Da gehen, wehen und kämpfen sie – die woken Ideologien

Voller Stolz hisst Deutschlands Gesundheitsminister die Regenbogen-Fahne. Voller "unangenehmer" Gefühle erzwingen Besucher eines Konzertes dessen Abbruch, weil die Band es wagte, Rastalocken zur Schau zu tragen. Der Christopher-Street-Day wird zu einem politikarmen Politikum und die Ideologisierung schreitet in Kriegszeiten unaufhaltsam voran.

von Tom J. Wellbrock

Was sagt es über eine Gesellschaft aus, wenn sich Konzertbesucher über "Unwohlsein" beklagen, weil eine aus Weißen bestehende Band namens "Lauwarm" Reggae-Musik spielt? Und was für eine Botschaft transportiert es, wenn nach dem Abbruch des Konzerts der Veranstalter eine globale Entschuldigung gegenüber all den Menschen ausspricht, bei denen dieses Konzert "schlechte Gefühle" ausgelöst hat?

Es spricht Bände. Es zeigt eine erschreckende Ich-Bezogenheit auf der einen, und eine unerträgliche Arroganz auf der anderen Seite. Der Wokeness-Experte spricht hier hochtrabend von "kultureller Aneignung", also dem Versuch weißer Menschen, sich ungefragt an der Kultur nicht-weißer Menschen zu bedienen. Schwarze sind nur selten Bestandteile der Diskussion.

Aber bei Lichte betrachtet sind diese Vorfälle – so ärgerlich und unverständlich sie für die Band auch sein mögen – Peanuts auf dem Weg in eine Gesellschaft der entpolitisierten Ideologie.

Fragwürdige Prioritäten

Erneut steht uns ein Herbst bevor, der an den Nerven nagt. Politik und ausgewählte Wissenschaftler entwickeln bei dem Gedanken an neue, alte Maßnahmen bereits Speichel um die Mundwinkel herum. Und dann ist da ja auch noch die Energiekrise, herbeigeführt von denselben Politikern, die schon durch ihre Corona-Politik weite Teile der Gesellschaft lahmgelegt oder in den schieren Wahnsinn getrieben haben.

Da braucht es Ausgleich, irgendetwas, das die Gemüter beruhigt. Das Hissen der Regenbogen-Fahne über dem Reichstag eignet sich als eine solch ausgleichende Maßnahme allerdings nicht einmal ansatzweise, im Gegenteil. Das Getöse um Schwule, Lesben, Transmenschen und was es noch so alles gibt, treibt einen Keil in die Gesellschaft. Was soll die alleinerziehende Mutter mit Minijob auch denken, wenn sie die Diskussionen und Solidaritätsbekundungen gegenüber einer Bevölkerungsgruppe sieht, mit der sie nicht das Geringste zu tun hat? Kann der Zeitarbeiter seine Miete leichter aufbringen, wenn sich ab nächstem Jahr eine kleine Gruppe Menschen wahlweise als Mann oder Frau bezeichnen darf, und das im jährlichen Intervall?

Nein, hier wird weder Solidarität noch Toleranz demonstriert, sondern das Ausgrenzen der "normalen Leute" aus dem gesellschaftlichen Geschehen.

Problem erkannt, Problem verbannt

In einer perfekten Welt kann man die Thematik der Schwulen und Lesben und die Frage, ob es zwei, drei oder 72 Geschlechter gibt, ausgiebig diskutieren. Im gesamtgesellschaftlichen Kontext sind dies – das muss man so nüchtern betrachten – Luxusprobleme. Etwas anderes wäre es, wenn man in diesem Zusammenhang darüber spricht, ob Schwule, Lesben oder Transmenschen Schwierigkeiten im Berufsleben haben. Dann könnte man den Bogen zur Gruppe der Frauen spannen, man könnte über zu niedrige Löhne im Allgemeinen sprechen, über das verheerende Prinzip der Zeitarbeit, über befristete Verträge, Praktika als Ausbeutungsinstrument und die aus den Katastrophen des Arbeitsmarktes entstehende Kinder- und Altersarmut. Das wäre eine gesellschaftliche Diskussion, in der die Betroffenen berücksichtigt werden, egal welchen persönlichen Hintergrund sie haben. Doch davon sind wir weit entfernt.

Stattdessen macht sich bei vielen Menschen das Gefühl breit, dass sie faktisch überhaupt keine Rolle mehr spielen. Wer sich Gedanken über im Herbst steigende Energiepreise macht oder schon jetzt davon betroffen ist, hat wenig Sinn für die Geschlechterfrage. Ein Hartz-IV-Empfänger mit leerem Kühlschrank fragt sich auch nicht, woher dieser Stern da oben kommen mag, der so wahnsinnig hell scheint – gestern war er doch noch nicht da. Nein, der Hartz-IV-Empfänger betrachtet seinen Kühlschrank, nicht den Sternenhimmel.

Doch Politiker stehen andachtsvoll vor der Regenbogen-Fahne, blicken selbstgerecht mit ausladender Geste hinauf und lassen sich mit der Bildunterschrift fotografieren:

"Es wurde Zeit, endlich etwas für die Gleichberechtigung zu tun."

Kühlschränke sehen sie vor ihrem geistigen Auge nicht, allenfalls die Champagnerflaschen, die sie aus diesen herausholen.

Entpolitisierung mit Ansage

Das woke und nicht mehr umkehrbare Problem der heutigen Zeit ist die Ideologisierung der Zeitgenossen. Man schießt sich auf ein Thema ein, von dem man glaubt, alles Recht der Welt zu haben, dieses auch in die Köpfe aller anderen einzupflanzen. Wenn diese sich weigern, da mitzugehen, wird die ideologisierte Keule ausgepackt. Da das eigene Thema richtig und wichtig sein muss, um die Welt zu verbessern, wird erwartet, dass alle es so sehen.

Die eigene, innere Ideologie wird so verfestigt, Lücken oder Brüche werden gefüllt oder geleugnet. Der Mikrokosmos verdrängt das große Ganze. Hinzu kommt eine nahezu vollständige Entpolitisierung, sodass das Prinzip der Ideologisierung nicht einmal bemerkt bzw. als politisches Denken eingeordnet wird.

Politik aber ist wie Wissenschaft, beides funktioniert nur, wenn Fragen gestellt werden und nach den Antworten darauf weitere Fragen folgen. Die Ideologie verzichtet auf Fragen, sie liefert ausschließlich Antworten, die nicht angezweifelt werden dürfen.

Das ist das Wesen der Ideologie. Und inzwischen auch das Wesen großer Teile der Gesellschaft.

Ein Umkehren ist nicht in Sicht. Zu wohl fühlen sich zu viele Menschen in ihrer kleinen, heilen Welt, in der alles seine Ordnung hat. Und wenn jemand dazwischen grätscht mit unpassenden Ansichten, verspürt man die Verpflichtung, diesen zu beschimpfen, auszugrenzen, zu verurteilen und als in der Summe schlechten Menschen darzustellen. Das ist überhaupt kein Problem, denn wenn die eigene Haltung perfekt ist, ist jede Abweichung verachtenswert.

Lauthals und vehement wird Toleranz gefordert – versteckt wird damit eine Form der Intoleranz, die zum Himmel schreit. Bemerkt wird das nicht (mehr). Die woken Gedankenhüter sehen sich nicht nur im Recht, sie empfinden missionarischen Eifer, alle in ihre aufgeräumte Traumblase zu holen, die nicht bei drei auf den Bäumen sind. Ob die gewoketen Verfolgten das wollen oder nicht, spielt keine Rolle. Sie können es doch gar nicht beurteilen, da sie mit der verbotenen kulturellen Aneignung beschäftigt sind, die es ein für alle Mal abzuschaffen gilt.

Politisch korrekt?

Wie korrekt soll es noch werden? Soll, wer sich Rastalocken machen lassen will, zunächst ein wokes polizeiliches Führungszeugnis einholen? Soll, wer nicht bis zum letzten Komma/zur letzten Kommain korrekt gendert, mit einem vierzehntägigen Redeverbot belegt werden? Müssen künftig Wohnungen in den Regenbogenfarben gestrichen werden, um überhaupt einen Mietvertrag zu erhalten?

Das Problem ist größer als die lächerlichen Beispiele hier. Wokeness ist aggressiv, ist kriegerisch, verhält sich angreifend und einnehmend. Deutschlands vermeintliche Rolle in der Welt ist Wokeness pur! Man mag den Satz "Am deutschen Wesen soll die Welt genesen" für ausgelutscht und veraltet halten. Aber das Auftreten deutscher Politiker auf der Weltbühne zeigt genau, wo das Problem liegt: Es sind die deutschen Überzeugungen, die deutschen Erwartungen, die deutschen Forderungen, an denen sich der Rest der Welt gefälligst zu orientieren hat. Denn das Recht ist immer auf der Seite der Woken, auch wenn sie eine ganze Truppe größenwahnsinniger, woker Politiker sind.

Im Großen wie im Kleinen wird dabei deutlich, wohin Wokeness führt – zu einer Filterblase der Unbelehrbaren, die sich im Mittelpunkt des Universums sehen. Sie sind narzisstisch, beratungsresistent und skrupellos. Und sie pfeifen auf alle anderen. Weil alle anderen nur falsch liegen können.

Dieser Krieg braucht keine Waffen. Er zerstört mit dem Anspruch des Heilers.

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