von Maria Müller
Der 14. Dezember 2021 war ein entscheidender Tag. Das ukrainische Parlament, die Rada, verabschiedete ein spezielles Gesetz über ausländische Truppenbewegungen auf ukrainischem Boden. Das Gesetz No.6359 ist auf der Webseite des Parlaments einzusehen.
Zehn Militärmanöver unter Beteiligung von NATO-Staaten und NATO-Partnern sollten während des Jahres 2022 in der Nähe der Russischen Föderation stattfinden. Auch Angriffsoperationen gegen Russland und Weißrussland gehören zu den Themen des Programms. Die Ukraine und das Schwarze Meer würden damit zum ganzjährigen Aufmarschgebiet zu Lande, zu Wasser und in der Luft.
Die fünf größten multinationalen Gefechtsübungen der Streitkräfte der Ukraine und der NATO-Staaten – "United Efforts", "Sea Breeze", "Silver Sabre", "Rapid Trident" und "Cossack Mace" – stellen die größte Gefahr unter dem Gesichtspunkt eines beabsichtigten oder zufälligen militärischen Konflikts mit Russland dar. Als weniger gefährlich gelten die Manöver "Riverine", "Light Avalanche", "Maple Arch" und "Viking".
Die Planung sah vor, die Truppenstärken bei manchen Übungen um 30 bis 40 Prozent gegenüber dem Vorjahr aufzustocken. Insgesamt war die Beteiligung von 44.900 Soldaten an den gemeinsamen Manövern der Streitkräfte der Ukraine mit Nachbarstaaten und der Nordatlantischen Allianz vorgesehen. Davon gehören 26.600 Soldaten der ukrainischen Armee an, und 18.300 den NATO-Staaten mit Partnern.
Das Ausmaß der vorgesehenen internationalen Militärbewegungen lässt keinen Zweifel daran, dass Kiew die Rolle eines Brückenkopfes der NATO an der Grenze zu Russland zugedacht ist.
Risiko einer militärischen Eskalation durch die Manöver
Bereits im vergangenen Jahr kam es im Verlauf solcher Manöver zu provokativen Zwischenfällen. Im Juni 2021 war der britische Zerstörer HMS Defender drei Kilometer weit in russische Hoheitsgewässer eingedrungen, einen Tag zuvor ein holländisches Marineschiff. Damals hatte Moskau die USA und die NATO aufgefordert, auf solche Übungen in der gegenwärtigen Situation der Spannungen zu verzichten. Russland ließ verlauten:
"…Die Übungen stellen ein reales Risiko für eine mögliche Eskalation der militärischen Spannungen dar."
Die psychologische Kriegsführung und der Verschleißkampf
Die USA und die NATO ignorierten den Appell. Sie handelten längst nach Plan, um den "Verschleiß des Feindes" auch mit solchen Mitteln zu betreiben – eine militärpolitische Taktik. Nach jedem provozierten Zwischenfall setzt eine aggressive Rhetorik gegen Russland ein, ganz nach den Leitlinien der psychologischen Kriegsführung, die gleichfalls auf die eigene Bevölkerung einwirkt.
Am besagten 14. Dezember, als das ukrainische Parlament die Manöver absegnete, unternahm der russische Präsident Wladimir Putin erneute Versuche, westlichen Regierungschefs die existenziellen Interessen der Russischen Föderation zu erklären.
Er telefonierte mit dem britischen Premierminister Boris Johnson und dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron und forderte erneut dringende Sicherheitsverhandlungen. An diesem Tag sprach er auch mit seinem finnischen Kollegen Sauli Niinistö über die atomare Bedrohung für sein Land durch künftige NATO-Raketen in Grenznähe.
Vergebliche Appelle an die Vernunft
Der russische Präsident unterstrich die Notwendigkeit von "rechtlichen Garantien für die Sicherheit unseres Landes". Doch offensichtlich liefen seine Worte – einmal mehr – ins Leere.
Die immer arrogantere Ablehnung eines realen Dialogs mit greifbaren Ergebnissen seitens der westlichen Allianz trug entscheidend dazu bei, dass sich die Lage nach diesen historischen Tagen weiter zuspitzte.
Russland wusste aus den Vorjahren, dass manche Manöver eine militärische Offensive mit einschließen. Man wusste auch, dass im Rahmen solcher Übungen ein Teil der NATO-Waffen heimlich in Militärdepots auf dem Territorium der Ukraine verschwinden.
Laut dem Portal The Frontierpost haben ukrainische Medien in den vergangenen Monaten häufig die Forderungen von Landespolitikern publiziert, den Donbass militärisch zurückzuerobern. Anschließend seien russische Territorien zu besetzen – zuerst die Krim, dann Kuban, Stawropol, Belgorod, Rostow, und….
Militärische Angriffsübungen der NATO
In verschiedenen online-Militärzeitschriften wird mit Blick auf das multinationale Manöver "United Efforts" auf die Aktionslinie der Übung im vergangenen Jahr verwiesen. Demnach haben die Manöver-Truppen aggressive, offensive Militäreinsätze nicht nur gegen Russland, sondern auch gegen Weißrussland trainiert. Das "Manöverdrehbuch" des Generalstabs der ukrainischen Armee sah vor, dass sich der Kampf auf der diplomatischen Ebene zwischen Ost und West zu einem offenen, bewaffneten Konflikt entwickelt, in dem Russland und die Republik Weißrussland die wichtigsten "Aggressoren" seien.
Man wusste bereits, dass die Logik der eskalierenden Provokation irgendwann zu diesem Punkt führen musste.
NATO-Georgia Exercise 2022
Eine für Russland besonders kritische Waffenübung ist vom 22. bis 24. März in dem kleinen Nachbarstaat Georgien mit NATO-Truppen geplant. Sie soll am 5. bis 16. Juni um die Teilnahme von Polen, Litauen, Lettland und Estland erweitert werden. Es geht dabei um die Abwehr ballistischer Flugkörper. Die kurze Manöver-Beschreibung auf der Webseite der NATO besagt:
"…Diese Übung zur integrierten Luft- und Raketenabwehr (IAMD) (Integrated Air Missile Defense) wird die größte bodengestützte IAMD-Übung der Welt sein und NATO-IAMD-Verbündete und -Partner zusammenbringen, um eine umfassende Fähigkeit zu gemeinsamen Operationen zu sichern."
Im Klartext: Die Anrainerstaaten Russlands sollen die Föderation mit einem Gürtel von antiballistischen Abwehrraketen umgeben, die auch die neuen russischen Überschallraketen und damit jede russische Abwehr- und Angriffsfähigkeit blockieren.
Was würden die USA unternehmen, wenn sie solchermaßen eingekreist würden und atomaren Angriffen nichts mehr entgegenzusetzen hätten?
Um welche Manöver handelt es sich?
"United Efforts" spielt sich sowohl zu Land als auch zu Wasser im Schwarzen Meer ab. Dieses Jahr sollte die Großübung mit 12.500 Soldaten, 70 Kriegsschiffen und Booten, sowie 90 Militärflugzeugen und Hubschraubern stattfinden.
Die kombinierten Marineaktionen "Sea Breeze" (Meeresbrise) werden seit 1997 mit Kriegsschiffen sowohl der NATO-Staaten als auch einiger Partner im Schwarzen Meer abgehalten. Veranstalter sind die Ukraine und die USA. Für das Jahr 2022 erhöhte man die Teilnehmerzahl auf 7.500 Militärangehörige (40 Prozent mehr als 2021), 85 Schiffe, etwa 70 Flugzeuge und Hubschrauber. Dauer: von März bis Dezember.
Ein polnisch-ukrainisches Kriegstraining mit Namen "Silver Sabre" (Silberner Säbel) war von Februar bis Dezember 2022 geplant. Insgesamt sind bis zu 5.000 Soldaten, 16 Flugzeuge und Hubschrauber sowie ein Dutzend Kriegsschiffe dafür vorgesehen.
"Rapid Trident” (Schneller Dreizack) ist ein weiterer großer gemeinsamer Einsatz der ukrainischen Streitkräfte und der NATO. Er sollte zwischen März und Dezember mit 8.500 Soldaten stattfinden und 45 Tage dauern.
Ein ukrainisch-britisches Training heißt "Cossack Mace" (Kosakenkeule). Anstelle von 2.000 Soldaten im Jahr 2021 wurden für 2022 nun 5.500 Soldaten eingeplant, sowie 30 Flugzeuge und Hubschrauber und bis zu 11 Schiffe. Geplante Dauer: von März bis Dezember.
Der "Maple Arch" (Ahornbogen) sieht 3.700 Militärangehörige und bis zu 22 Flugzeuge und Hubschrauber vor. Dauer: März bis Dezember
"Viking" ist eine Computer-Führungsstabsübung des schwedischen Verteidigungsministeriums unter Beteiligung der skandinavischen und einer Reihe von NATO-Staaten, an denen die Ukraine seit 2005 teilnimmt.
Das Gebirgstraining "Blonde Avalanche" ("Weiße Lawine") läuft mit Soldaten der ukrainischen, ungarischen, rumänischen und slowakischen Armeen. Auch Naturkatastrophen gehören zu den Trainingsszenarien. Bis zu 1.300 Militärangehörige, 13 Flugzeuge und Hubschrauber können teilnehmen.
Eine gemeinsame ukrainisch-rumänische Übung "Riverine" (Fluss) war an der Donaumündung geplant. Die Seestreitkräfte, Seewachen und Grenzschützer beider Länder trainieren sowohl im Flusskanal als auch auf dem Schwarzen Meer. Und zwar von März bis Dezember.
Was würde Washington tun, wenn…
Nochmals: Was würde Washington unternehmen, wenn die Truppen der Russischen Föderation regelmäßig an seinen Grenzen zu Mexiko und Kanada, sowie an seinen Atlantik- und Pazifik-Küsten diese Manöver veranstalten würden? Wenn sich womöglich auch noch China daran beteiligte? Könnten die USA es ohne Gegenwehr hinnehmen, wenn direkt an ihren Grenzen Atomwaffen stationiert würden? Wenn Kanada zusammen mit Mexiko und anderen mittel- oder südamerikanischen Staaten das gemeinsame Koordinieren eines anti-ballistischen Luftabwehrsystems gegen die USA trainierten?
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