von Norman Lewis
So etwas kann man sich nicht ausdenken. Gerade als wir aufatmen können, weil wir die Corona-Krise überwunden zu haben scheinen, zieht uns die "Quantenapokalypse" wieder in neue Ängste um das Leben auf der Erde hinein – so wie Al Pacino in "Der Pate", der versucht, seiner kriminellen Vergangenheit zu entkommen, aber wieder hineingezogen wird.
Dies ist jedoch kein Hollywood-Film. Es ist eine reale Sache. Und genau wie die Weltuntergangsvorhersagen der Umweltschützer wird die "Quantenapokalypse" als eine reale existenzielle Bedrohung für das Leben, wie wir es kennen, dargestellt. Was also ist diese "Quantenapokalypse"? Um es einfach auszudrücken: Es ist die Vorstellung von einer Welt, in der verschlüsselte, geheime Dateien plötzlich von Quantencomputern geknackt werden können.
Es ist wichtig zu verstehen, dass Quantencomputer nicht einfach nur "leistungsfähigere Supercomputer" sind. Sie stellen ein neues Paradigma in der Datenverarbeitung dar. Sie nutzen die Eigenschaften der Quantenmechanik, um auf eine grundlegend andere Weise zu rechnen als die heutigen digitalen, "klassischen" Computer. Anstelle der herkömmlichen Bits, die aus Einsen und Nullen bestehen, verwenden sie sogenannte Quantenbits (oder Qubits), die gleichzeitig mehrere verschiedene Werte darstellen können. Ihre Komplexität könnte Quantencomputern bei bestimmten Aufgaben sehr viel schneller machen und es ihnen ermöglichen, Probleme zu lösen, die für moderne herkömmliche Computer in endlicher Zeit praktisch unlösbar sind – einschließlich des Knackens vieler Verschlüsselungsalgorithmen, die derzeit zum Schutz sensibler Daten wie persönlicher, geschäftlicher und staatlicher Geheimnisse verwendet werden.
Zum jetzigen Zeitpunkt sind diese Möglichkeiten allerdings noch immer eher theoretisch. Das heißt aber nicht, dass es sich um reine Spekulationen handelt. Mehrere Länder, darunter die USA, China, Russland und das Vereinigte Königreich Großbritannien, arbeiten intensiv an der Entwicklung dieser superschnellen Quantencomputer und investieren enorme Summen, um sich dadurch einen strategischen Vorteil in der Cybersphäre zu verschaffen. Tech-Giganten wie Google, Microsoft, Intel und IBM arbeiten an Lösungen, ebenso wie junge, spezialisierte Unternehmen wie Quantinuum und Post-Quantum.
In der Realität ist die Quanteninformatik extrem schwierig zu erreichen. Letztes Jahr brüstete sich Google damit, die "Quantenüberlegenheit" bereits erreicht zu haben, indem es eine Aufgabe fand, die ein Quantencomputer lösen konnte und die für einen klassischen Computer praktisch unlösbar war. Das Unternehmen gab bekannt, dass es mit seinem 53-Qubit-Quantencomputer Sycamore ein mathematisches Problem in 200 Sekunden gelöst hatte, für das ein klassischer Computer 10.000 Jahre gebraucht hätte.
Die neuen "Angst-Unternehmer"
Sundar Pichai, CEO von Google, verglich dies mit dem Start des Sputniks oder dem ersten Flug der Gebrüder Wright als den Beginn einer neuen Ära von Maschinen, die den mächtigsten Computer von heute wie einen Abakus aussehen lassen würden. Auch wenn dies ein wichtiger Meilenstein war, so ist auch das noch lange nicht der Beginn einer neuen Ära des Quantencomputers. Experten aus Industrie und Wissenschaft kritisierten dies aus unterschiedlichen Gründen.
In Wirklichkeit sind wir noch mindestens ein Jahrzehnt oder länger von einem Quantencomputer entfernt, der wichtige reale Probleme lösen kann. Das bedeutet jedoch nicht, dass es keinen Grund gibt, eine neue existenzielle Bedrohung für das Leben auf der Erde im Hier und Jetzt zu verkünden. Aber hier kommen die neuen "Angst-Unternehmer" wie Harri Owen, Chief Strategy Officer bei Post-Quantum, und Ilyas Khan, Geschäftsführer des in Cambridge und Colorado ansässigen Honeywell-Tochterunternehmens Quantinuum ins Spiel. Sie befürchten, dass Quantencomputer die meisten bestehenden Verschlüsselungsmethoden unbrauchbar machen werden. Wer immer eine solche Fähigkeit entwickele, werde sofort in der Lage sein, die Verteidigungssysteme einer Regierung lahmzulegen und sich Zugang zu privaten Daten und Bankdaten zu verschaffen. Wie Khan es ausdrückt, sind sie "eine Bedrohung für unsere Lebensweise".
Wenn ein solches Szenario einträte, wenn die derzeitige Angst vor dem Hacken von Daten und die Strategie "jetzt ernten und später entschlüsseln" Wirklichkeit würde, dann wäre dies in der Tat eine Bedrohung für unsere Lebensweise. Dies ist jedoch aus zahlreichen Gründen unwahrscheinlich. Nicht nur, weil das Quantencomputing kompliziert und enorm teuer ist und noch Jahrzehnte von der Realisierbarkeit entfernt ist. Es ist auch unklar, warum das Sammeln von Daten, die erst in 30 Jahren entschlüsselt werden können, heute ein so großes Risiko darstellt.
Der eigentliche Punkt ist jedoch, dass sich die Regierungen dieses potenziellen Risikos dennoch sehr wohl bewusst sind. Es werden bereits seit einigen Jahren Anstrengungen zur Risikoverringerung unternommen. In den USA beispielsweise läuft seit 2016 – vom National Institute of Standards and Technology (NIST) ausgeschrieben – ein Wettbewerb mit dem Ziel, bis 2024 die ersten vor Quantencomputern sicheren Algorithmen zu entwickeln. Im Vereinigten Königreich Großbritannien werden alle als "streng geheim" eingestuften Regierungsdaten bereits "post-quantum" verschlüsselt, d. h. es werden neue Formen der Verschlüsselung verwendet, von denen Forscher hoffen, dass sie sicher vor Quantencomputern sind. Das National Cyber Security Center, das diese Forschungen leitet, berät auch Regierungen und Unternehmen über deren langfristige Verschlüsselungs- und Sicherheitsanforderungen.
Dies ist ein wichtiger Gegenpol zum Fatalismus, mit dem die Angstmacher vor der "Quantenapokalypse" hausieren gehen. Die Überarbeitung und Modernisierung von Computersystemen sind technische Probleme, die von der Menschheit gelöst werden können. Das Weltuntergangsszenario dagegen erinnert an die Übertreibungen mit dem "Millennium-Bug", der zu Beginn des neuen Jahrhunderts als Vorbote einer großen Katastrophe galt, was sich aber als beherrschbar erwies. Das Ausmaß dieser großen, international koordinierten Anstrengung und die massiven Ausgaben in Höhe von Milliarden von US-Dollar zur Bewältigung einer möglichen technologisch bedingten Krise waren beispiellos. Der Präzedenzfall, der dadurch geschaffen wurde, war jedoch die Verbreitung der Kultur und Politik der Angst, die wir inzwischen als unvermeidlich akzeptieren.
Die "Quantenapokalypse" ist die jüngste Angst, die dazu dient, den Fatalismus zu schüren, der heute die öffentliche Vorstellungskraft beherrscht. Diese Angst ist die wirkliche Bedrohung für unsere Lebensweise, nicht irgendeine theoretische Möglichkeit, die sich angeblich menschlicher Kontrolle oder menschlichem Handeln entziehen könnte. Die wirkliche Gefahr besteht darin, dass wir dem eigennützigen Fatalismus erliegen, der solche übertriebene Bedrohung in der Zukunft begründen soll. Der würde uns daran hindern zu begreifen, was für eine bemerkenswerte Sache das Quantencomputing für die Menschheit sein wird und welchen Schub es für unsere Problemlösungskapazitäten im 21. Jahrhundert leisten kann.
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Übersetzung aus dem Englischen
Norman Lewis ist Autor, Redner und Berater für Innovation und Technologie. Zuletzt war er Direktor bei PriceWaterhouseCoopers, wo er den Crowdsourced Innovation Service aufbaute und leitete.