von Dagmar Henn
Geduscht wird in Dippoldiswalde künftig nach der Uhr. Zwischen vier und acht Uhr morgens, zwischen elf und eins nachmittags, und unter der Woche von fünf bis neun, am Wochenende von sechs bis neun Uhr abends. Oder kalt. Und geheizt wird erst im Oktober, egal wie kalt es davor wird.
So sehen die Regeln aus, die die Wohnungsgenossenschaft Dippoldiswalde 300 ihrer Genossen zum 1. Juli verkündete. Der Grund dafür: Die Genossenschaft müsse beim örtlichen Energieversorger eine Vorauszahlung leisten. Diese betrage aber dieses Jahr voraussichtlich 400.000 Euro, das Vierfache der Vorjahre.
Warmes Wasser nur zu bestimmten Tageszeiten? Das sind Verhältnisse, die man in Deutschland bisher nur aus Berichten über arme Länder auf anderen Kontinenten kannte. Ob eine solche Festlegung bestimmter Zeiten tatsächlich Energie spart, ist auch nicht sicher. Schließlich ist das Erste, was daraus folgt, eine Verlagerung des Verbrauchs in die Zeiten, in denen es warmes Wasser gibt; das bedeutet nicht, dass die verbrauchte Menge geringer wird.
In der Berichterstattung über diesen Schritt wird zudem ein Sprecher des Deutschen Mieterbundes zitiert, der darauf hinwies, dass die Versorgung mit warmem Wasser nach dem Mietrecht rund um die Uhr vorgesehen ist und eine Einschränkung einen Mietmangel darstellt, auf den mit einer Mietminderung reagiert werden kann.
Eine andere Variante, die in Bezug auf heißes Wasser kursierte, eine Reduzierung der Wassertemperatur auf 55 Grad, ist aus anderen Gründen nicht möglich – liegt die Wassertemperatur zu niedrig, können sich Legionellen vermehren, die eine lebensgefährliche Lungenentzündung auslösen können.
Das Dippoldiswalder Wasserregime ist ein Beispiel, wie die Vorgaben der Bundesregierung brav umgesetzt werden, ein anderes lieferte der Deutsche Städtetag. Dieser verschickte eine "Übersicht über erste Maßnahmen". Ein Posten fällt dabei besonders auf, weil er ein Einsparpotential von 25 Prozent bietet: "Rückversetzung der RLT-Anlagen in den Normalzustand vor der Pandemie (Laufzeit und Luftmengen), Abschaltung von mobilen Luftreinigungsgeräten."
Also die Klimaanlagen, die im letzten Jahr auf besonders schnelle Umwälzung gestellt worden waren, um – zugegebenermaßen mit zweifelhaftem Erfolg – vor Corona zu schützen, sollen jetzt wieder auf Normalbetrieb umschalten, und die ganzen Luftfilter, die insbesondere für Schulräume angeschafft wurden, sollen wieder außer Betrieb gehen. Natürlich nur in "Pandemieabhängigkeit". Vielleicht sollen das Robert Habeck und Karl Lauterbach auswürfeln?
Die Krankenversicherungen werden sich jedenfalls über Punkt 4 freuen: "Absenkung der Raumtemperatur in Sport- und Turnhallen". Fünf Prozent Einsparung soll das Ganze bringen, und der Städtetag scheint vorab bei der gesetzlichen Unfallversicherung nachgefragt zu haben. "17 Grad Celsius nach DGUV zulässig". DGUV heißt ausgeschrieben Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung. Die müsste leisten, wenn ein Unfall dem Verschulden der Kommune zugeschrieben werden kann, und sie scheint sich bei 17 Grad noch auf der sicheren Seite zu fühlen.
So, wie Versicherungen üblicherweise reagieren, heißt das nicht, dass die 17 Grad ungefährlich sind; es heißt nur, dass es noch nicht so kalt ist, dass sämtliche anderen möglichen Ursachen für eine Verletzung dahinter zurücktreten. In Wirklichkeit dürfte eine solche Temperatur insbesondere beim Schulsport die Zahl der Verletzungen nach oben treiben, weil das ohnehin schon aus Zeitmangel vernachlässigte Aufwärmen dann nicht mehr ausreicht. Von Seniorensport wollen wir gar nicht erst reden.
Nach dem Schulsport in der kalten Halle geht es entsprechend quälerisch weiter, weil auch das warme Wasser für die Duschen abgedreht werden soll. Nun sind die Temperaturen, die Wasser hat, wenn es unerwärmt aus dem Hahn kommt, in Deutschland sehr unterschiedlich. In Berlin ist es beispielsweise selbst im Winter noch lauwarm. In anderen Regionen, im Voralpenland beispielsweise, ist das Wasser aber wirklich eiskalt.
Von den Einsparvorschlägen, in Schwimmbädern die Wassertemperatur abzusenken, dürften gerade ärmere Kommunen nichts haben. Die haben ihre Schwimmbäder bereits vor Jahren geschlossen. Aber ob die Bürger es gut finden, für ihre fünf Euro Eintritt (das ist der aktuelle Preis der Münchner Hallenschwimmbäder) kälteres Wasser zu bekommen, ist eine andere Frage.
Auch in den Verwaltungen und Schulen sollen die Raumtemperaturen gesenkt werden. Insbesondere Letzteres dürfte ein Problem werden, wenn wieder das Corona-Regime des vergangenen Winters etabliert wird, in dem die Kinder ohnehin die Hälfte der Zeit in eisigen Zimmern saßen, weil die Heizung nicht schnell genug gegen das Lüften ankam. Schreiben, egal, ob von Hand oder an einer Tastatur, ist übrigens eine empfindliche feinmotorische Tätigkeit, deren Geschwindigkeit beträchtlich nachlässt, wenn die Umgebung zu kalt wird. Hoffentlich denken auch alle Lehrer beim Korrigieren schwer leserlicher Arbeiten daran, dass sie gerade ein Opfer für die Freiheit der Ukraine bringen und benoten nicht schlechter.
Der wirkliche Bringer ist allerdings der letzte Vorschlag. "Homeoffice ermöglichen." Das dürfte auf einem Missverständnis beruhen. Denn da werden zwei gleichgerichtete Versuche, zu sparen, erbarmungslos kollidieren – jener er Behörde, die Büros, und jener der Beschäftigten, die Wohnung nicht heizen zu müssen. Homeoffice verliert nämlich deutlich an Attraktivität, wenn die Wohnung kalt ist. Und während im vergangenen Jahr die dadurch auf die Beschäftigten verlagerten Kosten noch hingenommen wurden, könnte das bei der jetzt absehbaren Vervielfachung der Heizkosten ganz anders sein. Da ist es dann das warme Büro, dessen Wärme nicht den eigenen Geldbeutel beansprucht, das anziehend wird. Dafür muss man nur ein wenig Nachkriegsliteratur lesen.
Das Verblüffendste an diesen Umsetzungsplänen ist allerdings, wie kreuzbrav und widerspruchsfrei sie erstellt werden, als handele es sich um ein gottgegebenes Schicksal und nicht die Konsequenz politischer Entscheidungen. Denn schließlich bräuchte es nicht Tausende kleiner, leidvoller Schritte, um irgendwie mit dem Elend umzugehen, sondern nur einen, um das Elend aufzuheben. Es verläuft wie gehabt. Statt im richtigen Moment laut Nein zu sagen, stürzt sich der Deutsche in die verwaltungsmäßige Abarbeitung.
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