von Dagmar Henn
Nachdem sich selbst für deutsche Medien abzeichnet, dass die Ukraine den Krieg wohl doch verlieren wird und das Thema langsam an Wirksamkeit verliert, kehren die Alltagsfragen zurück in die Medien und den Alltag der Politik. Und damit auch die ökonomischen Probleme, die durch die Sanktionen und die daraus folgende Erhöhungen der Energiepreise ausgelöst werden.
Hubertus Heil, der noch aus dem Kabinett Merkel verbliebene Arbeits- und Sozialminister, bringt sich mit einem "Klimageld" in die Schlagzeilen, das sofort vehementen Widerstand der FDP hervorruft, weil die Wohlhabenden nicht ausreichend bedacht werden. Allerdings ist auch Heils Lösung zu kurz gesprungen.
Ursprünglich sollte das Klimageld, damals, als der Koalitionsvertrag geschlossen wurde, die sozialen Folgen der CO2-Steuer abfangen, jenes ideologischen Steuermonsters also, das schlicht auf so gut wie alle Formen von Energieverbrauch aufgeschlagen wird und dadurch jedes Konsumgut verteuert.
Weil die ärmeren Teile der Bevölkerung – im Gegensatz zu den Wohlhabenden – ihr Einkommen komplett oder zum größten Teil für den Lebensunterhalt verbrauchen, also verkonsumieren, schlagen auch sämtliche Verbrauchssteuern bei ihnen stärker zu Buche. Das gilt, nebenbei bemerkt, auch für die ganz gewöhnliche Mehrwertsteuer, die übrigens auch noch auf alle durch die CO2-Steuer verteuerten Produkte aufgeschlagen wird. Irgendwie sollte jenem Bevölkerungsteil zumindest etwas dieser Aufschläge zurückerstattet werden (die komplette Rückzahlung war immer Heuchelei, weil sie den Kumulationseffekt in der Lieferkette ignoriert), damit diese "Klimanummer" nicht ganz so antisozial aussieht.
Und dann griff die russische Armee in den ukrainischen Bürgerkrieg ein, und die Sanktionen trieben die Energiepreise auf ungeahnte Höhen. Dass Heil dadurch ins Schwitzen gerät, muss nicht verwundern. Es ist aber nicht die verlorene NRW-Wahl, die ihn umtreibt, wie etwa das Handelsblatt vermutet; es ist vielmehr der Unmut, der sich langsam, aber deutlich in den Gewerkschaften zeigt, die er als guter Sozialdemokrat doch möglichst handzahm halten will. Schließlich müssten Lohnerhöhungen, die auch nur die bisher aufgelaufene Inflation ausgleichen, bei zehn Prozent oder mehr liegen. Die Gewerkschaftsführung würde gerne weiter "gut Freund" der Unternehmer bleiben und ihre Mitglieder mäßigen, was sich schon daran zeigt, dass die bisher abgeschlossenen Tarifverträge im besten Fall 4 Prozent Erhöhung brachten; die Inflation aber offiziell bereits bei 7,9 Prozent liegt.
Dass Heil insbesondere die Klientel der IG Metall im Blick hat, zeigt sich an seiner Einkommensgrenze. Sein Klimageld soll an alle gehen, die weniger als 4.000, also bei Paaren weniger als 8.000 Euro brutto verdienen. 2021 lag das Bruttoeinkommen aus Erwerbstätigkeit bundesweit im Durchschnitt bei 3.202 Euro; im Jahr 2018, dem letzten, für die die detaillierteren Auswertungen bereits vorliegen, waren es aber nur 22,2 Prozent der Haushalte, deren Nettoeinkommen 5.000 Euro überstieg.
Ein Problem liegt dabei weniger darin, dass das oberste Fünftel nichts abbekommt, sondern eher darin, dass Heil diese Entlastung an ein Lohneinkommen gekoppelt hat, womit Grundsicherungsempfänger und Rentner leer ausgehen. Vermutlich, weil sie schon vor der Erhöhung Schwierigkeiten mit den Energie- und Heizkosten hatten und daher das Frieren schon gewöhnt sind.
Das DIW hat sich die Mühe gemacht, die Entlastung nach Einkommens-Quintilen (ein Quintil ist immer ein Fünftel, die Einkommen werden also in Gruppen von jeweils 20 Prozent aufgeteilt) zu untersuchen und kam zu dem Ergebnis, dass zwar die untersten Einkommensgruppen die höchste Entlastung erhalten, ihre Belastung aber immer noch weit höher ist, weil die höheren Energiekosten einen weit höheren Anteil des Gesamteinkommens darstellen. Das ist logisch; wenn – was vorkommen soll – jemand mit einem Einkommen von 1.000 Euro und jemand mit einem Einkommen von 4.000 Euro beide in je einer Wohnung von 50 m2 leben, die sie beide beheizen und für sich in beiden Fällen die Heizkosten verdoppeln, dann hat diese Verdopplung prozentual auf das niedrige Einkommen eine viermal so große Wirkung.
Wobei natürlich die Schieflage noch weiter verstärkt wird, weil gleichzeitig die Heizkosten bei schlecht isolierten Gebäuden höher sind, der Stromverbrauch bei älteren Geräten auch, aber beides trifft ebenfalls wieder die ärmeren Teile der Bevölkerung eher als die Wohlhabenden, die schon mal in hoch gedämmten Neubauten leben, in denen die Heizkosten geringer sind.
Klar, Christian Lindner muss das Mantra der FDP abspulen, dessen innere Widersprüchlichkeit erst in den kommenden Monaten ihre volle Kraft entfalten wird, und wird fordern, statt einer Zahlung die Lohn- und Einkommensteuern zu senken, um gleichzeitig zu verkünden, die Schuldenbremse trete natürlich 2023 wieder in Kraft. Kühn ist das schon, jetzt solche Aussagen über 2023 zu machen – angesichts all der Abgründe, die auf der Strecke liegen –, aber er kann nicht anders.
Was keiner der Beteiligten ausspricht, ist die Tatsache, dass auf allen Formen von Energie die Mehrwertsteuer liegt, die auf den Endbetrag aufgeschlagen wird, was bedeutet, durch eine Verdoppelung oder Verdreifachung der Energiepreise verdoppeln oder verdreifachen sich auch die Einnahmen aus der Mehrwertsteuer. Während also beim Benzin gerade einmal vorübergehend ein Teil der Besteuerung etwas verringert wird, bleiben die Mehreinnahmen aus dem immer noch höheren Preis unangetastet; ganz zu schweigen davon, darauf etwa verzichten zu wollen. Selbstverständlich setzt sich auch die Inflation bei sonstigen Verbrauchsgütern in entsprechend höhere Mehrwertsteuereinnahmen um, und – wie es nun einmal so ist bei den Verbrauchssteuern – bezahlen sie überwiegend die Ärmeren.
Wollte man die sozialen und ökonomischen Folgen der irrwitzigen Sanktionen tatsächlich abfedern, wäre vermutlich ein vorübergehender Verzicht auf die Besteuerung von Energie – und ich rede hier von einem kompletten Verzicht, Energiesteuer, CO2-Steuer und Mehrwertsteuer – der beste Weg. Das würde die fehlenden Mengen an Gas und Öl zwar nicht herbeizaubern, aber zumindest die gesellschaftlichen Folgen abfedern. Schließlich stecken diese Steuern in jedem Gut, das von A nach B transportiert wird, in jeder Produktion. Sie beschleunigen die ohnehin schon vorhandene Inflation. Wollte man tatsächlich die industrielle Produktion in Deutschland erhalten, wäre das der einzige Weg.
Aber darüber wird nicht einmal geredet. Man kann sich das im Moment noch leisten, weil das wirkliche Ausmaß der Kostensteigerungen erst schrittweise sichtbar wird. Schon allein deshalb, weil die meisten Verbraucher – ganz gleich, ob privat oder geschäftlich – bestehende Verträge mit Energieversorgern haben, bei denen Erhöhungen erst zur nächsten Abrechnung sichtbar werden. Wenn man rein statistisch davon ausgeht, dass diese Abrechnungen regelmäßig über das Jahr verteilt sind, dann haben sich bisher nur 5/12 dieser Erhöhungen niedergeschlagen, nicht einmal die Hälfte.
Das, was man so zu hören bekommt von Leuten, die bereits Abrechnungen erhalten haben, ist allerdings erschütternd. Verdreifachung der Gaspreise zum Beispiel. Ein Glück, dass gerade keine Heizsaison ist und die Einwohner dieses Landes erst im Herbst vor der unmittelbaren Frage stehen werden, ob sie lieber wieder heizen oder weiter essen wollen.
Wobei das mit dem Essen auch noch weitaus heiterer werden dürfte, als es sich bisher abzeichnet. Schließlich haben wir ein Bundeslandwirtschaftsministerium, in welchem das Problem mit den zu 80 Prozent importierten pflanzlichen Nahrungsmitteln völlig verpennt wurde – vermutlich, weil ja beim Getreide der Bedarf normalerweise selbst gedeckt wird – und das weiter riesige Flächen fruchtbaren Landes mit einem Unfug wie "Bio-"Sprit belegt. Es wäre vernünftig gewesen, stattdessen Kartoffeln zu pflanzen. Zum Ausgleich gibt es nun Aufrufe, weniger Fleisch zu essen. Diese Appelle sind besonders erheiternd, weil Gemüse als Alternative noch lange nicht am Ende der Preisexplosion angekommen sein dürfte. Was zum Ende dieses Jahres drei holländische Paprikaschoten in den Supermärkten kosten werden, möchte ich mir nicht einmal vorstellen.
Nun, in den nächsten Wochen wird die Republik erst einmal mit dem neun-Euro-Ticket unterhalten werden. Ein Musterfall für wilden Aktionismus, der am vorhandenen Übel nichts ändert, aber dafür möglichst viel Chaos verursacht. Die Bahn war in den Zeiten vor Corona ohnehin schon gerade noch so imstande, die interessierte Zahl der Fahrgäste halbwegs verlässlich ans Ziel zu transportieren. Als 1995 das "Schöne-Wochenende-Ticket" eingeführt war, wurden die Bedingungen sehr schnell wieder geändert, weil die Züge zu voll wurden. Das ist inzwischen fast 30 Jahre her; damals hatte die Bahn aber tatsächlich noch Züge und Lokomotivführer, die zusätzlich eingesetzt werden konnten. In den Jahren seitdem hat sich der Zustand der gesamten Bahn immer weiter verschlechtert. Das Chaos von 1995 dürfte mit dem neun-Euro-Ticket mühelos übertroffen werden.
Aber das lässt erkennen, wie diese Bundesregierung mit den echten, gravierenden Problemen umgehen wird, die sich ankündigen. Für die konkrete Abwicklung des Heilschen Klimageldes liegt noch nicht einmal ein Vorschlag vor, aber man kann sicher schon irgendwo darauf wetten, wie viele Seiten der dafür nötige Antrag umfassen wird. Allerhöchstens größerer Unwille der Bevölkerung könnte diese Regierung dazu drängen, vor Ablauf des Jahres etwas davon tatsächlich umzusetzen.
Man möchte sich nicht einmal ausmalen, wie sie auf einen tatsächlichen Mangel an Nahrungsmitteln reagieren würde. Vermutlich würde sie ein zwanzigseitiges Formular entwerfen, das man unter Vorlage der Geburtsurkunden sämtlicher Haushaltsmitglieder einreichen kann, um dann einen Gutschein für ein Brot zu erhalten, das dem Supermarkt dann mit zehn Euro entgolten wird, aus Steuermitteln. Davor wird jedoch mindestens drei Wochen lang verkündet, wie schnell, unbürokratisch und konsequent die Koalition auf die Nöte der Bevölkerung reagiert hat. Und irgendein Teil der Bevölkerung wird dabei bestimmt wieder vergessen. Wollen wir wetten?
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