daran erinnert, dass die Europäische Union 2022, mit Beginn der Sonderoperation in der Ukraine, zunächst ihre Pläne ankündigte, Lieferungen russischer Energieressourcen, insbesondere von Gas, zu verweigern, und dann entsprechende Beschränkungen gegen die Russische Föderation einführte. Schließlich war es so weit: Die EU einigte sich zuletzt auf ein Embargo gegen Rohöl, raffinierte Erdölerzeugnisse, Kohle und andere feste fossile Brennstoffe. Hierzu eine kleine Auswahl der deutschen Presse, die all diese Schritte immer befürwortete und die frühere Bundesregierung für ihre angebliche Verbundenheit mit Russland kritisierte:

"Der Wirtschaftsminister wandte sich vehement gegen die Idee, die Ostseepipeline Nord Stream 2 in Betrieb zu nehmen. (...) Habeck sagte, eine Inbetriebnahme würde nichts ändern und die Abhängigkeit von russischem Gas noch erhöhen. Putin hätte dann auch sein Ziel erreicht, Sanktionen zu brechen. 'Das wäre das Hissen der weißen Fahne in Deutschland und Europa. Das sollten wir auf keinen Fall tun.'" (NTV am 22. Juli)

Die FAZ betont, dass Habeck sich selbst immer als Gegner der russischen Gas-Lieferungen positionierte: 

"Wenn es nach Robert Habeck (Grüne) geht, sollte das Thema Nord Stream 2 längst erledigt sein. Die zweite Gaspipeline durch die Ostsee, fertig gebaut, mit Gas gefüllt – es war eine von Habecks ersten Amtshandlungen als Bundeswirtschaftsminister, den Zertifizierungsprozess für das umstrittene Projekt zu stoppen."

Nun stellt er sich in Brunsbüttel als Unschuldslamm hin und verweist auf Russland als Übeltäter. Seine Nichterwähnung dessen, was mit drei der vier Nord-Stream-Stränge am 26. September passierte, ist besonders amüsant. Die ziemlich offensichtlich von einem der "treusten" deutschen Partner gesprengten Leitungen seien nicht hinterhältig gesprengt worden, sondern nur "kaputt". Dass er an dieser Stelle Russland auch noch indirekt des Terroraktes beschuldigte, war allerdings schon ein Fortschritt. Der russische Deutschlandexperte Alexander Kamkin fand gegenüber RT hierzu deutliche Worte: 

"Habeck lügt unverhohlen, denn es war nicht Russland, das die Transitrouten freiwillig geschlossen und die Nord Streams in die Luft gejagt hat, es war nicht Russland, das den Ausstieg aus der Energiekooperation eingeleitet hat. Die Erklärung des deutschen Ministers ist ein typisches Beispiel für zynisches Verhalten, wenn alles auf den Kopf gestellt wird."

Seiner Meinung nach waren es die Handlungen der deutschen Koalitionsregierung und ihrer Vorgänger, die zur Verschärfung der Energiekrise, zu großflächigen Unterbrechungen der Gasversorgung und zum Anstieg der Inflation geführt haben.

Niemand erinnert sich heute daran, dass Deutschland sich nur Wochen und Monate vor der Sprengung der Pipelines bemüht hat, die von EU-Sanktionen betroffenen sechs Siemens-Turbinen aus Kanada zu "befreien". Diese wurden in Russland gebraucht, um die ausgedienten Turbinen nach Ablauf der technisch vorgesehenen Laufzeit zu ersetzen. Russland drosselte in diesem Zusammenhang tatsächlich für einige Wochen den Druck in den Rohren, doch schon damals wurde der Vorwurf der Bundesregierung laut, Russland nutze diese eigentlich längst terminierten Wartungsarbeiten als Vorwand, um Deutschland angeblich mit der "Gas-Waffe" zu bedrohen.

Heute ist diese Behauptung fester Bestandteil des deutschen offiziellen Narrativs, das von den Medien gerne geteilt wird. Denn nach spektakulärem Akt der Sabotage am Meeresboden hat die Bundesregierung nur erleichtert aufgeatmet, dass diese lästige Pipeline nicht mehr da ist. Russlands Angebot, das Gas durch eine noch verbliebene Leitung zu liefern, wurde von Habeck und Scholz schlicht ignoriert.  

Auch wird in Berlin nicht an die Tatsache erinnert, dass die Ukraine im Mai die Gaslieferung über der Gasmessstation "Sochranowka" auf dem Territorium der Lugansker Volksrepublik eingestellt hat, obwohl die Station in einem ordnungsgemäßen Zustand war und ist. Das reduzierte die Menge des über die Ukraine nach Europa transportierten Gases fast um die Hälfte. Entsprechende "Gasprom"-Anfragen an die ukrainische Seite wurden bis zuletzt stets abgelehnt. Heute werden nur 24,4 Millionen Kubikmeter Gas täglich aus Russland über die Ukraine nach Europa geleitet. 

Durch den Verzicht auf das russische Pipeline-Gas wird Deutschland aber keineswegs unabhängig. Die neuen LNG-Partner wollen ihre deutschen Abnehmer nun mit langfristigen Verträgen binden. Es entstehen neue Abhängigkeiten – nun von den USA und den Golfstaaten. So erklärte letzte Woche der Chef des US-Unternehmens EQT, Toby Rice, dass die Vereinigten Staaten Europa im Rahmen langfristiger Verträge LNG-Lieferungen zu einem Preis von 12 $/MMBtu (etwa 380 $ pro 1.000 Kubikmeter) zugesagt haben.

Dass LNG-Technologie umweltschädlicher als Durchleitung über moderne Untersee-Pipeline ist, stört die sonst angeblich so umweltbewusste Bundesregierung nicht. Der Transport von dem auf minus 162 Grad heruntergekühlten LNG mit großen Spezialtankern über den Seeweg gilt als sehr energieintensiv, was auch der NDR in seinem Bericht einräumt

So kritisiert die Deutsche Umwelthilfe die Pläne der Bundesregierung als "überdimensioniert" und fechtet die Betriebserlaubnis des neuen LNG-Terminals in Wilhelmshaven an. Das "NewClimate Institute" in Köln kritisiert, dass der Umfang der neu geplanten LNG-Infrastruktur im Widerspruch zu den Klimaschutzzielen Deutschlands steht. 

Diese 180-Grad-Wende bei der Energieversorgung Deutschlands, die die Bundesregierung innerhalb eines Jahres vollzogen hat, ist ein sehr weitreichendes Jahrhundert-Ereignis, das die gesamte Epoche von 50 Jahren der reibungslosen und für beide Seiten vorteilhaften deutsch-russischen Energie-Kooperation abrupt beendet hat. Der russische Senator Alexei Puschkow nannte dies einen "großen Bruch mit Russland".

"Das, was ich einen "großen Bruch" zwischen Europa und Russland nenne, ist eingetreten. Deutschland hat das Rückgrat der alten Beziehungen gebrochen, indem es auf das russische Gas, das über Nord Stream zu ihm fließt, verzichtet hat", schrieb der Politiker in seinem Telegram-Kanal und merkte an, dass die Sprengung dieser Pipeline und von Nord Stream 2 "selbst die theoretische Möglichkeit der Wiederaufnahme des Gasflusses nach Deutschland verhindert" habe.

Puschkow wies darauf hin, dass die Gaslieferungen schon während des Kalten Krieges die Grundlage für eine "besondere Beziehung" zwischen Moskau und Berlin bildeten. Die fehlenden Lieferungen, so der Senator, werfen die internationale Situation in die Zeit vor dem 1970 zurück, als Leonid Breschnew, Generalsekretär des ZK der KPdSU, und Bundeskanzler Willy Brandt das "Gasröhren"-Abkommen zwischen der Sowjetunion und der BRD unterzeichneten.

Mit seiner notorischen Lüge, wonach Russland diese Kooperation selbst ruiniert hat, verfestigen Scholz und Habeck nun das politisch-mediale Narrativ, das von den Medien nicht nur nicht hinterfragt wird. Es wird weiter verbreitet, sogar in der Fachpresse. "Russlands Präsident Putin dreht den Spieß um und stellt Deutschland das Gas ab", schreibt etwa Business-Insider. Ob der Kanzler und sein Vize sich mit derlei plumper Propaganda ihrer historischen Verantwortung für diese Fehlschritte entziehen können, bleibt aber noch ungewiss. 

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