von Bernhard Loyen
Am 28. Juli kündigte die ARD über ihre Social-Media Kanäle ein Interview mit dem amtierenden Bundesminister für Gesundheit, Karl Lauterbach (SPD), an. Interessierte User konnten die Möglichkeit nutzen, dem Minister ihre Sorgen und Nöte zu medizinischen und gesellschaftlichen Problemen der Gegenwart zu stellen. Die ARD-Redaktion bot an: "Stellt ihm jetzt eure Fragen in den Kommentaren – die Antworten gibt’s morgen ab 15 Uhr live". Lauterbach ergänzte salopp, noch im Rausch eines vermeintlichen Stand-Up Comedians, mit den Worten: "Feuer frei!"
Das Cicero-Magazin titelte zum Thema Lauterbach als Alleinunterhalter (auf dem Amazon-Prime Channel), leider hinter einer Bezahlschranke: "Karl Lauterbachs Comedy-Auftritt bei "One Mic Stand" – einfach nur schlimm. Richtig schlimm". Schlimm, richtig schlimm, war auch die Eröffnung des Interviews mit dem Bundesminister für Gesundheit. Nadine Bader, TV-Korrespondentin im ARD-Hauptstadtstudio, begann eher irritierend das Gespräch auf dem Niveau eines schlichten Fan-Girls. Nach Wochen regelmäßiger Kritik an Karl Lauterbach und vermehrten Irritationen über inhaltliche Mitteilungs-Rochaden konnte der Minister sich mit Start des Interviews realisieren - es folgt ein Wohlfühltermin. Bader wörtlich:
"Wir sprechen heute mit dem Minister, dem schon vor seiner Amtszeit viele Herzen zugeflogen sind. "Wir wollen Karl" haben damals viele in den sozialen Kanälen gefordert."
Der Aufforderung wäre nachgekommen worden, so Frau Bader begeistert: "Uns haben zahlreiche, tausende, (Fragen) von User_Innen erreicht". Tausende? Man durfte gespannt sein, wie das ARD-Hauptstadtstudio die Themen-Vorauswahl gestaltete. Nach kurzen Erläuterungen zu seiner jüngsten US-Reise, alle kontaktierten aktuellen US-Fachkollegen kannte der Minister natürlich schon lange vorher "persönlich", startete der Interviewblock mit den Aussagen Lauterbachs zur Notwendigkeit einer 4. Impfung. Lauterbach wies in seiner Antwort variabel auf die vermeintliche Tatsache hin, dass er entweder falsch zitiert oder missverständlich verstanden wird und wurde. An ihm, an seinen wankelmütigen Aussagen, gäbe es demnach laut seiner Wahrnehmung nichts zu kritisieren.
Zum Thema kommender Wirkstoff-Aktualisierungen und deren Effektivität folgte eine überraschend ehrliche Zusammenfassung des Ministers zum Status Quo der Impfstoffqualitäten:
"Die gute Nachricht ist, sie kommen (...) Wir werden im September angepasste Impfstoffe haben (...) Beides sehr gute Impfstoffe. Was diese Impfstoffe, im Vergleich zum jetzigen Impfstoff leisten können, man senkt damit deutlich das Risiko, dass man sich überhaupt infiziert."
Für das Protokoll: Beide modifizierten, also angepassten Impfstoffe der Firmen BioNTech und Moderna, sind noch nicht auf dem Markt erhältlich, noch nicht zugelassen, aber der Bundesminister für Gesundheit weiß jetzt schon: "Beides sehr gute Impfstoffe" und vor allem effektiver, weil:
"Der jetzige Impfstoff ist ja auch sehr gut, zur Vermeidung von schweren Verläufen und von Tod, aber man ist nicht wirklich gut geschützt vor der Ansteckung. Da ist der Schutz nur eben bei 35 Prozent."
Wurde seitens der Moderatorin nachgehakt? Nein. Gab es etwaig unter den "tausenden" vorliegenden Zusendungen entsprechende Fragen zur Thematik? Vielleicht, bzw. nicht in der Vorauswahl der ARD-Redaktion. So viel sei schon verraten. Zum stetig sich dynamisierenden Phänomen sich manifestierender lebenseinschränkender Impfstoffnebenwirkungen bei geimpften Bürgern wird es nicht eine Frage, keine Erläuterung, rein gar nichts im gesamten Interview geben. Freundlich formuliert, ein irritierender Vorgang. Schärfer formuliert, ein Skandal, bei der Realität existierenden Leids in Deutschland.
Bevor rein manipulativ der Ball zum Steckenpferd-Schwerpunkt-Wunschthema des Ministers zugespielt wurde, Long-COVID, folgten die zwei schon erwähnten Aussagen von Lauterbach zu den Punkten Killervirus, bzw. Killer-Variante und mögliche Schulschließungen im Herbst. Lauterbachs persönliche Wahrnehmung zum Thema Killervirus:
"Ich warne ja nicht vor dem Killervirus. Ich habe darauf hingewiesen, dass wir nicht ausschließen können, dass es einen Killervirus gibt."
So ist er, der Minister. Er meint es nicht so, wie er es formuliert, und wenn doch, wird er schlicht falsch verstanden. Erstmalig im April titelte zum Beispiel die Bild-Zeitung: "Lauterbach warnt vor "absoluter Killervariante". Im Mai ließ das Redaktionsnetzwerk Deutschland wissen: "Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) gesteht sich ein, bei seiner Warnung vor einer "Killer-Variante" den Begriff "nicht optimal gewählt" zu haben", damit die Bild-Zeitung wiederum am 28. Juli titeln konnte: "Lauterbach fürchtet schweren Corona-Herbst: "Müssen auf eine Killer-Variante vorbereitet sein".
Nun die jüngste Einschätzung von Bundesgesundheitsminister Lauterbach, für das Protokoll, aus dem jüngsten ARD-Interview:
"Ich glaube, zum jetzigen Zeitpunkt werden wir keinen Killervirus bekommen. Ich halte das für sehr unwahrscheinlich."
Thema: drohende Schulschließungen im Herbst. Lauterbach wörtlich:
"Hier mache ich dann mal eine Ausnahme. Ich finde es nicht gut, wenn aus laufenden Verhandlungen vorgetragen wird. Hier mache ich mal eine Ausnahme. Die Möglichkeit für Schulschließungen wird es nicht mehr geben."
Gegen Mitte des Gesprächs sicheres Terrain für Lauterbach. Das Long-COVID-Risiko, auch "für mittlere Altersgruppen, Jüngere", sei weiterhin "erheblich". Es folgt eine Formulierung des Ministers, die bitte nicht falsch verstanden werden darf:
"Man kann sich über einen falschen Atemzug, kann man sich sein Leben kaputtmachen."
Die Risikowahrnehmung in der Bevölkerung, "gerade bei den Jüngeren", sei "nicht korrekt im Moment". In Verbindung mit einer "innovativen Agentur", würde dem entgegengewirkt. Bedeutet, noch mehr Steuergeld verpulvert, für wahnwitzig teure Regierungskampagnen. In Deutschland, so Lauterbach, gebe es "viele Long-COVID-Erkrankte, Hunderttausende". Der Minister erkennt daher am Ende des Long-COVID-Tunnels goldene Absatzmärkte aufleuchten. Es folgte ein Satz, der je nach Blickwinkel zum Schmunzeln oder Kopfschütteln führen könnte. Lauterbach wörtlich:
"Wenn ein Unternehmen hier ein Medikament bringen kann, das bezahlt sich also im ersten halben Jahr. Das würde mit höchstem Gewinn, wäre das vermittelbar. Daran arbeiten wirklich die Pharmaunternehmen der ganzen Welt."
Grätschte Frau Bader wenigstens da hinein, zum Beispiel durch mögliche User-Fragen zum Thema Post-Vac-Syndrom, einer Realität, die sich mittlerweile zehntausend-, wenn nicht hunderttausendfach an den körperlichen Beeinträchtigungen von Betroffenen nachweisen lässt? Nein, sie fasste am Ende des Monologs von Lauterbach ihre Erkenntnis zusammen: "Also, noch einmal, ihr Appell - sich impfen zu lassen".
Es hätte aber "viele" Zuschriften gegeben zum Thema der Zusammenarbeit mit der FDP. Auch zum Thema Pflegenotstand "sehr, sehr viele" Fragen. Lauterbach versicherte, er hätte eine "große Wertschätzung für Pflegekräfte". Die müssen aber geimpft sein, hätte Frau Bader da ergänzen können, um auf die verbale Entgleisung des Ministers vom Juni diesen Jahres hinzuweisen, als er sich auf einer Protestveranstaltung gegen den Pflegenotstand und die einrichtungsbezogene Impfpflicht von Pflegekräften eindeutig im Ton vergriff. Lauterbach damals wörtlich:
"Sie haben kein Recht hier zu sein (...) Sie haben keinen Beitrag geleistet und ich finde es ist eine Unverschämtheit, dass sie noch die Stirn haben, diese berechtigte Demonstration derjenigen zu missbrauchen, die gearbeitet haben (...) Ihre Arbeit hat keinen Beitrag geleistet."
Auch dies passierte nicht. Dafür wurde Lauterbach intensiv zu den vielen Fragen der User zum Thema einer gynäkologischen Krankheit, der Endometriose, befragt. Er sei dafür, "dass hier ein Forschungsprogramm vom Bundesforschungsministerium kommt", so Lauterbach, der Frauenversteher. Als Epidemiologe könne er auch "ein bisschen was dazu sagen, wie viele Frauen das haben." Zu der wichtigen Frage, ob und wann es in Deutschland Menstruationsurlaub wie in anderen Ländern geben werde, bemerkte Lauterbach, das sei eine Frage an den Arbeitsminister. "Ich möchte Hubertus Heil hier nicht vorgreifen." Berufliche Bescheidenheit, eine Tugend des Ministers? Wenn es ihm passt.
Zum Mangel an freien Psychotherapieplätzen im Land, "müsse man an mehreren Punkten ansetzen", so der Minister. Fragen zu den psychischen Auswirkungen der Coronapolitik, gerade bei den Kindern und Jugendlichen im Land, gab es keine, also seitens der Moderatorin. In den "tausenden" Fragen der User mit Sicherheit. Das Wohlfühl-Interview wurde nach knapp dreißig Minuten beendet. Frau Bader bedankte sich artig dafür, dass "sie sich so viel Zeit genommen haben, für die vielen User_Innen-Fragen".
Die das ARD-Hauptstadtstudio redaktionell mundgerecht und leicht verdaulich vorab in einer rein manipulativen Vorauswahl dem Minister freundlich präsentierte.
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