"Batman" boykottiert Russland – Pech für ihn

Hollywood "bestraft" das russische Publikum, indem es sich weitgehend vom russischen Markt zurückgezogen hat. Die Medienmanagerin und TV-Produzentin Tina Kandelaki sieht darin ein Chance für die heimische Kinoindustrie.

von Tina Kandelaki

Das beliebte Sprichwort "Ist das Glas halb leer oder halb voll?" passt derzeit nicht so recht für die russische Filmindustrie.

Gleich nach dem Beginn der militärischen Sonderoperation in der Ukraine packten alle westlichen Filmkonzerne ihre Siebensachen und kehrten Russland den Rücken zu. Der neue "Batman"-Streifen wurde einige Tage vor seiner Premiere abgesetzt, und die TV-abstinenten Zuschauer zogen sich den Film von Piratenseiten rein oder luden ihn über Torrent herunter. So sieht Import unter Sanktionsbedingungen aus. 

Da die Realeinkommen der Menschen kaum gesunken sind, hat sich an der Kaufkraft des Filmpublikums nicht viel geändert. Und ein beachtlicher Teil zieht es vor, auf ausländische Produkte zu verzichten, wenn er für sie einen dreifachen Preis zahlen muss. Was immer man dem russischen Konsumenten nachsagt – Abo-Dienste wie PREMIER, Start, Yandex.plus haben ihren Kunden die Gewohnheit anerzogen, für gute Inhalte zu bezahlen.

Wir drehen längst großartige Serien und gute Filme. Das Problem ist, dass sie auf den Bildschirmen und Leinwänden bislang nur etwa ein Viertel des Marktanteils einnahmen. Netflix, Disney+, Hulu und Amazon Prime hatten den größten Teil der Aufmerksamkeit  (und Kaufkraft) der Kunden auf sich gezogen. Und eine Kinolandschaft ohne Kassenschlager wie "The Avengers", "Spider-Man", "Once Upon a Time in ... Hollywood" oder eben "Batman", ist schwer vorstellbar, doch... Nun haben wir keine Wahl.

Für die Förderung der Filmindustrie im Jahr 2022 hatte der russische Staat ursprünglich 9 Milliarden Rubel bereitgestellt. Weitere 5,5 Milliarden Rubel werden nun zusätzlich hinzukommen. Das Budget der Filmförderung beträgt im Jahre 2022 damit bereits 14,5 Milliarden Rubel.

Nicht nur die Produzenten von Inhalten fordern eine Rettungsaktion, auch die Kinos befinden sich in einer schwierigen Lage, da sie die Einnahmeausfälle der Pandemie gerade erst hinter sich gelassen hatten. Wiederholungen alter Filme wie "Der Knecht" [2019] können kurzfristige Notmaßnahmen sein, doch wie oft wollen Sie ein und denselben Film sehen, wenn es keine sowjetische Kultkomödie ist?

Wir haben einheimische Drehbuchautoren, Regisseure, Schauspieler und Produzenten. Auch Vertriebsorte gibt es reichlich. Und die Zuschauer warten. Was es jetzt auf keinen Fall geben darf, ist das Abzweigen und Verschwenden von Haushaltsmitteln.  

Inzwischen sind wir schon so weit, dass eine Folge von "Karamora" 120 Millionen kostet. Schaut man sich die Serie an, erkennt man kaum einen Unterschied zu Netflix. Beide sind großartige Unterhaltungsangebote.

Wir können auf internationalem Niveau arbeiten, obwohl wir vor und während der Spezialoperation nicht im Traum daran dachten, Zugang zu internationalem Geld zu haben. Auch nach ihrer Beendigung wird dies nicht der Fall sein. Und zwar allein schon deshalb, weil talentierte Russen, die ihr Land und den Kurs des Präsidenten unterstützen, in der internationalen Filmelite keinen Platz haben.

Wir sollten uns an den koreanischen, türkischen oder indischen Kollegen ein Beispiel nehmen und eine einfache Sache von ihnen lernen: Wir müssen uns nicht an den Soderbergh-Produktionen messen. Nach diesen Vorbildern zu streben, ist ein sinnloses Unterfangen: Soderbergh steht für das internationale Kapital. Ein großer Name der Filmindustrie. Eine Fassade aus Budgets, die uns nicht zufallen werden.

Man sollte den Appetit zügeln und anfangen, Filme unter den Bedingungen unseres Staatskapitalismus und eines sich neu justierenden Marktes zu produzieren. Wenn wir uns den Rückgang der Werbeeinnahmen um einen Drittel oder gar die Hälfte vor Augen führen, fangen wir unweigerlich an, eine Filmindustrie aufzubauen, die auf der Nachfrage des Staates basiert. Sie wird völlig anders sein. Nicht alle werden dazu bereit sein, und zwar aus folgendem Grund: Viele Themen, die im Westen Beachtung finden, sind auch hier relevant, allerdings nicht die Problematik der Homosexualität. Man kann nicht mit dem Kopf durch die Wand.

Sicher, man könnte zehn Filme über dieses Thema drehen. Ja, es wird einigen Leuten gefallen, aber es wäre objektiv töricht zu erwarten, dass diese Filme hier ein Massenpublikum finden wird.

Im Unterschied zu Frankreich geben wir 50 Prozent (der Fördermittel) an die Kinos und weitere 30 Prozent an ausländische Verleiher. Das sollten besser 10 Prozent sein.

Der Produktionsprozess von Filmen und Serien muss effizient sein. Das Budget zu sprengen ist keine Option mehr. Fehlerhaft zu planen auch nicht. Jeder Produzent ist heute ein Krisenmanager. Statt echter Importsubstitution Potemkinsche Dörfer zu errichten, kommt künftig dem Landesverrat gleich.

Das Glas muss zu Dreiviertel gefüllt werden. Es sollte so gefüllt sein, dass die Hollywood-Studios, die irgendwann auf unseren Markt zurückkehren, dann um ihren Platz an der Sonne hart kämpfen müssen. Ja, ein Klassenschlager wie "Batman" wird sich auch dann in unsere Kinosäle schleichen und drängen. Doch mittelmäßige Filme, die bisher nur wegen eines als A-Promi bewerteten Gaststars Kassenerfolge feiern konnten, müssen ihren Platz auf den russischen Leinwänden für immer verlieren.

Die Stunde der Wahrheit ist gekommen. Nun gilt es dafür zu sorgen, dass aus ihr keine Geschichte verpasster Gelegenheiten wird.

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Übersetzt aus dem Russischen

Tina Kandelaki ist Medienmanagerin und Fernsehmoderatorin.