Die NATO und ihre Beteiligung am Krieg in der Ukraine

Hier geht es einmal nicht um die Frage, wie der Westen den Krieg in der Ukraine gestiftet hat, sondern wie er ihn heute weiter betreibt. Man muss einen Blick auf veröffentlichte Dokumente werfen, um zu erkennen, wie weit diese Beteiligung geht.

Von Dagmar Henn

Nach wie vor wird in Deutschland eisern behauptet, die NATO würde der Ukraine nur ein bisschen helfen, und wer behaupte, sie sei längst am Krieg beteiligt, verbreite einen Verschwörungsmythos. Aber die NATO, vor allem die USA, sind längst nicht nur beteiligt; ohne sie wäre dieser Krieg längst vorüber. Nun ist es eine Sache, das abstrakt zu wissen, aber eine ganz andere, konkrete Beispiele vorgeführt zu bekommen, wie weit diese Beteiligung geht.

Es gibt nette Menschen, die haben eine Reihe von Memos veröffentlicht, die in den vergangenen Monaten der ukrainischen Seite zugingen. Und man kann wirklich nicht behaupten, es handle sich dabei um ein paar nicht ganz so wichtige Daten. Hier ein paar Beispiele.

Wie man sieht, eine Karte vom 3. Juli, die die Positionen russischer Truppeneinheiten anzeigt. Das ist so ungefähr das, was man sich unter solcher Unterstützung vorstellt. Übrigens, wenn man in dem etwas unsortierten Paket dieser Veröffentlichung anschaut, wie sich die Menge der weitergereichten Daten entwickelt, sieht man von März bis Juli eine deutliche Veränderung: Sie werden immer detaillierter; im Juli sind sie bereits so detailliert, dass es einer direkten Beteiligung gleichkommt.

Das ist ein Memo vom 4. Juli. Darin findet sich ein Reparaturdepot im Gebiet Cherson, 18,7 km nordöstlich der Stadt, in dem sich über 25 gepanzerte Mannschaftstransporter und über 15 Unterstützungsfahrzeuge befunden haben sollen.

Außerdem werden Luftabwehrgeschütze und Radare im Gebiet Lugansk aufgelistet; hier sieht man schon sehr präzise Angaben. Die Koordinaten kann man sich herauskopieren und auf Google Maps selbst finden.

Aber es geht noch ein Stück genauer, und das ist bereits etwas, was man in der Wirtschaft Mikromanagement nennt. So sehen Listen aus, die täglich an das ukrainische Militär gehen:

Es sind Listen mit genauen Zielkoordinaten, die so, wie sie da stehen, umgesetzt werden können. Ist das, in dieser Detailgenauigkeit, noch Unterstützung, wenn die Mannschaften einzelner Geschütze im Grunde bereits unmittelbar unter NATO-Kommando arbeiten?

Dabei muss man ins Gedächtnis rufen, dass die Ukraine kein Mitglied dieser Militärallianz ist und sie noch nicht einmal Beistandsverträge mit irgendeinem der Staaten besitzt, die sich nun so eifrig einmischen. Es ist inzwischen in vielen Fällen (wie bei den HIMARS-Raketenwerfern) sogar fraglich, ob überhaupt noch Ukrainer diese Gerätschaften bedienen, und es nicht längst "Freiwillige" aus NATO-Armeen sind.

Wie ist es denn zu werten, wenn eine deutsche Panzerhaubitze – bedient von, sagen wir einmal, polnischen Söldnern – anhand einer solchen von der NATO gelieferten Zielliste ein russisches Ziel beschießt? Ist das immer noch keine Beteiligung? Oder wer ist da beteiligt, nur der Staat, aus dem die Bedienmannschaft stammt, der Staat, der das Geschütz, oder der Staat, der die Koordinaten liefert? Momentan ist es womöglich nur der Staat, auf dessen Boden das Geschütz steht...

Tatsächlich wird hier der zweite Grund sichtbar, aus dem die USA die Ukraine als Schauplatz ihres Krieges gegen Russland gewählt haben. Der erste war die noch vorhandene sowjetische Rüstung, die zumindest am Anfang das ganze Unternehmen für die NATO sehr kostengünstig gestaltete (von der Tatsache ganz zu schweigen, dass sie diese Mengen Material schon nicht hätte aufbringen können). Der zweite aber ergibt sich einzig aus der Tatsache, dass die Ukraine nicht Mitglied der NATO ist.

Wäre sie es bereits, wäre dies ein offen geführter Krieg der NATO gegen Russland, wären auch die technischen Aufklärungsmittel der NATO Ziele, und die Menge der Daten, die an die ukrainischen Truppen (oder welche auch immer) weitergereicht werden könnten, ginge deutlich zurück. So wird ein Land, dessen eigene militärische Kapazitäten deutlich geringer sind, mit Fähigkeiten ausgestattet, wie sie nur ein hoch technisiertes Land besitzt. Während gleichzeitig die "Spender" dieser Daten ihre Hände in Unschuld waschen.

Wie gesagt, die veröffentlichten Dokumente erwecken zumindest den Eindruck, dass Volumen und Genauigkeit der Daten seit Anfang des Konflikts deutlich zugenommen haben. Das mag allerdings täuschen, weil sie immer nur von einzelnen Tagen stammen. Klar ist aber: Mit eigenen Mitteln hätte die Ukraine nur einen Bruchteil dieser Zielliste erstellen können, und nur unter beträchtlichem Aufwand.

Der Krieg in der Ukraine wäre ohne diese Beteiligung längst vorüber. Und selbst diejenigen in Westeuropa, die auf ihrer "Solidarität mit der Ukraine" bestehen, sollten irgendwann darüber nachdenken, ob ein frühes Ende nicht besser gewesen wäre. Nicht nur, weil es die ukrainische Souveränität, die sie angeblich zu verteidigen wünschen, gar nicht gibt, weil das Land auch jetzt von außen regiert wird; schließlich wurde selbst im Westen inzwischen bestätigt, dass die Verhandlungen im März in Istanbul ohne das Eingreifen von Boris Johnson erfolgreich gewesen wären.

Nein, es wird so getan, als habe die Misere, in der sich die Ukraine inzwischen befindet, rein gar nichts mit dieser westlichen Unterstützung zu tun. Ohne die zusätzlichen Waffen und – vor allem – die zusätzlichen Daten wäre der Krieg vorüber gewesen, ehe die Infrastruktur größeren Schaden gelitten hätte. Es wäre nicht zur freundlichen Sprengung der Nord-Stream-Pipelines gekommen und ein großer Teil der Flüchtlinge wäre bereits wieder zurückgekehrt. Zehntausende junger ukrainischer Männer wären noch am Leben. Und Europa würde nicht deindustrialisiert.

Aber erst vor wenigen Tagen hielt es die Bundesregierung sogar für erforderlich, die Aussage von Boris Johnson in einem Interview mit dem kanadischen CNN, die Deutschen seien für ein schnelles Ende gewesen, hochoffiziell zu dementieren. Als wäre der schlimmste Vorwurf, den man ihr machen könnte, der, einen Anflug von Vernunft zu zeigen. Stattdessen fordert der CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter, man solle endlich Leopard-Panzer an die Ukraine liefern.

Dahinter verbirgt sich ein grenzenloses Vertrauen darauf, dass Russland den Schein weiter wahrt und zwar davon redet, es handele sich um einen Krieg gegen die NATO, aber nicht danach handelt. Tatsächlich wird die zutiefst unmoralische Verlängerung des Krieges den europäischen Bevölkerungen als von Werten geleitete Handlung verkauft. Während das von wirklichen Werten geleitete Vorgehen der russischen Armee, die Aufwand treibt, um zivile Opfer zu vermeiden, als "Vernichtungskrieg" etikettiert wird. Das ist ein Akt der Heimtücke sowohl Russland als auch den eigenen Bevölkerungen gegenüber, deren Verarmung als unvermeidliche Folge einer vermeintlich edlen Unterstützung der vermeintlich unschuldigen Ukraine dargestellt wird.

Dabei sollten sich die Politiker des Westens darüber klar sein, dass die russische Zurückhaltung – die darin besteht, auf diese Beteiligung nur rhetorisch, aber nicht militärisch zu reagieren – ein Vorteil von begrenzter Dauer sein kann. Nicht nur, weil solche halb verdeckten Beteiligungen an Kriegen historisch eine fatale Tendenz haben, doch zu offenen Beteiligungen zu werden – das kann man in der Geschichte des Vietnamkriegs nachlesen. Nein, auch, weil gerade, wenn diese halb verdeckte Beteiligung ihr angestrebtes Ziel erreichen sollte, die Kosten für Russland in die Höhe zu treiben, irgendwann der Punkt erreicht ist, an dem diese Zurückhaltung keinen Sinn mehr macht, weil die dadurch in Kauf genommenen Nachteile zu groß werden.

Man kann eine ganze Reihe von Gründen für diese Zurückhaltung anführen. Dass die Verbündeten der Entwicklung folgen können müssen, beispielsweise; wie wichtig dieser Punkt ist, zeigte sich daran, dass die Teilmobilisierung erst nach dem Treffen in Samarkand erklärt wurde. Dass zumindest Russland das Risiko einer nuklearen Eskalation so weit wie möglich begrenzen will. Dass vielleicht irgendwo doch noch auf einen Sieg der Vernunft in Westeuropa gesetzt wird.

Aber inzwischen dürfte außerhalb der westlichen Blase jedem klar sein, wer da wirklich gegen wen kämpft, so dass der erste Punkt an Bedeutung verliert. Die Hoffnung auf Vernunft im Westen schrumpft von Tag zu Tag, und Erklärungen wie jene, Russland sei ein Staat, der den Terrorismus fördert (eine unglaubliche Dreistigkeit seitens einer EU, die nach wie vor syrische Terroristen finanziert), tragen bestens dazu bei, diesen Prozess zu beschleunigen. Und Provokationen wie jene mit der ukrainischen Rakete, die auf Polen abgeschossen wurde, lassen an der Wirksamkeit dieser Selbstbeschränkung zweifeln.

Es ist ein geradezu unglaublich infantiles Verhalten, zu glauben, man könne seinem Gegenüber unbegrenzt gegen das Schienbein treten, nur weil es unter dem Tisch passiert. Diese Dokumente zeigen, dass die NATO bereits mindestens bis zur Halskrause im Krieg in der Ukraine steckt, wenn nicht bereits bis zu den Augenbrauen. Es mag sein, dass sich Russland das noch lange gefallen lässt; immerhin ist es eine recht bequeme Methode, die NATO zu demilitarisieren, indem man sie ihre Ausrüstung gewissermaßen vor die Haustür bringen lässt. Aber die ganze Politik auf dieser Erwartung aufzubauen, immer noch eins draufzulegen und keinen Gedanken daran zu verschwenden, wie man anders als mit einer völligen eigenen Niederlage aus dieser Nummer wieder herauskommt, das ist Hybris von wahrhaft weltgeschichtlichem Ausmaß.

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