Von Dr. Karin Kneissl
Um dieselbe Zeit vor einem Jahr tagte die Welt im schottischen Glasgow, um die 26. Folgekonferenz der Vertragsstaaten der UNO-Klimakonvention voranzubringen. Ein Jahr später ist die Welt eine andere. Aufgrund der Sanktionen gegen Russland ist der durch Investitionslücken und Bashing der gesamten fossilen Industrie angespannte Markt mit anderen Problemen beschäftigt. Kohlekraftwerke müssen wieder aktiviert werden, um die Stromversorgung in vielen EU-Staaten sicherzustellen. Die Bevölkerung wird auf Blackout-Szenarien vorbereitet. Klimakleber attackieren berühmte Gemälde in Museen, und niemand weiß so genau, was auf die Bevölkerung noch zukommt. Denn mit dem nächsten Frühling ist die Situation noch lange nicht gelöst.
Treffen in Scharm El-Scheich: alle Energieformen einbringen
Gastgeber der aktuellen UNO-Klimakonferenz ist Ägypten. Rund 400 Privatjets landeten zur Eröffnung der zweiwöchigen Tagung in dem Badeort am Roten Meer. Die doppelten Standards zu Mobilitätsthemen sind offensichtlich. Fordert die deutsche Politik den Familieneinkauf per Lastenfahrrad und Verzicht auf das Auto, so nehmen die Privatflieger zu, denn die Flugnetze werden dünner und unzuverlässiger. Der Import von Fracking-Gas, dessen Produktion und Transport ein Vielfaches mehr an Emissionen, ob CO2 oder andere Gase, verursacht als der Import von Erdgas via Pipeline – eines unter vielen Paradoxa.
Aus aller Ferne betrachtet ist in Scharm El-Scheich eines deutlich: Im Gegensatz zu den vielen Vorgängerkonferenzen seit Kopenhagen im Jahre 2009, das ein komplettes Scheitern war, wird nun nicht nur über Klimapolitik, sondern auch über Energiepolitik und Energieversorgungsicherheit diskutiert. Um letztere sicherzustellen, sind alle Energieträger gefragt, nicht nur die Erneuerbaren. Die Renaissance der Atomkraft ist seit bald zehn Jahren im Gange. Es gelingt aber eher asiatischen Staaten, in neue Infrastruktur zu investieren als die für Nordamerika oder die EU der Fall ist. Das Thema Dekarbonisierung wird ein wenig pragmatischer gesehen, als dies noch vor einem Jahr in Schottland der Fall war.
Während sich ärmere Staaten wie z. B. der Tschad keine eigene Regierungsdelegation leisten können und daher Manager, wie jene von BP bitten, ihre Anliegen zu vertreten, haben viele Energiefirmen sehr große Delegationen entsendet.
Was ist seit der Pariser Konvention passiert?
Zentral ist neuerlich die Frage, um wie viel Grad die Klimaerwärmung mit welchen Mitteln einzudämmen ist. Hierbei geht um Dekarbonisierung, also die massive Kürzung von Kohlendioxid Ausstoß. Die Energieindustrie hat ihren Part gut vorangebracht. Sämtliche Ölfirmen setzen bereits intensiv Pläne für das "Carbon Management" um.
Problematisch sind die industrielle Landwirtschaft und der Verkehr. Aber auch die Textilindustrie verursacht weltweit mehr Emissionen als die Luftfahrt und Schifffahrt zusammen. Die multilaterale Diplomatie ist gefordert, denn seit dem Konsens von Paris im Dezember 2015 ist die Staatengemeinschaft eher auseinandergedriftet als zusammengewachsen. Und zur Pariser Konvention war es ein steiniger Weg. Ihr korrekter Name lautet: "Das Rahmenübereinkommen der Vereinten Nationen über Klimaveränderungen".
Um die darin rechtlich verpflichtenden Ziele auch global voranzubringen, treffen die Vertragsparteien einander. In Scharm El-Scheich geht es um das 27. Treffen, das sich "Konferenz der Vertragsparteien" nennt. Die Abkürzung lautet daher COP27.
Die dramatischen Appelle des UNO-Generalsekretärs António Guterres von wegen "Wir schaufeln unser eigenes Grab" reihen sich ein in eine lange Reihe von Eröffnungsreden, die zwischen Pathos und Pragmatismus schwanken. Einfache Klimaparolen, die in den letzten Jahren in sämtlichen Gremien salonfähig wurden, lösen die Probleme nicht, wenn es um die gesellschaftspolitische Brisanz der vielen Transformationen geht. Der unausgegorenen deutschen Energiewende vom März 2011, die de facto eine Stromwende darstellt, soll nun eine Mobilitätswende folgen.
Die Energiekrise 2022
Dass Windparks und Photovoltaik eine dauerhafte Energieversorgung nicht sicherstellen, hat sich spätestens in diesem Jahr herumgesprochen, denn die Preisspirale für Erdgas und Strom trifft viele europäische Staaten bzw. vor allem die Haushalte. Die vielen Ursachen für die Erdgaskrise sind hausgemacht und haben viel mit Missmanagement und Fehleinschätzungen der letzten 20 Jahre zu tun. Es geht u. a. um den Ausstieg aus langfristigen Lieferverträgen und die Aufgabe der Ölpreisbindung für den Erdgasmarkt. Der schwarze Peter ist keinem der Lieferanten in die Schuhe zu schieben, nicht Russland und nicht den nahöstlichen Erdölproduzenten.
Man kann sich zudem nicht aus sämtlichen Formen der Energieerzeugung, ob nun nuklear oder fossil zurückziehen und kaum Investitionen in neue Projekte zulassen. Diese Situation aber stellt sich in Deutschland, das ein wichtiger Industriestandort ist und zuverlässige wie leistbare Stromversorgung benötigt. Ohne ein verantwortungsvolles Zusammenspiel sämtlicher Energieträger und dem Einhalten von Vertragspflichten könnten Preiskrisen für soziale Unruhen sorgen. Dies ist einigen Regierungen bewusst, die entsprechend die Strompreise deckeln. Es geht zudem um das Risiko der Versorgungsunterbrechung. Ohne ein stabiles und vor allem massiv ausgebautes Stromnetz sind Stromausfälle wahrscheinlich und nicht bloß möglich.
Bereits zu Beginn der deutschen Energiewende vor mehr als zehn Jahren war klar, dass ein umfassender Ausbau des deutschen Stromnetzes erforderlich ist. Es geht gerade im Fall der erneuerbaren Energien nicht um die Erzeugung, die dank großzügiger Subventionen der öffentlichen Hand relativ einfach ist. Es geht um die Übertragung, also um die Stromnetze und diese benötigen gerade in Deutschland einen umfassenden Ausbau. In vielen Vorträgen und Publikationen habe ich immer wieder auf die dringend erforderlichen Investitionen in die Infrastruktur hingewiesen. Geschehen ist bislang in dem Bereich sehr wenig.
Gemäß dem Vertrag von Lissabon von 2009 kann jedes EU-Mitglied seinen nationalen Energiemix selbst gestalten. Einige setzen weiter stark auf fossile Kohle wie Polen, aber auch Tschechien und Bulgarien. Deutschland, Österreich und viele skandinavische Staaten meinen, dass die Erneuerbaren vieles lösen, und wiederum andere Staaten können dank Atomkraft eine relativ gute CO2-Bilanz vorweisen, wenngleich das alte Problem der Endlagerung noch nicht gelöst ist.
Die EU ist jedenfalls tief gespalten, wenn es um die Gestaltung der Energiepolitik geht, die nicht "vergemeinschaftet" ist, wie beispielweise die Landwirtschaft oder das Wettbewerbswesen. Und gerade hier reiben sich strukturelle Probleme meines Erachtens. Denn auf der einen Seite bestimmen die Staaten ihren Energiemix selbst, auf der anderen Seite müssen sie sich den rechtsverbindlichen Zielen einer Dekarbonisierung fügen. Auch hier brechen immer wieder die Gräben auf, die innerhalb der EU vor allem zwischen dem Osten und Westen wachsen.
Zudem ist die Energiepolitik vorerst zu einem Annex der Klimapolitik verkommen, was auch die großen Verwerfungen der Energiepreise erklärt. Es ist mehr eine Art Vortasten, getrieben von einer öffentlichen Meinung, wie die Regierungen mit dem Thema umgehen. Es fehlt der wirkliche große energiepolitische Ansatz, der auf Fakten aufbaut. Zu letzteren gehören die physischen Grenzen des Metallmarkts, wenn man an die vorerst unersetzbaren Rohstoffe wie Lithium, Kobalt etc. denkt. Die Emotionen dominieren und vernebeln da und dort einen rationalen Zugang zu den Grenzen des Wachstums bestimmter Märkte, wie z. B. der Photovoltaik. Gerade diese benötigen Rohstoffe, die ihre physischen Grenzen haben
Die Nord-Süd-Gräben seit Kopenhagen 2009
Zu den großen Fragezeichen gehören aber nicht nur diese Rohstoffprobleme und die Zerrissenheit der EU. Letztere fällt global weder in den CO2-Emissionen noch als Energieproduzent oder Konsument ins Gewicht. Denn es geht wie schon in der Vergangenheit um die Vorgaben des Nordens, der seit der industriellen Revolution, also seit bald 300 Jahren, Wohlstand durch Verschmutzung erreicht. Auf der anderen Seite fordern die Staaten des sogenannten Südens ihr Recht auf Entwicklung ein, die nicht frei von Emissionen ist.
Die Tatsache, dass Ägypten dieses Mal Gastgeber ist, fällt ins Gewicht. Die Grundstimmung, was die Anliegen des sogenannten "globalen Südens" anbetrifft, ist anders als in Kopenhagen oder Paris. Die meisten dieser Staaten tragen auch nicht die Sanktionen gegen Russland mit. Dass EU-Staaten Energielieferungen, die bereits vertraglich an Staaten wie Bangladesch zugesagt waren, dann für sich gleichsam vom globalen Markt wegholen, hat sich herumgesprochen.
Noch wird am Schlussdokument gefeilt. Aber ich schließe nicht aus, dass die Version von COP27 die Realität der Staaten Afrikas klarer widerspiegelt. Ägypten hat sich stets als Vertreter afrikanischer Interessen auf der Weltbühne präsentiert.
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