Von Dora Werner
Menschen in der Moskauer U-Bahn sind auf dem Heimweg nach der Arbeit. Die Züge sind überfüllt, die Fahrgäste sind mit Surfen im Internet oder Lesen beschäftigt. Links von mir geht ein älterer Mann die Nachrichten durch: Die staatliche Agentur RIA Nowosti, TASS und Seiten des links-patriotischen Projekts Russkaja Wesna (Russischer Frühling). Eine mollige Frau rechts von mir blättert durch die ukrainischen Medienkanäle, in denen steht, dass die Krim-Brücke im August in die Luft gesprengt worden sei. Und überhaupt: "Russland ist erledigt."
Das ist Moskau heute. Eine Stadt, wo die Menschen trotz der Beteuerungen der westlichen Medien, alle alternativen Sichtweisen seien eliminiert worden, russische, ukrainische, europäische und US-amerikanische Quellen furchtlos lesen. Je nachdem, was sie bevorzugen. Wo die Menschen ruhig in der U-Bahn fahren können, ohne dabei daran zu denken, dass diese Fahrt jederzeit durch einen Terroranschlag beendet werden könnte.
Man lebt so, als sei nichts geschehen. Kein Vergleich zu den ersten Jahren des 21. Jahrhunderts, als die Stadt wegen des Tschetschenienkriegs in ständiger Angst vor Terroranschlägen lebte. Damals machte Moskau schlaflose Nächte durch und litt unter einer permanenten posttraumatischen Belastungsstörung. Diesmal merkt man nichts davon. Auch wenn in den Medien manchmal die Rede von einem Terrorkrieg der Ukraine gegen Russland ist. So schrieb die Tageszeitung Moskowski Komsomolez beispielsweise Ende August:
"Die USA haben zugegeben, dass Kiew ein von den Vereinigten Staaten entwickeltes Konzept zur Abwehr russischer Truppen einsetzt. CNN berichtete über die Doktrin der "totalen Verteidigung", die als ROC bekannt ist. Dazu gehören insbesondere Taktiken von Spezialeinheiten, die Sabotage im Innern Russlands, Informationsangriffe und die Rekrutierung von Einheimischen für die subversive "territoriale Verteidigung."
In einem Interview mit Moskowskij Komsomolez analysierte der Geheimdienst-Veteran Rustem Klupow jene Taktiken des US-Terrors, welche die USA unter anderem bereits im Irak und in Syrien angewandt haben und die nun von der Ukraine genutzt werden:
"Offenbar wendet sich Kiew der subversiven Kriegsführung auf unserem Territorium zu. Man denke an die jüngsten Bombenanschläge auf der Krim, an die Ermordung von Darja Dugina. Das Hauptziel von Sabotageakten ist nicht nur die Schädigung militärischer Einrichtungen, sondern auch die Einschüchterung der Zivilbevölkerung. Immerhin werden dabei Zivilisten getötet. Es ist also ein terroristisches Ziel. Und wir haben hier eine Art von Sabotage-Terrorismus."
Klupow ist überzeugt, dass die ukrainische Führung gezwungen ist, auf diese Taktik zurückzugreifen: "Andere Optionen hat Kiew nicht. Es hat keine Möglichkeit, Russland auf andere Weise zu manipulieren. Diese neue Taktik ist also eher ein Zeichen der Schwäche als der Stärke Kiews", erklärte der Experte gegenüber Moskowski Komsomolez.
In der Ukraine selbst bestreitet man übrigens nicht, dass das Land einen Terrorkrieg gegen Russland führt. Bereits im Sommer sagte Kirill Budanow, Leiter der Hauptabteilung Geheimdienst im ukrainischen Verteidigungsministerium in einem Interview mit der Financial Times:
"Terroranschläge und Sabotageakte gibt es überall, sie wurden und werden auch weiterhin in Russland und an vielen anderen Orten verübt."
Generalmajor Sergei Kriwonos, ehemaliger stellvertretender Befehlshaber der Spezialeinheiten der ukrainischen Streitkräfte, vertrat in einem Interview für einen ukrainischen Radiosender eine ähnliche Ansicht:
"Die Streitkräfte der Ukraine werden den Russen die Hölle heiß machen müssen. Sie sollten Sabotage- und Terroranschläge auf russischem Territorium verüben."
In den vergangenen Monaten konnte man sehen, wie die Ukraine versucht hat, diese Taktik umzusetzen. Angriffe auf Einrichtungen auf der Krim, Vorbereitungen zur Ermordung von Journalisten, Angriffe auf Ölraffinerien und Stromleitungen in Russland sowie Attacken auf zivile Ziele in russischen Regionen an der Grenze zur Ukraine und der Mord an Darja Dugina gehen auf das Konto ukrainischer Terrorgruppen.
Dies steht in krassem Gegensatz zu der Ruhe – ja sogar Friedlichkeit – in den russischen Ballungsgebieten. Selbst die kleinen Märkte in den Außenbezirken Moskaus und die Einkaufszentren, die während des Tschetschenienkriegs Brennpunkte der Angst waren, sehen jetzt so aus, als ob den Russen kein Terrorkrieg in Aussicht gestellt worden wäre. Die Angst vor möglichen Terroranschlägen ist eigentlich kein Thema. Weder in der Presse noch in privaten Gesprächen. Anders als noch vor zwanzig Jahren, als die Angst vor Terrorattacken manchmal das Leben komplett bestimmte.
Diese äußere Gelassenheit hat jedoch nach Ansicht von Experten ihren Preis, da die russischen Geheimdienste all die Jahre nach dem Tschetschenienkrieg Erfahrungen im Umgang mit dem terroristischen Untergrund sammelten. So erklärte der pensionierte FSB-Oberstleutnant Alexei Filatow in einem Interview mit der Zeitung Iswestija:
"Russland verfügt über große Erfahrung im Kampf gegen den Terrorismus, die wir mit unserem Blut erworben haben. Die Statistiken der vergangenen zehn Jahre zeigen, dass unsere Geheimdienste erfolgreich erkannt haben, wie man terroristische Aktivitäten richtig und kompetent verhindert. Seit den Jahren 2014/2015 ist die Zahl der verübten Terroranschläge deutlich zurückgegangen. Ihre Zahl lässt sich an den Fingern abzählen, während die Zahl der neutralisierten 'Schläferzellen', Rädelsführer und Mitglieder terroristischer Organisationen jedes Jahr in die Dutzende und Hunderte geht."
Der Experte ist der Ansicht, dass die Geheimdienste bei der Planung der Militäroperation in der Ukraine alle Risiken sorgfältig bewertet hatten. Auch für die Zivilbevölkerung des Landes. Daher mag nach außen hin alles ruhig wirken, aber "hinter den Kulissen" wird gearbeitet. Durch die Medien huschen manchmal Meldungen, dass die Sicherheitsmaßnahmen an Feiertagen verstärkt würden, oder Kremlsprecher Dmitri Peskow wird zum Thema Sicherheit zitiert, wonach die Sicherheitsvorkehrungen im ganzen Land maximal verschärft worden seien. Aber allgemein prägen solche Informationen die Nachrichtenagenda oder das tägliche Leben nicht.
Stattdessen wird das Leben in Russland vom herbstlichen Alltag bestimmt. Die Menschen gehen arbeiten und bringen ihre Kinder zur Schule. Sie sitzen in Cafés, kaufen auf Biomärkten usbekische Nektarinen und aserbaidschanische Pflaumen, gehen aus und besorgen bei kleinen Bäckereien frisch gebackenes Brot. Yandex-Taxis und Fahrradkuriere sausen ununterbrochen durch die Straßen und liefern Pizzen, Sushi und gebratene Schweinerippchen an die Kunden aus. Bei der Ausfahrt aus der Stadt gibt es keine verschärften Kontrollen. Alles ist Routine, es herrscht kein Belagerungszustand. Und wenn man auf der Kiewer Autobahn stadtauswärts fährt, sieht man, wie Strischi, das Kunstflugteam der russischen Luftwaffe, am Himmel trainiert. Die Kampfjets steigen pfeilschnell in die Höhe, fallen dann herunter, drehen sich um 360 Grad und vollführen beeindruckende Kunststücke. Ihren Stützpunkt haben die Kunstflieger hier bei Moskau. Somit gehören ihre Flüge ebenfalls zum ganz normalen Alltag.
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