Der Weltgendarm möchte endlich weltweit bestimmen, wer ein Kriegsverbrecher ist

Es gibt neue Hinweise, wie das US-Establishment die Gelegenheit, die sich durch die emotionale Reaktion der Öffentlichkeit auf den Konflikt in der Ukraine bietet, für die Herrschaft über die eigene Weltordnung nutzen will.

Ein Kommentar von Rachel Marsden

Laut einem Bericht der New York Times haben Mitglieder des US-Senats einen alten Gesetzesentwurf aus dem Jahr 1996 wiederbelebt, mit dem der US-Justiz die Zuständigkeit verliehen werden soll, auch jeden Nicht-US-Bürger auch für außerhalb der USA begangene angebliche Kriegsverbrechen anzuklagen.

Das Problem für die USA im Umgang mit Kriegsverbrechen besteht derzeit bereits darin, dass – um festzustellen, ob jemand tatsächlich gegen internationales Kriegsrecht verstoßen habe – ein ordnungsgemäßes Verfahren beim Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag erforderlich ist. Aber in Washington, D.C. hat man nicht nur ein Gesetz – das Den Haag Invasionsgesetz – verabschiedet, das dem Pentagon die Ermächtigung erteilt, alle notwendigen militärischen Maßnahmen zu ergreifen, um amerikanische Bürger zu befreien, die wegen vorgeworfener Gräueltaten vor diesem Gericht stehen oder wegen tatsächlicher Gräueltaten verurteilt wurden, die USA erkennen die Autorität dieses Gerichts nicht einmal offiziell an.

Als der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag (IStGH) im Jahr 2020 die Handlungen amerikanischer Truppen in Afghanistan zu untersuchen begann, verhängte der damalige Präsident Donald Trump kurzerhand Sanktionen gegen Beamte dieses Gerichts. Und obwohl diese Sanktionen zwar inzwischen unter dem US-Präsidenten Joe Biden wieder aufgehoben wurden, gibt es keine Anzeichen dafür, dass seine Regierung etwa daran interessiert wäre, dass der IStGH bei US-Bürgern dieselbe Messlatte anwendet, die sie für den Rest der Welt anlegen will. Als jüngstes Beispiel für diese Heuchelei haben Offizielle in Washington gefordert, dass sich der russische Präsident Wladimir Putin vor dem IStGH in Den Haag wegen des Konflikts in der Ukraine zu verantworten habe.

Niemand hat zum heutigen Zeitpunkt wirklich eine Ahnung, wo die Grenze zwischen den "Konventionen" entsprechenden Kriegsgräueln und solchen liegt, die als außergewöhnlich und mithin strafbar gelten sollten. Es sollten erst recht keine Behauptungen oder gar Schlussfolgerungen auf der Grundlage von Propaganda gezogen werden. Die Mühlen der Justiz neigen bekanntlich dazu, sehr langsam zu mahlen. Aber wer will schon die Zeit für dieses Mahlen abwarten? Sicherlich in Washington niemand! Wer braucht schon ein langsames und verschlungenes Völkerrecht, wenn man doch einfach eines Morgens aufwachen und entscheiden könnte, man sei jetzt selbst das neue Strafgericht – statt das in Den Haag?

Angesichts der Komplexität, der Zeitdauer, der Entfernung zum Tatort und der Nebelbomben eines Krieges, deren Dunst sich über eine mögliche Beweiskette legt, ist das, was diese US-Senatoren vorschlagen, ein Schauprozess vor einem Gericht von fragwürdiger Legitimität [im Englischen als sogenanntes Känguru-Gericht verballhornt]. Sollte ein Nicht-US-Bürger, den die US-Behörden eines Kriegsverbrechens beschuldigen, jemals US-Boden betreten, so würden sie ihm genau solch ein Verfahren auferlegen.

Wenn man sich fragt, wie so etwas aussehen könnte, dann fragt man am besten einfach den französischen Staatsbürger Frédéric Pierucci, einen ehemaligen leitenden Manager des französischen multinationalen Konzerns Alstom. Er wurde im Jahre 2013 vom FBI am New Yorker Flughafen JFK festgenommen, von den USA der Bestechung bei Geschäften in Indonesien angeklagt und in den USA zu zweieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. Pierucci war genau das: ein Nicht-US-Bürger, der für ein Nicht-US-Unternehmen gearbeitet hat und 2017 von einem US-Gericht in Connecticut wegen einer Angelegenheit verurteilt, die sich nicht in den USA, sondern in Indonesien zugetragen haben soll. Aber das US-amerikanische "Gesetz über Korruptionspraktiken im Ausland" erlaubt es dem selbstgerechten überlangen Arm der US-Justiz, genau diese globale Zuständigkeit zu beanspruchen, wenn irgendein Aspekt des US-Finanz- oder Geldsystems in irgendeiner Weise berührt sein könnte, wie gering dieser Aspekt auch immer sein mag.

Auch der jüngere Fall der Huawei-Managerin Meng Wanzhou, Tochter des Gründers des chinesischen Telekom-Riesen, zeigte ebenfalls, wie weit die US-Justiz gehen wird, um die Wettbewerbsvorteile der US-Wirtschaft zu verteidigen. Auf Verlangen US-amerikanischer Behörden von deren kanadischen Amtskollegen während eines Transitaufenthalts am Vancouver International Airport festgenommen, wurde der Managerin – die sich also nicht einmal auf US-amerikanischem Boden befand – vorgeworfen, gegen US-Sanktionen Iran betreffend verstoßen zu haben, die auch gar nichts mit Kanada zu tun hatten.

Nachdem ihr Fall das Drittland Kanada in einen vierjährigen diplomatischen Ringkampf mit China gezerrt hatte, während Meng unter Hausarrest in ihrem Domizil in Vancouver festsaß, trafen Kanada und China irgendwann eine Vereinbarung, Meng nach China ausreisen zu lassen, im Gegenzug für die Vereinbarung, dass Meng in den USA strafrechtlich verfolgt werden kann. Es ist unschwer vorstellbar, dass man sowohl Meng wie auch Pierucci, der übrigens nach der Übernahme von Alstom durch die General Electric der USA und nach Zahlung einer rekordverdächtigen Geldstrafe von 772 Millionen US-Dollar freigelassen wurde, eigentlich auch als willkommene Wirtschaftsgeiseln für ultimative Wettbewerbsvorteile der USA bezeichnen könnte.

Auch der sportliche Wettkampf ist vor den Beutezügen der US-Gerichte nicht gefeit. Im Dezember 2020 verabschiedete der US-Gesetzgeber das "Rodtschenkow Anti-Doping Gesetz", das den US-Behörden erlaubt, ausländische Athleten festzunehmen oder sogar in die USA zu entführen, um sie dort wegen des Verdachts auf Doping anzuklagen – auch wenn die betroffenen Wettkämpfe nicht auf US-amerikanischem Boden stattfanden. "Um die breitere Zuständigkeit der Vereinigten Staaten für globale Wettbewerbe zu rechtfertigen, beruft sich der Gesetzentwurf des Repräsentantenhauses auf den Beitrag der Vereinigten Staaten zur Welt-Anti-Doping-Agentur", so rechtfertigte es die New York Times.

In Washington, D.C. hat man sich also alleinig die Aufgabe gestellt, für die ganze Welt zu definieren, wer gemäß einem US-Sanktionsregime mit wem Geschäfte machen darf, wer wegen Dopings angeklagt und verurteilt wird, wer auf der Bühne der Weltwirtschaft selektiv wegen Korruption verfolgt werden soll. Und jetzt wollen die USA sozusagen als Krönung im Alleingang definieren, wer zum Kriegsverbrecher abgestempelt werden darf? Sind wirklich alle anderen souveränen Staaten und deren Bürger auf diesem Planeten wirklich damit einverstanden? Und wenn nicht, wo bleibt dann die Empörung?

Übersetzt aus dem Englischen

Rachel Marsdenist eine Kolumnistin, politische Strategin und Moderatorin eines unabhängig produzierten französischsprachigen Programms, das auf Sputnik France ausgestrahlt wird. Ihre Webseite finden man unter rachelmarsden.com

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