von Dagmar Henn
Wir sind ja selbst oft genug Opfer von Zensurmaßnahmen; von der Löschung einzelner Videos bis hin zu der ganzer Kanäle und der Abschaltung von Satellitenübertragung. Anderen Medien, die nicht mit dem Strom schwimmen, passiert Ähnliches. Aber es gibt nicht nur diese große Bühne, auf der um den Zugang zu den Köpfen oft mit unfairen Mitteln gefochten wird, es gibt auch einen Mikrokosmos, in dem sich das Ganze in kleiner Version wiederholt.
Dies ist eine Provinzgeschichte, die doch weiter hinausreicht, weil es dabei um die sozialen Medien geht, um eine örtliche Monopolzeitung und einen ihrer Journalisten und ein bayerisches Amtsgericht. Auf der anderen Seite ein Kritiker der Coronamaßnahmen, Mitglied der Basis, der auf Facebook und Twitter ein wenig publiziert; eigentlich teilt er vor allem Beiträge anderer. Sein Konto läuft unter Stephan Ochsenfurt, und die Beiträge, die er postet, sind einsehbar. Aber in nächster Zeit wird er nichts teilen können.
Der Grund dafür ist ein Kommentar, den er auf dem Facebookkonto eines anderen, eines Journalisten der Mainpost, geschrieben hat. Die Mainpost gehört inzwischen zur Augsburger Allgemeinen, ist aber für die örtliche Berichterstattung großzügig besetzt; was aber nicht bedeutet, dass sie von der momentanen Linie des Mainstreams irgendwie abweicht.
Der Kommentar, den er dort hinterlassen hat, bereits Ende September 2021, war ironisch. Nun ist Ironie nicht leicht zu beherrschen, und insbesondere auf Plattformen eher kurzer Texte wie eben Facebook und Twitter oft schwer zu erkennen. Deshalb haben sich im Lauf der Jahre Konventionen entwickelt, wie man Ironie erkennbar macht – beispielsweise durch den Zusatz "/ironie off" oder durch ein Smiley.
Der Mainpost-Mitarbeiter hatte, ebenfalls in einem kurzen Text, die Besucher einer örtlichen Messe als "typische Franken" charakterisiert, unter anderem, weil sie sich über einen Bratwurstpreis von fünf Euro empörten. Die Bemerkung, die Ochsenfurt darunter setzte, lautete: "Ein Armutszeugnis – 5€ für eine Wurscht mit Weck. Ich wandere aus, das ist sicher. Aber vorher lass ich noch den Söder kreutzigen. Und die Mainpost werd ich auch noch "hochjagen"." [sic] Und dahinter ein Smiley.
Sicher, es gibt elegantere Beispiele für Ironie. Aber eigentlich ist schon die Verknüpfung des Bratwurstpreises mit Auswanderung ein klares Indiz dafür, dass es sich nicht um die Ankündigung ernsthafter Vorhaben handelt. Niemand, auch kein Franke, würde nur wegen des Bratwurstpreises auswandern. Sonst wäre das Schwabenland längst entvölkert.
Das Facebookkonto jenes Mainpost-Mitarbeiters hat 173 Abonnenten, die Verbreitung ist also nicht überwältigend. Aber die Zeilen hatten Folgen. Am 6. Dezember 2021 beschloss ein Richter am Amtsgericht Würzburg, sie gäben Grund genug für eine Hausdurchsuchung mit Beschlagnahmung der Tatwerkzeuge, sprich, Computer und Handy. Warum? "Diesem Kommentar des Beschuldigten ist – was diesem bewusst war – bei lebensnaher Betrachtung zu entnehmen, dass er die Tötung des bayerischen Ministerpräsidenten und eine Sprengung der Räumlichkeiten, in denen die Main-Post-GmbH ihren Sitz hat, in Aussicht gestellt hat. Dem Beschuldigten (...) kam es hierbei – trotz des angebrachten 'Smileys' und des in Anführungszeichen gesetzten Begriffes 'hochjagen' -darauf an, zumindest den Eindruck der Ernstlichkeit seiner Ankündigung zu erzeugen."
Söder kreuzigen zu lassen? Was die Mitwirkung zusätzlicher Personen voraussetzt, da das "lassen" immer die Handlung anderer impliziert? Ernsthaft? Dann ist es nur höchst verwunderlich, dass die Durchsuchung nicht bereits Ende September stattfand; schließlich wurde das Leben des Ministerpräsidenten bedroht...
Es könnte allerdings sein, dass die Kenntnisse über Kommunikationsnormen im Internet in der Bayrischen Staatskanzlei etwas ausgeprägter sind als im Amtsgericht Würzburg, das Smiley als übliche Kennzeichnung für Ironie erkannt und weiterer Handlungsbedarf nicht gesehen wurde. Das Würzburger Amtsgericht jedenfalls sah darin den Verdacht einer "Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten gemäß § 126 Abs. 1 Nr.2, Nr.6 StGB."
Eine Suche im Netz erbringt folgende Definition: "Gestört ist der öffentliche Frieden, wenn das Vertrauen der Bevölkerung in die öffentliche Rechtssicherheit erschüttert wird oder wenn potenzielle Täter durch Schaffung eines 'psychischen Klimas', in dem Taten wie die angedrohten begangen werden können, aufgehetzt werden." Hat ein für alle Internet-Alphabetisierten als Ironie gekennzeichneter Kommentar auf der Facebook-Seite eines Provinzjournalisten das Potenzial, ein 'psychisches Klima' zu schaffen, in dem ein potenzieller Täter sich dann berufen fühlen könnte, den bayerischen Ministerpräsidenten zu kreuzigen? Oder, vermittelt durch vielleicht fünfhundert Leser, das Vertrauen der Bevölkerung in die öffentliche Rechtssicherheit zu erschüttern?
Man wundert sich. Klar, in den vergangenen Jahren wurde massiv daran gearbeitet, bestimmte Ausdrucksformen zu kriminalisieren. Und das beständige Gerede, man müsse gegen "Hass und Hetze" im Internet vorgehen, hat die Freiheit, sich ironisch, sarkastisch und satirisch zu äußern, schon in Bedrängnis gebracht, außerhalb des Mainstreams. Die so zentrale Unterscheidung zwischen Wort und Tat wird aufgeweicht, indem man Worte wie Taten behandelt (was in der deutschen Rechtsgeschichte übrigens vor allem in einer auf zwölf Jahre begrenzten Periode üblich war), und die Meinungsfreiheit wird an ihr völlig fremde Kriterien geknüpft, die von "Faktencheckern" gesetzt werden dürfen.
Damit eine Aussage von der Meinungsfreiheit gedeckt ist, muss sie allerdings weder wahr noch stilistisch besonders gelungen sein. Auch eine Ironie, die nicht auf der Höhe der Eleganz wandelt, bleibt eine Meinungsäußerung und keine "Ankündigung einer Straftat." Nicht einmal das laute Absingen der Carmagnole mit der berühmten Liedzeile "die Aristokraten an die Laterne" erfüllt dieses Kriterium.
Die interessante Frage ist allerdings, warum überhaupt irgendjemand sich bemüßigt gefühlt hat, hier eine Staatsanwaltschaft, ein Gericht und einen Durchsuchungstrupp der Polizei zu bemühen. Da dürfte der wahre Grund in der kleinen, aber beharrlichen Publikationstätigkeit des Beschuldigten liegen, die er zuletzt noch um die Anmeldung von Spaziergängen bereichert hat. Nicht, dass sich irgendwelche suspekten Dinge auf seinen Kanälen finden; er ist definitiv kein "gefährlicher Rechter", er ruft in keiner Form zu Gewalt auf und äußert sich, wie bereits erwähnt, selten selbst. Aber wer gegen die Maßnahmenpolitik Stellung bezieht, muss verdächtig sein. Das ist zumindest die regelmäßige Behauptung des Mainstreams.
Gestern, also bald vier Monate nach der "Androhung von Straftaten", fand die durch den Durchsuchungsbeschluss von Anfang Dezember ermöglichte Durchsuchung statt und Computer und Handy wurden beschlagnahmt. Und das ist der Moment, in dem die Zensur eingetreten ist. Nicht durch eine Sperrung der Konten, sondern durch den Entzug der technischen Voraussetzungen, diese Konten mit Inhalt zu füllen. Nachdem diese Geräte als Beweismittel gelten, werden sie frühestens bei Abschluss des Verfahrens zurückgegeben. Das kann dauern. Jahre.
Betroffene mit wenig Geld sind für diesen ganzen Zeitraum mit einem wirkungsvollen Maulkorb versehen. Schlimmer noch – sollte das absurde Verfahren mit einer Geldbuße enden, würde ausgerechnet die Verteidigung des eigenen Rechts durch eine Fortsetzung in der nächsten Instanz in Konkurrenz zum Rückerhalt der nötigen Technik stehen. Selbst wenn es vernünftigerweise eingestellt werden sollte, wird viel Zeit vergehen, in der keine Meinung mehr geäußert werden kann.
Schlimmer noch. Die Coronamaßnahmen haben schließlich dazu geführt, dass reale Kontakte, direkte menschliche Begegnungen erschwert und in vielen Fällen durch virtuelle Kontakte ersetzt wurden. Dadurch hat sich die Bedeutung, die der vorhandene Rechner im alltäglichen Leben hat, massiv verändert. Aus dem Entzug eines technischen Geräts, ohne das man durchaus existieren kann, wurde eine Art virtueller Gefangenschaft, in der alle alternativ möglichen Arten der Kommunikation genommen werden. Es gibt ganze Gruppen von Waren, die nicht Geimpfte nur noch online erwerben können. Treffen, die nur als Videokonferenz stattfinden. Die Maßnahmen sind schon mit Rechner schwer zu ertragen; ohne werden sie unerträglich.
Die Strafe für das vermeintliche Vergehen (den Kommentar) wie für das reale (das Teilen unerwünschter Meinung) liegt also nicht in dem, was irgendwann ein Gericht beschließt, sondern in dem Mangel, der bis dahin erzeugt wird. Unter den gegenwärtigen Bedingungen ist das eine extralegale Strafe, die tief in den Alltag eingreift. Zensur gekoppelt mit Isolation. Da bleibt nur zu hoffen, dass das Beispiel des Würzburger Gerichts nicht Schule macht.
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