Eine Analyse von Roman Shimaew und Polina Poletaewa
Angesichts der Verknappung der Gaslieferungen aus Russland sind die deutschen Behörden besorgt über den technischen Zustand der Gaspipeline Nord Stream, da die Gasturbinenmotoren für die Pipeline infolge der anti-russischen Sanktionen in Kanada nach Reparaturen festsitzen. In diesem Zusammenhang ersuchte der deutsche Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, Robert Habeck, die kanadischen Behörden, das Problem mit der Lieferung der erforderlichen Ausrüstung zu lösen. Seiner Meinung nach hängt die Stabilität des europäischen Rohstoffmarktes davon ab, ob die Gasspeicher in Deutschland voll sind. Nach Ansicht von Experten kann dieses Problem gelöst werden, aber dazu müsste Kanada eine Ausnahme von den Sanktionen machen.
Am 7. Juli forderte Robert Habeck Kanada auf, die Frage der Lieferung der Turbine für Nord Stream zu klären. Er sagte, Deutschland benötige die Kapazität der Erdgasleitung unter der Ostsee, um seine Lagerstätten mit Erdgas zu füllen.
"Wenn es hier für Kanada ein rechtliches Problem gibt, möchte ich darauf hinweisen, dass ich sie nicht darum bitte, sie (die Turbine - Anm. der Redaktion) an Russland zu liefern, sondern an Deutschland",
sagte er in einem Interview mit Bloomberg. Habeck zufolge sollte die Turbine zurückgegeben werden, bevor die Wartungsarbeiten an der Pipeline am Montag, den 11. Juli, beginnen.
Der Minister betonte, dass er bereit sei, "als Erster für die Verabschiedung eines weiteren harten EU-Sanktionspakets" gegen Russland einzutreten, dass dieses aber Russland und seine Führung härter treffen sollte als die Volkswirtschaften des Westens. Er fügte hinzu, dass die Erfüllung seiner Forderung durch die kanadische Seite Moskau daran hindern würde, das Fehlen einer Turbine als Vorwand für das Ausbleiben der Gaslieferungen nach Abschluss der Reparaturen zu nutzen. Gefüllte Gasspeicher in Deutschland seien, so Habeck, nicht nur für den deutschen Markt wichtig, sondern auch für den europäischen und für die Versorgungssicherheit in ganz Europa.
Im Juni hatte Gazprom gemeldet, dass es die Gaslieferungen über Nord Stream einschränken müsse, weil Siemens die Reparatur der Gaskompressoren verzögere und technische Mängel an den Motoren festgestellt wurden. Am 14. Juni wurde das Umschlagvolumen der Kompressorstation Portowaja auf 100 Mio. Kubikmeter pro Tag reduziert (bei einem planmäßigen Volumen von 167 Mio. Kubikmetern). Am nächsten Tag gab die russische Holding bekannt, dass der Betrieb eines weiteren Siemens-Gasturbinentriebwerks in der Kompressorstation Portowaja "im Zusammenhang mit der bevorstehenden Generalüberholung" eingestellt wurde. Seitdem war der Umschlag auf 67 Millionen Kubikmeter pro Tag reduziert.
Siemens Energy erklärte seinerseits, dass das Unternehmen die Turbine für Nord Stream aufgrund der kanadischen Sanktionen gegenüber Russland nicht von Montréal nach Deutschland transportieren konnte.
Am 1. Juli teilte der Betreiber der Pipeline Nord Stream AG mit, dass er die Transportmenge in beiden Stränge der Nord Stream-Pipeline vom 11. bis 21. Juli für geplante Wartungsarbeiten unterbrechen werde, "um einen effizienten, sicheren und zuverlässigen Betrieb der Pipeline zu gewährleisten".
"Eine sehr unangenehme Geschichte für den kollektiven Westen"
Nach Meinung von Sergei Pikin, Gasmarktexperte und Direktor des Energy Development Fund, müssen die kanadischen Behörden nicht einmal die Sanktionen aufheben, um die Frage der Freigabe der Turbine für Nord Stream zu lösen; es müsse lediglich eine Ausnahme gemacht werden:
"Endlich beginnt bei ihnen der Verstand zu erwachen. Das ist eine politische Frage. Wenn sich die Politiker einigen, ist die Lösung nur noch eine Frage der Zeit."
Die deutschen Behörden haben endlich nachvollzogen, wie sich die Sanktionen auf die Lieferung von Erdgas durch die Nord Stream-Pipeline auf ihr Territorium auswirken, sagte Igor Juschkow, Experte an der Finanzuniversität der Regierung der Russischen Föderation und der Nationalen Stiftung für Energiesicherheit.
"Siemens kann weder diese Turbine zurückgeben noch die anderen, die stehen geblieben sind, zur Wartung nehmen, weil Kanada Sanktionen gegen Russland verhängt hat. Sollte Deutschland mehr Gas über Nord Stream beziehen wollen, muss es mit den Kanadiern verhandeln, damit die eine Ausnahme im Sanktionspaket machen. Und das ist ein normales Verfahren, denn die Vereinigten Staaten erteilen zum Beispiel buchstäblich jede Woche irgendeine Ausnahme von den Sanktionen. Sie tun immer das Gleiche: Zuerst verhängen sie massenhaft Sanktionen, und dann passen sie dieses Sanktionsregime an, indem sie so genannte Generallizenzen ausstellen",
sagte der Experte zu RT. Ihm zufolge könnte Kanada problemlos den gleichen Weg einschlagen, wartet aber offenbar auf die Zustimmung der USA:
"Dabei hat Deutschland noch andere Möglichkeiten. Zum Beispiel die Inbetriebnahme von Nord Stream 2, das mit russischen Turbinen ausgestattet ist. Und wie wir sehen, versuchen die Deutschen offenbar, die Amerikaner und Kanadier zu erpressen, indem sie darauf hinweisen, dass sie Nord Stream 2 starten müssten, wenn sie die Turbinen aus Russland nicht warten und zurückgeben können. Dies ist eindeutig eine sehr unangenehme Geschichte für den kollektiven Westen. Denn sie haben Nord Stream 2 sehr lange verteufelt und zum Symbol der 'russischen Aggression' gemacht."
Übersetzt aus dem Russischen.
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