Von Pierre Lévy
Wird es über die Weihnachtstage in Paris elektrischen Strom geben? Wenn die französischen Kernkraftwerke, die gerade überholt werden, bald wieder in Betrieb genommen werden können und auch noch das Wetter mitspielt (es lebe die "Klimaerwärmung" ...), dann sind Unterbrechungen der Stromversorgung wenig wahrscheinlich, beruhigt das französische Stromübertragungsnetz (RTE: Réseau de transport d'électricité) seine Endverbraucher. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass man sich an die von der Regierung erlassenen Anweisungen zur "Sparsamkeit" hält.
So wird eines der reichsten Länder der Welt im 21. Jahrhundert dazu gebracht, einen Blackout zu erwägen und zugleich zu befehlen, vorsorglich die Heizung herunterzudrehen. Es bedurfte eines "fortschrittlichen" Präsidenten, um solch einen tatsächlichen Rückschritt historischen Ausmaßes zu begleiten. Mit einer düsteren Anmut, die oft seinen Charme ausmacht, prophezeite Emmanuel Macron unlängst das "Ende des Überflusses".
Schwierigkeiten beim Zugang zu Kohlenwasserstoffen als Energieträger und damit verbunden schwindelerregende Preissteigerungen: In Europa beschleunigt sich eine Energiekrise von nie dagewesenem Ausmaß, deren wirtschaftliche und soziale Folgen wie ein Tsunami wirken könnten. Dabei sind vor allem drei Faktoren am Werk:
Der erste davon ist "systemisch", wie die Brüsseler Linguisten sagen würden, nämlich das "mystische" Marktgeschehen. Insbesondere der Gashandel wurde nicht immer von Marktmechanismen bestimmt. Früher sicherten langfristige Verträge sowohl den Erzeugerstaaten stabile Einnahmen als auch den Käufern niedrige Preise. Das war, bevor die Lieferung von Gas "liberalisiert" wurde und die ehemaligen staatlichen Monopole (beispielsweise in Frankreich) dereguliert wurden – eine der wichtigsten "Errungenschaften" der Europäischen Union (EU).
Der zweite Faktor bezieht sich auf das mittlerweile gemeinsame Schlagwort der globalisierten Eliten: die Reduzierung der CO2-Emissionen. So zielt das EU-System für den Handel mit CO2-Zertifikaten darauf ab, die Nutzung, aber auch die Produktion von kohlenstoffhaltiger Energie, bewusst zu verteuern. Die sozialdemokratische Regierung Spaniens, die sicher nicht als "Klimaskeptiker" verdächtigt werden kann, plädiert dafür, die Ökosteuer, die ebenfalls von Marktmechanismen bestimmt wird und einen enormen Anstieg verzeichnet hat, einzufrieren. Bisher ohne Erfolg.
Der dritte Faktor schließlich ist der, der das Feuer entfacht hat: die von den Staats- und Regierungschefs der EU gegen Moskau verhängten Sanktionen. Die EU traf die politische Entscheidung, zuerst die russische Kohle und wenig später das russische Öl zu boykottieren, und drohte schließlich noch, dasselbe auch für Erdgas aus den Pipelines zu tun, bevor schließlich der Kreml folgerichtig mit Gegensanktionen einschritt und die über Pipelines gelieferten Ströme selbst drastisch einschränkte. Das Ergebnis ist: Der Preis des Gases – für das die 27 EU-Mitglieder nun verzweifelt nach alternativen Anbietern suchen – stieg in weniger als einem Jahr um das Zwölffache, was zu einem enormen Anstieg auch der Strompreise führte.
Mit unglaublicher Dreistigkeit gab Ursula von der Leyen als Präsidentin der Europäischen Kommission öffentlich Russland die Schuld an dieser Energiekrise. Eigentlich hätte Moskau – auch während des Krieges in der Ukraine – seine Lieferungen gerne fortgesetzt, wenn Brüssel nicht geschworen hätte, Russland mit einem Wirtschaftskrieg in die Knie zwingen zu wollen.
Aber es scheint, dass die Völker in der EU, die mit dem drastischen Rückgang ihrer Kaufkraft und weiteren sich abzeichnenden Einschränkungen konfrontiert sind, sich mehrheitlich immer weniger täuschen lassen – von Prag bis Leipzig und von Athen über Brüssel bis Neapel wachsen Protestbewegungen und finden Demonstrationen statt, mit denen Gespräche mit Moskau statt der bedingungslosen Unterstützung Kiews gefordert werden oder sogar die Eröffnung der Ostseepipeline Nord Stream 2Pipeline verlangt wird – eine Aussicht, von der man in Brüssel nichts hören will.
Und selbst in Frankreich, wo es weder die sogenannten "Links"-Parteien noch die Gewerkschaften wagen, das Prinzip infrage zu stellen, Moskau müsse bestraft werden, sind die Eliten beunruhigt: "Zweifel und Überdruss drohen sich festzusetzen", so die erschrockene Warnung eines in Le Monde (am 13. September) erschienenen Leitartikels. Die Tageszeitung weist darauf hin, dass die Sanktionen notwendig seien "und funktionieren" würden. Nähert sich der Krieg in der Ukraine bereits einem Ende? Keineswegs. Aber Russland "steht erst am Anfang eines langen wirtschaftlichen Leidensweges", meint Le Monde insgeheim jubeln zu können und enthüllt damit unfreiwillig den wahren Zweck der Sanktionen.
Vor allem aber würde "eine Kursänderung bei den Sanktionen darauf hinauslaufen, Wladimir Putin in seiner Vision eines feige gewordenen Europas zu bestärken, das unfähig ist, seinen Platz in der Geschichte einzunehmen", argumentiert die Zeitung und fügt hinzu, dass "ein Abweichen von diesem Kurs (...) für das europäische Projekt fatal sein könnte". Man müsse also den Kurs halten, selbst auf Kosten "unseres Energiekomforts und unseres wirtschaftlichen Wohlstands".
Moskau bestrafen und die europäische Integration fortsetzen – das ist also letztendlich der Grund, warum wir in einigen Monaten möglicherweise erfrieren werden. Sollten sich aber diese Erkenntnisse über die kalte Wahrheit weiter verbreiten, könnte es in der EU doch noch ein heißer Winter werden.
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