Die Welt bleibt einer nuklearen Erpressung ausgesetzt – durch die Ukraine

Offenbar plante die Ukraine, die vom UN-Sicherheitsrat ernannten Inspektoren als Instrumente der Erpressung einzusetzen. Das scheiterte. Der Bericht der Internationalen Organisation für Atomenergie nannte nicht die "Täter" der Angriffe auf Europas größtes Kernkraftwerk. Kiew ist frustriert.

Von Scott Ritter

Wenn etwas zunächst nicht gelingt, dann versucht man es einfach erneut. Dies scheint derzeit das Mantra der ukrainischen Regierung zu sein, die versucht, die internationale Gemeinschaft zu erpressen, ihr dabei behilflich zu sein, die russische Armee aus jenem Gebiet zu vertreiben, in dem Europas größtes Kernkraftwerk steht.

"Die Welt steht wieder einmal am Rande einer nuklearen Katastrophe", erklärte der ukrainische Energieminister German Galuschtschenko in einer auf Facebook veröffentlichten Stellungnahme. "Die letzte verbliebene Stromleitung, die das Kraftwerk mit dem Energiesystem der Ukraine verbindet, wurde aufgrund eines Feuers, das infolge von Beschuss entstand, gekappt. Eine Reparatur der Leitungen ist derzeit unmöglich – es gibt Kampfhandlungen rund um das Kraftwerk."

Die Warnung von Galuschtschenko kam just, als die Mission der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEO) dabei war, die Sicherheit der Anlage in Saporischschja zu inspizieren, die vom Generaldirektor der Behörde, Rafael Mariano Grossi, persönlich angeführt wurde. Kiew besteht darauf, dass die internationale Gemeinschaft die "Entmilitarisierung" der Anlage in Saporischschja und der Umgebung überwacht. Der Rückzug der russischen Streitkräfte und ihre Ersetzung durch internationale "Friedenstruppen" sei der einzige Weg, um die nukleare Sicherheit im Werk zu gewährleisten, so die Argumentation der Ukraine. 

Was dabei unausgesprochen bleibt, ist die Tatsache, dass alle Schäden, die dem Kernkraftwerk bisher zugefügt wurden, das Ergebnis ukrainischer Kampfhandlungen sind, einschließlich des gezielten Beschusses der Kernreaktoren und ihrer Nebengebäude durch ukrainische Artillerie.

Die Ironie des ukrainischen Vorgehens besteht darin, dass IAEO-Generaldirektor Grossi nun am eigenen Leib erfahren konnte, dass die Bedrohung für das Werk nicht von Russland ausgeht, wie Kiew es dargestellt haben will, sondern von der Ukraine selbst.

Noch vernichtender ist, dass Grossi sich ebenfalls der Tatsache bewusst wurde, dass die Ukraine die IAEO nicht als Garant für die nukleare Sicherheit, sondern als Vermittler für die ukrainischen Absichten missbrauchen wollte, einschließlich für militärische Aktionen, bei der die Anwesenheit der IAEO-Inspektoren in Saporischschja als Deckmantel benutzt werden sollte.

Allem Anschein nach hat Grossi seine Mission zum Kernkraftwerk Saporischschja in gutem Glauben durchgeführt. Seit Beginn der Angriffe auf die Anlage Anfang August äußert er seine Besorgnis und fordert die Kräfte beide Seiten auf, "äußerste Zurückhaltung" zu üben und die Sicherheit der Anlage "um jeden Preis" nicht zu gefährden. Diese Aufrufe wurden vom Generalsekretär der Vereinten Nationen, António Guterres, wiederholt.

Mitte August forderte Grossi bei einer von Russland geforderten Dringlichkeitssitzung des UN-Sicherheitsrates Moskau und Kiew auf, internationalen Experten den Besuch des Kraftwerks zu gestatten, und kündete an, dass er die Mission persönlich leiten werde. Die Vereinigten Staaten unterstützten zwar seine Forderung, forderten aber auch gleichzeitig die Einrichtung einer entmilitarisierten Zone in Verbindung mit einer solchen Inspektion und warnten, dass jede Weigerung Russlands, dies zuzulassen, gleichbedeutend mit nuklearer Erpressung sei.

Russland weigerte sich erwartungsgemäß, Anträge auf "Entmilitarisierung" der Einrichtung auch nur zu prüfen. Es unterstützte jedoch die Entsendung eines Teams der IAEO, allerdings unter einer Bedingung, nämlich jener, dass Spezialisten für Ballistik mit dabei sind, die in der Lage wären, den entstandenen Schaden, der bisher der Anlage zugefügt wurde, zu bewerten und die Quelle der Angriffe zu ermitteln. Diese Fachleute wurden schließlich in das Team der Mission mit aufgenommen.

Am 29. August reisten Grossi und sein Team nach Kiew, wo sie sich am nächsten Tag mit dem ukrainischen Präsidenten Wladimir Selenskij trafen. Selenskij sagte Grossi, die Ukraine halte es für entscheidend, dass die IAEO die ukrainischen Forderungen nach einer entmilitarisierten Zone unterstütze, was der Ukraine ermöglichen würde, die Kontrolle über das Werk zu übernehmen.

Am 1. September machten sich Grossi und sein Team auf den Weg zur Anlage in Saporischschja. Vor ihrer Ankunft wurden sie von ukrainischen Soldaten aufgehalten, die Grossi davor warnten, dass die militärischen Aktivitäten in und um die nukleare Einrichtung an diesem Morgen zugenommen haben. Laut russischen Militärquellen hatte die ukrainische Armee an diesem Tag versucht, das Kraftwerk in einem Angriff durch Spezialkommandos einzunehmen, was von russischen Streitkräften vereitelt wurde.

Als das 14-köpfige Team von Grossi im Kraftwerk ankam, waren der Lärm der anhaltenden Kämpfe, die in der Nähe im Gange waren, für alle gut hörbar. Die sich dadurch verschlechternde Sicherheitslage veranlasste Grossi dazu, im Laufe des Tages den Großteil seines Teams abzuziehen. Ein sechsköpfiges Rumpf-Team wurde damit beauftragt, einige Tage vor Ort zu bleiben. Anschließend sollten weitere vier Inspektoren abreisen und ein zweiköpfiges Team zurückgelassen werden, das dauerhaft bei und in der Einrichtung präsent wäre.

Anschließend erklärte Grossi, dass die Mission fruchtbar gewesen sei. "Vieles wussten wir zwar schon im Voraus, aber natürlich werden jetzt alle Fakten begutachtet. Wir versuchen, eine gründliche Bewertung der aktuellen Situation vorzunehmen." In Bezug auf die Sicherheit der Anlage stellte Grossi fest, dass "die physische Integrität der Anlage nicht nur einmal, sondern mehrfach verletzt wurde. Das ist in keinem Fall akzeptabel".

Zusätzlich zu den vor Ort gemachten Beobachtungen wurde dem Team eine von 20.000 Einwohnern aus den von Russland kontrollierten Gebieten der Region Saporischschja unterzeichnete Petition vorgelegt, in der die IAEO aufgefordert wird, die Angriffe auf das Kernkraftwerk zu verurteilen, die laut den Unterzeichnern der Petition ausschließlich von der ukrainischen Seite durchgeführt wurden. Dies war nicht das Ergebnis, das sich die ukrainische Regierung oder ihre westlichen Unterstützer vorgestellt hatten, als sie auf die Entsendung von Inspektoren drängten.

Der Mission der IAEO war sich anscheinend nicht bewusst, dass eine ukrainische Militäroperation stattfinden sollte, während die Inspektoren auf dem Gelände unterwegs sein würden. Es besteht jedoch kein Zweifel darüber, dass die ukrainische Regierung sich dessen bewusst war, als Selenskij Tage zuvor mit Grossi und seinem Team zusammentraf. Es ist auch sehr wahrscheinlich, dass die Unterstützer der Regierung von Selenskij, insbesondere die Vereinigten Staaten, Großbritannien und Frankreich, sich der bevorstehenden Militäroperation bewusst waren.

Es versteht sich von selbst, dass ein internationales Team von Inspektoren als Deckmantel für eine Militäroperation zu missbrauchen gegen alles verstößt, wofür die Charta der Vereinten Nationen steht. Das Ziel der Militäroperation, nämlich das Gelände zu erobern und dann die Inspektoren der IAEO einzuladen, sich dort dauerhaft einzurichten, was wiederum die Entsendung einer internationalen Friedenstruppe erforderlich gemacht hätte, wurde nicht erreicht.

Schlimmer noch für die Ukraine und ihre westlichen Partner ist, dass das Team der IAEO sich nun der Doppelzüngigkeit der ukrainischen Regierung und damit auch ihrer westlichen Unterstützer in den Vereinten Nationen bewusst wurde, sowie der Realität ausgesetzt war, dass Russland die ganze Zeit über die Wahrheit über die Sicherheitslage der Anlage gesagt hatte. Es besteht kein Zweifel, dass die ballistischen Experten, die das Team von Grossi begleiteten, mehr als genug forensische Daten sammeln konnten, um schlüssig zu beweisen, wer für die anhaltenden Artillerieangriffe auf das Kernkraftwerk von Saporischschja verantwortlich ist.

Am 6. September legte Generaldirektor Grossi die Ergebnisse seiner Mission in der Ukraine vor. Der Bericht ist weitgehend technischer Natur und fokussiert sich auf die Sicherheitslage in und um das Kernkraftwerk Saporischschja. Dies ist die Brot-und-Butter-Arbeit der IAEO und gibt im Detail wieder, was das Team vor Ort in Saporischschja beobachtet hat.

Ein zweiter, unausgesprochener und letztlich sensiblerer Aspekt des Berichts sind die politischen Auswirkungen des Einsatzes. Während Grossi die Häufigkeit und den Schaden, der durch wiederholte Artillerieangriffe auf dem Werksgelände verursacht wurde, korrekt berichtete, lieferte er keine Schlussfolgerungen über den Ursprung des Beschusses, obwohl er dies anhand der von seinem Team gesammelten Daten hätte tun können. 

Die Organisationen der UN liefern selten Zuordnungen, wenn es darum geht, wer wem was angetan hat, es sei denn, sie werden ausdrücklich damit beauftragt. Stattdessen kam der Bericht zum Schluss, dass die Sicherheit des Kernkraftwerks und seiner Betreiber aufgrund der anhaltenden militärischen Aktivitäten gefährdet sei, und forderte alle Beteiligten auf, diese Aktivitäten einzustellen.

Der Bericht vermeidet auch jeden Hinweis auf die Bemühungen des russischen Militärs, das Team vor Angriffen geschützt zu haben, während sie das Werk inspizierten und vermeidete damit jede indirekte Anerkennung, dass die Bedrohung für Saporischschja von der Ukraine und nicht von Russland ausgeht.

Grossi hätte einen Bericht vorlegen können, der eine Verurteilung der Täter durch den UN-Sicherheitsrat fordern würde, für die von seinem Team beobachteten ungeheuerlichen Aktionen, und Beweise vorlegen, für anhaltende ukrainische Artillerieangriffe und den Missbrauch des Teams der IAEO als operative Deckung, für einen Angriff auf die Anlage während die Inspektion im Gange war. Aber Grossi ist Teil des Systems der UN, während der Sicherheitsrat sich sowieso nicht selbst überwachen kann. Wenn drei der fünf ständigen Mitglieder daran beteiligt sind, ein ukrainisches Fehlverhalten zu ermöglichen, dann wird der Rat durch seine eigene moralische Korruption ausgebremst.

Ungeachtet dessen war die Inspektionsreise von Grossi eine politische Niederlage für die Ukraine und ihre Unterstützer, die so viel Hoffnung und Mühe – einschließlich des Lebens von Soldaten, die beim erfolglosen Angriff auf Saporischschja gefallen sind –  in die Entsendung einer internationaler Friedenstruppe zur Bewachung des Werks und seiner unmittelbaren Umgebung gesetzt hatten.

In einer krassen Zurschaustellung von überheblicher Kühnheit hat die Ukraine eine zweite Inspektionsmission der IAEO gefordert, die von einer UN-Friedenstruppe begleitet werden soll. "Wir müssen Schlussfolgerungen aus der Mission von Grossi ziehen", erklärte Peter Kotin, der Leiter der ukrainischen Atomenergiebehörde bereits am 5. September – lange vor der Veröffentlichung des Berichts von Grossi. "Diese Schlussfolgerungen sollten die gesamte Situation lösen, indem die russische Kontrolle über die Einrichtung beendet wird."

Kotin schlug vor, die Zahl der Inspektoren in der Anlage selbst zu erhöhen, und fügte hinzu, dass "die Anwesenheit anderer internationaler Organisationen, wie die Friedenstruppen der Vereinten Nationen oder einer internationalen Mission der Europäischen Union, dazu beitragen wird, eine unabhängige Sicht auf das zu bieten, was dort vor sich geht und schließlich die Russen von der Anlage zu entfernen."

Die Chancen, dass das geschehen wird, gehen gegen Null. Aber die Tatsache, dass die Ukraine weiterhin auf ein ihr passendes Ergebnis drängt, garantiert praktisch, dass der unerbittliche Beschuss des Kernkraftwerks Saporischschja so lange fortgesetzt wird, bis entweder das ukrainische Militär zurückgedrängt wird und die Anlage außerhalb der Reichweite ihrer Artillerie zu liegen kommt oder die Ukraine kapituliert. Auf jeden Fall wird bis dahin die Welt weiterhin täglich einer nuklearen Erpressung ausgesetzt sein.

Der Täter in diesem Verbrechen von globalem Maßstab ist jedoch nicht Russland, sondern die Ukraine, zusammen mit ihren westlichen Unterstützern in den Vereinigten Staaten, Großbritannien, Frankreich und Deutschland.

Aus dem Englischen

Scott Ritterist ein ehemaliger Geheimdienstoffizier des US Marine Corps. Er diente in der Sowjetunion als Inspektor bei der Umsetzung des INF-Vertrags, im Stab von General Schwarzkopf während des Golfkriegs und von 1991-1998 als UN-Waffeninspektor. Man kann ihm auf Telegram folgen.

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