Ein Kommentar von Paul A. Nuttall
Es steht viel auf dem Spiel, und die Erschütterungen gehen weit über die Grenzen Ungarns hinaus. Die kommenden Wahlen in Ungarn stellen nicht nur einen Zusammenprall von konträren Ideologien dar. Sie sind auch Teil eines umfassenden Kulturkriegs, der derzeit in der gesamten westlichen Welt geführt wird. Der ungarische Premierminister Viktor Orbán hat lange den starken Mann markiert, entschlossen, die nationale Identität und die christlichen Werte seines Landes zu schützen. Er gerät daher oft in Konflikt mit der Europäischen Union und westlichen liberalen Politikern. Zudem macht ihn seine Nähe zu dem ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump für die Biden-Administration besonders suspekt.
Auch sein freundschaftliches Verhältnis zu dem russischen Präsidenten Wladimir Putin irritiert den Westen. Als sich die beiden Staatsoberhäupter kürzlich in Moskau trafen, plädierte Orbán tatsächlich gegen weitere Sanktionen und behauptete, diese hätten Ungarn mehr Schaden zugefügt als Russland. Er sagte auch, er glaube, dass es möglich sei, ein Abkommen zu erzielen, das den Frieden in Europa und die Sicherheit Russlands garantiere und für die NATO-Mitgliedsstaaten akzeptabel sei.
Orbán wird auch vorgeworfen, Peking gegenüber nachsichtig zu sein. Ungarn will Europas erste chinesische Universität eröffnen und China finanziert auch den Bau einer neuen Eisenbahnstrecke von Budapest nach Belgrad. Die Regierung Orbán hat zudem die Tatsache angeprangert, dass russische und chinesische COVID-Impfstoffe nicht weltweit zugelassen werden. Wobei sein Außenminister sich auf den Standpunkt stellte, dass diese Entscheidung eher politischer als medizinischer Natur sei.
Darüber hinaus sind die Parlamentswahlen nicht die einzige Abstimmung, die am 3. April in Ungarn stattfindet. Am selben Tag findet auch ein Referendum über ein Gesetz statt, das verbieten soll, in Schulen LGBT-Themen zu unterrichten. Orbán setzt natürlich darauf, dass die ungarischen Wähler seine robuste Haltung zu dieser Frage unterstützen. Das wiederum ruft naturgemäß bei vielen Liberalen in Westeuropa blankes Entsetzen hervor.
Die ungarische Regierung wappnet sich daher gegen eine Einmischung in den Wahlkampf von außen. Der Stabschef von Orbán warnte Anfang vergangener Woche vor einem "Übergriff" und behauptete, "die westeuropäische Elite" wolle "das Ruder von Ungarns Schiff" übernehmen. In ähnlicher Weise äußerte sich Orbán selbst im vergangenen Jahr zu einer möglichen Einmischung der USA in die Wahlen. Er sagte dem Moderator Tucker Carlson von Fox News:
"Das wird passieren, aber darüber machen wir uns keine Sorgen, wir sind darauf vorbereitet."
Auch mit der Europäischen Union liegt Orbán seit einiger Zeit im Streit über den Vorrang von EU-Recht gegenüber ungarischem Recht. Infolgedessen erwägt die Europäische Kommission, Ungarn Gelder vorzuenthalten, um Orbán zum Einlenken zu bewegen. Dieser zeigt jedoch keinerlei Anzeichen, sich den Forderungen Brüssels beugen zu wollen.
Dies hat zu allen möglichen Anschuldigungen geführt. Einschließlich der, dass die Regierung von Orbán die Wahl irgendwie "stehlen" werde. Im Januar schrieb eine Gruppe von Anti-Orbán-Abgeordneten im Europäischen Parlament an das Büro für demokratische Institutionen und Menschenrechte (ODIHR), und forderte die Entsendung einer umfassenden Mission von Beobachtern nach Ungarn. Diese sollten die Wahlen überwachen. Natürlich kam das ODIHR dieser Aufforderung nach und hat sich nun dafür ausgesprochen, eine große internationale Delegation von Wahlbeobachtern nach Budapest zu schicken. Die Unterstützer von Orbán scheinen dem jedoch gelassen entgegenzusehen. Ferenc Kumin, Ungarns Botschafter in Großbritannien, sagte, dass der demokratische Prozess in seinem Land robust sei und im Vergleich zu Großbritannien positiv abschneide.
Die Besessenheit Orbán zu beseitigen hat dazu geführt, dass aus dem Westen ein seltsames Sammelsurium von Extremisten unterstützt wird. Die ungarische Opposition, angeführt von dem Konservativen Péter Márki-Zay, ist eine reine Zweckkoalition, die sowohl die harte Linke wie auch die extreme Rechte vereint. In der Tat erinnere ich mich an die Abgeordneten der an dieser Koalition beteiligten Partei Jobbik, die in Uniform im Europäischen Parlament saßen. Mit solchen Charakteren wollen die Liberalen des Westens Orbán ersetzt sehen. Das Ganze wirkt außerordentlich surreal.
Im Moment sieht es so aus, als würde der ungarische Ministerpräsident gegen den Rest der Welt antreten – und zum Leidwesen der westlichen Liberalen scheint er dabei die Oberhand zu behalten. Umfragen haben ergeben, dass der Vorsprung von Orbán und seiner Partei weiter zugenommen hat. 51 Prozent der ungarischen Wähler gaben an, dass sie für die Fidesz-Partei stimmen werden. Das ist ein merklich höherer Prozentsatz, als diese Partei bei der letzten Wahl im Jahr 2018 erzielen konnte. Vielleicht ist das der Grund, warum die Nervosität in Bezug auf die kommenden Wahlen in Ungarn von den Machtkorridoren des Westens ausgeht. Machen wir uns also darauf gefasst, dass man dort laut aufheulen wird, wenn Orbán am 3. April erneut als Wahlsieger dasteht.
RT DE bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.
Paul A. Nuttall ist Historiker, Autor und ehemaliger Politiker. Er war von 2009 bis 2019 Mitglied des Europäischen Parlaments und war ein prominenter Aktivist für den Brexit.
Mehr zum Thema - Ungarns Verbleib in der EU wird mehr Probleme verursachen als sein Austritt