Von Alexei Martynow
Vor ein paar Wochen hatte ich in einem Kommentar zur Situation der Gasknappheit in Transnistrien angedeutet, dass Erdgas aus Russland, das durch die Rohrleitung über die Ukraine in die Moldauische Republik Transnistrien und dann nach Moldawien geht, gestohlen wird – nach alter ukrainischer Tradition. Daraufhin kritisierten einige fortgeschrittene Blogger in Lohn und Brot den Politikwissenschaftler vom Dienst heftig. "Was versteht der schon von dem Gastransportsystem", hieß es.
Nun gab aber gestern der russische Erdgaslieferant nach Transnistrien und Moldawien, die Aktiengesellschaft Gazprom, offiziell bekannt: Gas aus Russland, das für die Versorgung Transnistriens und Moldawiens bestimmt ist, setzt sich ab (*hust*) – und zwar auf dem Territorium des Transitlandes, sprich der Ukraine:
"Die von Gazprom über das Gasflussvermessungswerk Sudscha gelieferte Gasmenge für den Transit durch die Ukraine nach Moldawien übersteigt die physische Menge, die über die Grenze der Ukraine an Moldawien geliefert wird."
Na, da luchst sich doch jemand unser Erdgas!
Wer angesichts der extremen Ereignisse der vergangenen Jahre die jüngere Geschichte vergessen hat, sei erinnert: Den Ausdruck "luchsen" in diesem Zusammenhang verdanken wir Julia Timoschenko, der einstigen "Gasprinzessin der Ukraine". Damals, noch bevor sie Premierministerin wurde, sprach die gute Julia Wladimirowna einen sakramentalen Satz aus. Es ging um die Machenschaften des ukrainischen Erdgasnetzbetreibers Naftogaz mit den Lieferungen aus Turkmenistan. Dies waren Lieferungen durch dieselbe Transitleitung, also auch durch russisches Gebiet, unter durch die ukrainische Seite manipulierten und fingierten Preisen und Tarifen. Als der Betrug aufflog, stellte der russische Lieferant Anfang 2006 die Gaslieferung ein. Zu diesem Zeitpunkt gab Frau Timoschenko, damals wohlgemerkt potenzielle Präsidentschaftskandidatin, folgenden Kommentar ab:
"Nicht luchsen, sondern uns das Unsere nehmen!"
Seitdem hat sich in den Köpfen der ukrainischen Beamten und Oligarchen wenig geändert. Nur dass sie inzwischen das Land in Schutt und Asche gelegt, einen Bürgerkrieg angefacht, Letzteren an ausländische Promoter ausgelagert und sich unwiederbringlich mit ihren russischen Kollegen überworfen haben.
Heute stellt sich die Situation wie folgt dar. Mit enormen Schwierigkeiten trieb der moldawische Betreiber Moldovagaz Geld auf und bezahlte Gazprom für dessen Lieferungen im November, wie es der Vertrag vorsieht. Doch es besteht ein Mengenunterschied zwischen dem Gas aus Russland, das Moldawien und Transnistrien tatsächlich erhalten, und der in die Ukraine eingehenden Transitmenge. Die Menge an Erdgas, die sich in der Ukraine "abgesetzt" hat, beträgt 52,5 Millionen Kubikmeter. Nur zum Verständnis: Das sind zwei Drittel des an Moldawien und an Transnistrien zu liefernden Gases. Stehlen die Ukrainer jetzt also auch noch den Moldawiern das Erdgas?
Die Tatsache, dass ein Teil dieses Volumens an das Bezirkswärmekraftwerk Moldawskaja oder Kutschurganskaja GRES im transnistrischen Dnestrowsk ging, das nicht nur drei Viertel der Republik Moldawien und die gesamte Transnistrische Republik mit Strom versorgt, sondern auch ein Drittel der elektrischen Energie des benachbarten noch-ukrainischen Gebietes Odessa, macht die Sache noch pikanter.
Mittlerweile ist die Stromerzeugung des Moldawskaja GRES um 70 Prozent zurückgegangen und reicht kaum noch aus, um den Eigenbedarf des Verteilungsnetzes zu decken. Über Transnistrien wurde der wirtschaftliche Ausnahmezustand verhängt. Die Behörden der Region appellieren an die UNO und andere internationale Organisationen, eine humanitäre Katastrophe zu verhindern. Der ukrainische Erdgasnetzbetreiber Operator GTS Ukrainy bestreitet den Diebstahl von Gas auf dem Weg durch die Ukraine. Dort behauptet man, man habe so viel erhalten, wie man weitergegeben habe. Und sogar eine Bescheinigung haben sie. Das heißt, Dokumente sind da – aber kein Gas. Eine typisch ukrainische Geschichte.
In der Tat sprechen Experten in jüngster Zeit immer häufiger vom sogenannten virtuellen Revers von Erdgas aus Moldawien an den Grenzpunkten mit der Ukraine. Und das geluchste Gas landet in ukrainischen Gasspeichern, allerdings gehört es nominell moldauischen und rumänischen Unternehmen. Eine Art private Regelung unter Schlitzohren also. Jedenfalls sind solche Tricks ohne die Beteiligung der ukrainischen Seite unmöglich.
Unterdessen zahlt der russische Lieferant die Transitgebühren penibel an die Konten des ukrainischen Transitunternehmens. Und zwar jenen Mengen entsprechend, die die russische Grenze in Richtung Ukraine überschritten haben. Nun aber geht Gazprom das Thema endlich mit radikaler Härte an. Denn bei allem Mitgefühl für die Bürger Moldawiens, Transnistriens und Odessas: Für den russischen Lieferanten ist das Ganze nur ein Geschäft.
Deshalb drosselt Gazprom ab dem 28. November die Pumpleistung durch den südlichen Zweig der ukrainischen Pipeline und das Gasflussvermessungswerk Sudscha für die moldauischen Kunden genau um den Umfang der täglichen Liefer-Endausfälle. Das heißt, um den Betrag, den die Ukrainer von den Moldawiern (oder Gewissenlose auf beiden Seiten gemeinsam) gestohlen haben. Und edel wie der russische Lieferant eben ist, räumt er den ukrainischen und moldauischen Betreibern großzügig eine Woche Zeit ein, um das Problem unter sich zu lösen. Denn wenn sie das Ganze nicht regeln, wird niemand ausreichend Gas haben. Und der Winter steht vor der Tür.
Lange Zeit gelang es, in dieser Region mit ihren äußerst verworrenen infrastrukturellen Verbindungen, Einigungen zu erzielen. Denn alles dort wurde noch während der Sowjetzeit nach einer ganz anderen Logik und mit anderen Prioritäten aufgebaut. So führte zum Beispiel diese Pipelinetrasse nach Rumänien und weiter in die Balkanländer, während das Stromnetz ein rein internes war.
Ganz besonders verrückt klingt das heute vor dem Hintergrund der laufenden militärischen Sonderoperation. Eines ihrer Ziele, wir erinnern, ist der Schutz der neuen russischen Gebiete im Donbass nebst Saporoschje und Cherson. Und die südliche Gastransitleitung verläuft nur minimal nördlich von ihnen, geht nahe Dnjepropetrowsk gen Süden und dort weiter durch die Gebiete Nikolajew und Odessa. Dies sind noch ukrainische Gebiete – oder Gebiete der noch-Ukraine. Ganz wie Ihnen beliebt.
Übersetzt aus dem Russischen.
Alexei Martynow ist ein russischer Politologe mit Schwerpunkt auf internationalen Beziehungen und Journalist. Regelmäßiger Kolumnist bei namhaften Medien – Russia Today, Iswestija, LIFE, als Experte regelmäßig von weiteren großen Medien zitiert – RIA Nowosti, Gazeta.ru, aber auch New York Times, The Nation, Financial Times. Seit 2008 Direktor der Denkfabrik und Nichtregierungsorganisation Internationales Institut neuester Staaten.
Mehr zum Thema – Soros-Strategie trägt Früchte: Moldawien folgt dem Westen notfalls auch in den Krieg