von Dagmar Henn
Aufgefallen ist sie durch ihren Rassismus, ihre Bemerkung bei Markus Lanz, die Russen seien keine Europäer. Und man könnte das für einen Ausrutscher halten, oder auch nur für einen etwas beschränkteren Studiogast, der Peinlichkeiten hinterlässt. Aber Florence Gaub ist ganz etwas anderes. Durch sie kann man tief in die Denkweise der NATO blicken, denn in Wirklichkeit ist diese Politologin, die als "Militärexpertin" gehandelt wird, geradezu ein Musterexemplar jener Brut, die gerade versucht, Europa zu ruinieren.
Sie arbeitete immerhin einige Jahre am NATO Defense College und ist jetzt Vizedirektorin des European Union Institute for Security Studies. Dabei hat sie genau jene Art der Ausbildung, über die sich der Militäranalytiker Andrei Martianow so leidenschaftlich lustig macht (der selbst die sowjetische Marineakademie in Kursk absolviert hat) – ein gesellschaftswissenschaftliches Studium, eine glatte Elitenkarriere ohne irgendeinen engeren Kontakt mit den Realitäten des Lebens, und dann ist sie: Militärexpertin. Zumindest für Die Zeit.
In dieser Eigenschaft erzählte sie, die Ukraine könne den Krieg gewinnen. Und belegt sogleich, dass sie nicht einmal vernünftig recherchiert hat: "Noch nicht einmal die Hälfte der Bevölkerung im Donbass spricht Russisch." Um diese Quote zu finden, muss man schon mindestens in Kiew sein. Richtig hübsch ist auch diese Stelle: "In den russischen Streitkräften ist sowjetisches Denken verbreitet. Schon Stalin hat mehr auf Quantität als auf Qualität gesetzt. Die Ausbildung der russischen Offiziere lässt sich mit den Generalstabslehrgängen im Westen nicht vergleichen." Martianow würde sich am Boden wälzen vor Lachen. Nicht nur, dass sich Frau Gaub offenkundig nie ausgeprägter mit dem Zweiten Weltkrieg befasst zu haben scheint, sie hat sich auch nicht wirklich kundig gemacht, was die Ausbildungsgänge russischer (und zuvor sowjetischer) Offiziere betrifft.
Immerhin, sie erwähnt in diesem Interview auch, dass man sich gelegentlich die "andere Seite", also die russische, anschauen sollte. Sagt dann aber gleich, es gäbe so wenig auf Englisch. Der Gebrauch elektronischer Übersetzungsprogramme scheint ihr unbekannt; mit diesen kann man sogar russische Zeitungen relativ problemlos lesen, einschließlich der Kommentare, um einen Eindruck zu erhalten, was die Leute so denken.
Wie gesagt, sie wird als Militärexpertin gehandelt, ihr fällt aber nicht einmal auf, dass die Größe des russischen Kontingents weit unter dem für Offensivhandlungen zu Erwartenden liegt. Das ist ganz einfaches Erbsenzählen. Drei Angreifer auf einen Verteidiger. Es ist das Erste, was ihr auffallen müsste. Aber sie ist in einer Blase gefangen, in der man das westliche Militär grundsätzlich für überlegen hält, und die Russen – nun, die haben, wie hat sie es bei Lanz formuliert, nun einmal ein anderes Verhältnis zum Tod als die Europäer.
So schrieb sie das in der Süddeutschen, die sie ebenfalls für qualifiziert hält: "Ob es in der Ukraine 1.500 Soldaten sind – wie Russland behauptet – oder bis zu 15.000 – wie die NATO meldet –, Russlands Verhältnis zu Gewalt und Tod ist nicht mit unserem vergleichbar. In den beiden Tschetschenienkriegen der Neunzigerjahre etwa verlor Russland wohl bis zu 40.000 Soldaten, ohne dass es große Proteste in der Bevölkerung gegeben hätte. Moskau wird also nicht dann einlenken, wenn es im Minus ist oder viele Tote zu beklagen hat, sondern wenn es versteht, dass es nicht gewinnen kann." Was sie nicht begreift, vermutlich nicht begreifen kann, ist, dass der Tschetschenienkrieg ein Akt existenzieller Selbstverteidigung war.
Nein, das ist falsch. Sie muss es nicht nur begreifen, sie muss es wissen. Schließlich ist sie viel zu nah am Herzen der Finsternis, sie hat zu islamistischem Terrorismus geforscht und soll angeblich auch Arabisch sprechen. Es kann ihr nicht entgangen sein, welche Rolle dieser Terrorismus in der Strategie der NATO spielt. Aber selbstverständlich ist die NATO das Gute, und die Tatsache, dass sich Russland in einer Position der Verteidigung gegen Angriffe dieses Bündnisses befindet, ist eine Wahrheit, die sie niemals aussprechen würde. Sie würde ein sicher beträchtliches Einkommen kosten.
Was die Kriegsziele angeht, lässt sie zumindest erkennen, worum es geht: "Und auch für uns ist es von Interesse, dass Russland fundamental zu der Erkenntnis kommt, dass es nicht nur diesen Krieg nicht gewinnen kann, sondern dass es auch seine Zukunftsambition von einer neuen Weltordnung nach seiner Vorstellung ablegt. Denn für Russland ist der Krieg in der Ukraine Teil eines größeren und langfristigeren Unterfangens, das mit einer Umgestaltung der Weltordnung rund um 2030 endet." Nein, nicht nur für Russland. Für den größeren Teil der Welt außerhalb des "Westens", der darauf hofft, die Zeit des Ausgeplündert- und Bombardiertwerdens endlich zu beenden. Gaub benennt, dass es der NATO um Unterwerfung Russlands geht, und um mehr, um die Aufrechterhaltung der gegenwärtigen Raubordnung.
Sie teilt diese Ziele von ganzem Herzen. Sie spricht aus, wonach die westlichen Politiker derzeit handeln, den eigentlichen Grund, warum womöglich selbst eine vollständige Niederlage Kiews noch keinen Frieden ermöglicht: "Wer heute schnell den Krieg beendet, verlegt einen viel größeren auf die Zukunft." Wie gesagt, hier spricht die NATO.
Es ist eine wahnhafte Welt, in der sie sich bewegt, und alles Übel ist russisch. Im Januar dieses Jahres erschien ein Heft des EUISS mit dem Titel "Was ... wenn nicht", in dem sie eine Zukunftsvision für 2027 entwarf. "Ein Flugzeug voller afghanischer Bürger ohne Visa war gerade in Orly gelandet und hinterließ sie gestrandet an der Passkontrolle. Der Flug war aus Moskau gestartet, dessen Behörden erklärten, ihre Papiere seien beim Besteigen des Fliegers in Ordnung gewesen. 'Wieder ein faules russisches Spiel', dachte Marcel."
Das ist Geopolitik auf Landserheftchen-Niveau, und es erinnert sehr an die wütende Propaganda gegen Weißrussland im Sommer. Im ganzen Text wirbt sie für muslimische Einwanderung nach Europa (das dürfte sich im Gefolge der Sanktionen bald erledigt haben), im Interesse des "Arbeitsmarktes" (der Lohndrückerei), aber verschwendet keinen Gedanken auf eine positive Entwicklungsperspektive für die Ursprungsländer. Harte materielle Tatsachen, ob militärisch oder ökonomisch, haben in ihrer Welt keinen Platz. Mehr noch, sie verachtet sie, und noch mehr jene, die sich zwischen ihnen bewegen und nicht Teil der von ihr so betonten "postheroischen Gesellschaft" sind. "Millennials und Generation Z haben andere Ambitionen als zu kellnern oder am Produktionsband zu stehen."
Unsinn für die NATO zu verbreiten und dabei dem eigenen Dünkel freien Lauf zu lassen, meint sie vermutlich. Aber sie hat den falschen Zeitpunkt erwischt. Es ist nämlich egal, ob man ihr in deutschen Zeitungsredaktionen den roten Teppich ausrollt oder sie in Fernsehsendungen ihre aufgewärmte Geschichte vom Untermenschen verbreiten lässt. Sie und ihresgleichen tragen, gerade durch die Schlachten, die sie auf dem Feld der Medien so erfolgreich schlagen, allerhöchstens zur Beschleunigung des westlichen Abstiegs bei. Denn die Waage hat sich bereits gesenkt, die Weltordnung ändert sich, und die Zukunft ihres Wirkens liegt in einer Vitrine mit der Beschriftung "Exemplare europäischen kolonialen Denkens".
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