Die Kälte der Frau Hoffmann: Wie sich die Bundesregierung vom Frieden in der Ukraine abwendet

Mit dem Satz "Der Donbass gehört zur Ukraine" hat die Sprecherin der Bundesregierung Christiane Hoffmann signalisiert, dass diese keine Einwände hätte, wenn Kiewer Truppen den Donbass überfielen. Damit wandte sich die Regierung vom Minsker Abkommen ab. Und vom Frieden.

von Dagmar Henn

Es gibt Augenblicke, die einen frösteln machen, weil man ahnt, dass Schlimmes folgen wird. Das Schweigen der westlichen Medien nach dem Massaker von Odessa beispielsweise. Es hatte deutlich gemacht, dass die Kiewer Truppen im Donbass völlig freie Hand haben würden, ihnen jedes Verbrechen erlaubt wäre. Und so war es auch gekommen: Krankenhäuser und Schulen wurden bombardiert, Wasser- und Stromversorgungen zerstört, ganze Autokolonnen mit Menschen, die zur russischen Grenze flüchteten, mit Raketen beschossen; unzählige Kriegsverbrechen, die im Westen nie auch nur wahrgenommen worden waren. So wie Odessa.

Heute hatte ich dieses Gefühl wieder. Und Auslöser war das Betrachten der Bundespressekonferenz. Genau gesagt, die Antworten von Regierungssprecherin Christiane Hoffmann. Sie wurde von unserem Kollegen Florian Warweg gefragt, was denn die Haltung der Bundesregierung wäre, sollten die ukrainischen Truppen die Donbassrepubliken angreifen. Und sie sagte da nichts von Minsk II und dass das damit gebrochen würde; sie sagte auch nichts in der Richtung, man wünsche sich, dass es dazu nicht komme, oder man müsse einen Ausweg finden, mit dem sich beide Seiten sicher fühlen könnten. Nein, sie sagte: "Der Donbass gehört zur Ukraine. Das ist meine Antwort auf Ihre Frage."

Die Absurdität, im Abstand weniger Minuten zum einen von russischer Aggression zu reden, weil russische Truppen auf russischem Gebiet stehen, ohne irgendjemanden zu beschießen, und auf der anderen Seite selbst für den Fall eines ukrainischen Angriffs lapidar zu erklären, das sei ukrainisches Territorium, schien ihr keine Probleme zu bereiten. Das ist man von Regierungssprechern so gewöhnt. Das Tonband mit der "russischen Aggression" läuft schon seit 2014 in Endlosschleife, man hat sich daran gewöhnt wie an Straßengeräusche. Aber dieses beiläufige Wegwischen der Menschen im Donbass, die es 2014/15 tatsächlich mit einer Wiederauflage des Vernichtungskriegs zu tun hatten, weil Kiew nur am Gebiet interessiert ist, nicht an den Bewohnern, und denen dasselbe abermals drohen würde, diese lapidare Verleugnung, dass dort Menschen leben, die atmen, leben, bluten und leiden wie wir – das hat mich frieren lassen.

Ich gebe zu, es waren noch zwei weitere Informationen, die dazu beitrugen, weil sie in die gleiche Richtung weisen. Die erste war die Behauptung, die vom US State Department aufgestellt worden war, Russland plane eine False-Flag-Aktion mit einem fingierten Massaker. Für sich genommen, fand ich das erst einmal nur unsinnig. Schließlich sind es die USA, nicht Russland, die eine lange Geschichte fingierter Angriffe aufzuweisen haben (und, ja, wir Deutsche auch). Und es machte Spaß, Matt Lee dabei zuzusehen, wie er diese Behauptung auseinandernahm. Dann kam allerdings die zweite Information: Auf Youtube wurde eine ganze Reihe Videokanäle der Donbassrepubliken gesperrt. Und da fiel die erste Information an ihren Platz, wie ein Puzzlestück.

Was, wenn diese US-amerikanische Aussage gar nicht dazu dient, den Russen die Produktion falscher Videos zu unterstellen, sondern gewissermaßen präventiv die Authentizität ganz realer Aufnahmen realer Ereignisse eines ukrainischen Angriffs in Zweifel zu ziehen? In diesem Zusammenhang macht die Schließung von Youtube-Kanälen Sinn. Nicht, weil es keine anderen Verbreitungswege für Videos gäbe. Aber Videos sind das eine, Livestreams das andere. Der Luftangriff auf Lugansk am 2. Juni 2014 beispielsweise war im Livestream zu sehen gewesen. Und während es kein Problem mehr ist, Videos zu fälschen, ist das mit Livestreams schwieriger. Was, wenn die Sperrung der Videokanäle dem Zweck dient, genau diese nach wie vor unbestreitbaren Belege unmöglich zu machen? Und die US-Behauptung eine vorweggenommene Verteidigung der Kiewer Truppen gegen Vorwürfe wegen erst beabsichtigter Massaker ist?

Nun, eine solche Kollision von unterschiedlichen Informationen, die zusammen auf einmal einen anderen Sinn ergeben, nimmt man zur Kenntnis und verbucht sie erst einmal unter "Hypothese". Eine mögliche, aber noch keine zwingende Lesart. Und dann kam Frau Hoffmann.

Dabei ist das Szenario, das sich gerade entwickelt, schlimm genug. Minsk II ist eindeutig dabei zu verschwinden. Die dpa schrieb heute: "Ein Friedensplan, der 2015 mit Beteiligung Deutschlands und Frankreichs in der belarussischen Hauptstadt Minsk vereinbart wurde, liegt auf Eis." Gerade, dass man sich noch daran erinnert, dass da etwas war. Auch Annalena Baerbocks Äußerungen in Kiew, in denen sie auf das Normandie-Format verwies, geben keinen Anlass zur Hoffnung. Schließlich sagte ihr ukrainischer Kollege unwidersprochen, als zweite von ihm so betitelte "rote Linie" Kiews: "Kein direkter Dialog, das ist durch die Minsker Vereinbarungen nicht vorgesehen." Doch, ist er wohl, was sowohl Baerbock als auch ihr ukrainisches Gegenstück wissen müssen, sofern sie lesefähig sind. Aber an diesem Punkt lügt die Ukraine und auch die Bundesregierung schon seit Jahren.

Dass Baerbock in Kiew bezogen auf neue Sanktionen gegen Russland geradezu stolz verkündet: "Ja, wir sind auch bereit, dafür einen hohen wirtschaftlichen Preis zu bezahlen, denn es geht um die Sicherheit der Ukraine" und erklärte, "wir" würden "unsere Unterstützung noch einmal weiter erhöhen" – klar, man distanziert sich innerlich, im Sinne eines "Frieren für Bandera? Ohne mich!", und verdrängt den Auftritt so schnell wie möglich.

Dass der Umgang mit Minsk II, den die Bundesregierung da an den Tag legt, dafür sorgen wird, dass dieses Land als Verhandlungspartner nicht mehr ernst genommen werden kann, weil es Verträge, die es selbst mit aushandelte, missachtet? Wie man sich bettet, so liegt man; bei einem normalen Verlauf der Dinge würde der Preis dafür schon noch sichtbar.

Wenn da nicht Frau Hoffmann wäre. Nicht, dass ich mir große Sorgen um den Donbass mache. Da vertraue ich auf die russische Zusicherung, eine Auslöschung der Donbassrepubliken würde nicht zugelassen. Es wird zu den Massakern, die das State Department vorsorglich schon einmal in Abrede stellte, nicht kommen. Und die seltsamen Seitwärtsmanöver, die in Kiew in den letzten Wochen zu beobachten waren, deuten an, dass auch diese Herrschaften wissen, wie ein solches Abenteuer ausginge, und dass es der ukrainischen Bevölkerung doch irgendwann reichen könnte, in fremdem geopolitischem Interesse als Kanonenfutter zu dienen.

Es ist die von jedem Zweifel unberührte Kälte, mit der Frau Hoffmann einen ukrainischen Bruch der Minsker Abkommen schon fast als vollendete Tatsache behandelte, völlig ohne jedes Gespür für das tausendfache Elend, das keinem anderen Zweck dienen soll, als Russland endlich zum Handeln zu zwingen, die so erschreckend ist. Die Gleichgültigkeit selbst dem diplomatischen Ansehen dieses Landes gegenüber. Aus dem Mund der Sprecherin einer deutschen Regierung, die zumindest ansatzweise um die Geschichte der Region wissen sollte. Das wirkte, als sei die Entscheidung gefallen, als wolle man Krieg um jeden Preis.

Manchmal täuschen diese Gefühle, und in diesem Fall hoffe ich darauf, dass dem so ist. Aber alle Ereignisse der letzten Wochen zusammengenommen, ökonomische wie politische, einschließlich des Angriffs auf den Fernsehsender RT DE, deuten darauf hin, dass der Westen, die Bundesregierung eingeschlossen, lieber alles auf eine Karte setzt, als seinen Abstieg hinzunehmen. Und das kann einen wirklich frieren machen.

RT DE bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.

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