SPD in der Ukraine-Krise: Kevin Kühnert und der aufrechte Gang

Der Tagesspiegel bringt Kevin Kühnert dazu, sich von Gerhard Schröder zu distanzieren. Nicht wegen Hartz IV, sondern weil der Altkanzler zu russlandfreundlich sei. Dabei ist es gar nicht Schröder, der das Ansehen der SPD in diesem Punkt beschädigt, sondern Kühnert. Sofern da noch etwas beschädigt werden kann.

von Dagmar Henn

Die Sozialdemokratie und die Springer-Presse, das war jahrzehntelang ein schwieriges Verhältnis. Unter anderem, weil in früherer Zeit im Umfeld der SPD auch Personen wie Günter Wallraff tätig waren, der in seinen Büchern über die BILD-Zeitung ("Der Mann, der bei BILD Hans Esser war") viele böse Dinge schrieb.

Aber diese ertragreicheren Zeiten des Blatts sind längst vorbei, und wenn Kevin Kühnert, der aktuelle SPD-Generalsekretär, mit Gerhard Schröder eines gemein hat, dann die Kniefälligkeit vor der Springer-Presse. Selbst wenn es gegen den einstigen Kanzler geht.

Nun hat Gerhard Schröder genug angerichtet, mit dem er sich die alte Bezeichnung Arbeiterverräter redlich verdient hat. Die Einführung von Hartz IV hat nicht nur Millionen verarmen lassen, sie hat das Land auch sozial verwildert und den Armen gegenüber eine Verachtung etabliert, die wuchert wie ein Krebsgeschwür. Er und seine Regierung tragen die Verantwortung dafür, dass nach wie vor Millionen Kinder mitten in diesem angeblich so reichen Land im Mangel leben. Es gäbe gute Gründe, Gerhard Schröder kritisch zu betrachten.

Kevin Kühnert allerdings, der mit August Bebel und Wilhelm Liebknecht so viel zu tun hat wie eine Handytaschenlampe mit einer Flutlichtanlage, schafft es trotz der vielen Gründe, Gerhard Schröder nicht zu mögen, sich genau von den wenigen Punkten zu distanzieren, mit denen er einmal recht hatte.

Da sprach Schröder vom "Säbelrasseln in der Ukraine", und der Tagesspiegel rennt zu Kühnert, der das sogleich zur "abseitigen Position" erklärt und hinzufügt: "Der Vorwurf des Säbelrasselns an die Ukraine ist eine offenkundige Verdrehung der Tatsachen und, mit Verlaub, einfach Mumpitz."

Zugegeben, der Begriff "Säbelrasseln" ist etwas unscharf, weil er sich eigentlich auf die Androhung kriegerischer Handlungen bezieht, diese aber im Donbass zwar immer wieder nachgelassen, aber nie aufgehört haben. Und "Rasseln" ist auch kein ganz passender akustischer Vergleich; tatsächlich klingt es bereits wie Feuerwerk, mit tieferen Tönen für die großen Geschütze, sodass man in den Videos, etwa aus Gorlowka, hören kann, ob da ein kleiner tragbarer Mörser abgefeuert hat oder eine Haubitze. Aber in dieser umnachteten deutschen Medienlandschaft ist ja schon die Andeutung ein Verdienst, dass die Kiewer Truppen nicht tagein, tagaus Blümchen pflücken und Kränze winden.

Bei Springer war absolute NATO-Treue immer schon Einstellungsvoraussetzung, der Tagesspiegel lieferte stets genau und ausschließlich das, was man von ihm erwartete. Aber die Eilfertigkeit, mit der Kevin Kühnert über die hingehaltenen Stöckchen springt, ist selbst für die anpassungsfreudige deutsche Sozialdemokratie ein neuer Tiefpunkt. Klar, mit den großen historischen Vorbildern wie der Zustimmung zu den Kriegskrediten 1914, die der Welt den Ersten Weltkrieg schenkte, kann das noch nicht mithalten, aber Kühnert gibt sich sichtlich Mühe. Es liegt schließlich nicht in seinen Händen, ob er 1914 ein- oder gar überholen kann.

Der Tagesspiegel jedenfalls macht einen Skandal daraus, dass sich am 5. Januar ein parlamentarischer Staatssekretär aus der SPD mit Schröder getroffen haben soll. Als würde das sofort und zwangsläufig eine Kurskorrektur der Bundesregierung hervorrufen; vermutlich übertragen durch Aerosole. Kühnert aber spielt mit: Schröder verwische "die Grenze zwischen seiner Geschäftstätigkeit und dem Gehör, das er als erfahrener Ex-Regierungschef findet. Das ist nicht nur nicht in Ordnung, das ist sogar traurig."

Selbst wenn sich Schröder mit Staatssekretär Saathoff als Rosneft-Lobbyist getroffen haben sollte – im Bundestag, um den Bundestag herum und in den Büros der Regierung sind so viele Lobbyisten unterwegs, dass selbst ein Gerhard Schröder nicht mehr weiter ins Gewicht fiele. Problematischer sind da Lobbyisten, die gleichzeitig Mitglieder der Bundesregierung sind, wie ein Karl Lauterbach. Aber da solche nichts Positives über Russland sagen, hat der Tagesspiegel mit ihnen kein Problem. Und Kühnert offenkundig auch nicht.

Wäre es kein russischer Rohstoffkonzern, sondern ein Finanzmarktmonster wie Black Rock, wäre auch das nicht ehrenrührig, nicht wahr, Herr Merz? Einzig weil es sich um einen russischen Konzern handelt, kommt Kühnert zu dem Schluss, dass "Gerhard Schröder seinem Ansehen in der Öffentlichkeit enorm schadet". Man könnte als friedliebender Mensch auch sagen, dass er sich ein wenig von dem Ansehen zurückholt, das er durch die Agenda 2010 verloren hat; aber dazu müsste man erstens friedliebend sein, zweitens ein Minimum an politischer Bildung besitzen und drittens, weil gerade maximale Russophobie angesagt ist, zumindest ansatzweise Rückgrat besitzen.

Aber wir reden hier von der SPD und ihrem Nachwuchs, und zwar mehr als hundert Jahre nach Noske. Und dieser Nachwuchs ist der Ansicht: "Ich sehe nicht, dass er [Gerhard Schröder] seiner Partei, der SPD, damit ernsthaft schaden könnte. Sein Vorgehen findet in unseren Reihen auch keinerlei Widerhall."

Damit mag Kevin Kühnert sogar recht haben. 1914 war es zwar die Mehrheit der Reichstagsabgeordneten, aber nicht die Mehrheit der Partei, die den Kriegskrediten zustimmte. In der SPD des Jahres 2022 könnte es nun auch die Mehrheit der Partei sein. Unter dem Bundeskanzler Gerhard Schröder ist sie mit Hartz IV tief gefallen. Kevin Kühnert ringt darum, sie noch etwas tiefer zu legen.

Künftig sollte er aber einen Osteopathen konsultieren, ehe er der Springer-Presse Interviews gibt. Gebückte Haltung ist auf Dauer nicht gesund.

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